Front National:Ab jetzt ohne den Dickkopf

Front National: Die Rechtspopulistin Marine Le Pen räumt in Partei und Familie auf. Live im Fernsehen.

Die Rechtspopulistin Marine Le Pen räumt in Partei und Familie auf. Live im Fernsehen.

(Foto: AFP)
  • Marine Le Pen, die Vorsitzende des rechtsextremen Front National, fordert ihren Vater im Fernsehen zum Parteiaustritt auf. Jean-Marie Le Pen hat immer wieder mit antisemitischen Parolen provoziert.
  • Die FN-Chefin versucht seit 2011 die Partei auch für gemäßigte Franzosen wählbar zu machen. Ihr Vater steht für eine radikalere Linie.
  • Marine Le Pen muss nun eine neue Rolle - ohne ihren politischen Übervater - finden.

Von Christian Wernicke, Paris

Tristesse, das ist die Botschaft der Marine Le Pen. Das zu zeigen, das verlangt die Lage, und die 46 Jahre alte Frau gibt sich dieser Emotion hin. Mit jeder Faser: Frankreichs Rechtspopulistin hat sich ein pechschwarzes Top angezogen, bevor sie ins Studio von Frankreichs erstem Fernsehkanal TF1 gefahren ist. Dazu eine grau-schwarz gemusterte Jacke, die tiefernste Miene, die Schatten unter den blauen Augen. Und ein hingehauchtes Bekenntnis: "Ja, es ist schmerzhaft..."

Marine Le Pen ist in die Abendnachrichten geeilt, um öffentlich über Jean-Marie Le Pen zu richten. Über den Ehrenvorsitzenden des Front National also, zugleich ihr leiblicher Vater. Seit einer Woche sorgt der greise, bald 87 Jahre alte Dickkopf mit rechtsradikalen Provokationen über Gaskammern ("Detail der Geschichte") und Parteilinie ("Verraten wird man immer von den Seinen") für Schlagzeilen.

Der Vater-Tochter-Konflikt - halb Familienkrach, halb Polit-Posse -schadet der Clan-Partei. Marine Le Pen weiß, dass sie einen doppelten Schnitt zu vollziehen hat: Sie muss das politische Leben des Vaters beenden und sie muss sich endgültig abnabeln von jenem Rowdy, den sie vor Jahren "den Mann meines Lebens" genannt hat. Alles live im Fernsehen.

Mit tonloser Stimme verkündet die FN-Chefin ihren Beschluss. "Ich habe die Einleitung eines Disziplinarverfahrens beschlossen", spricht sie schmallippig, "Jean-Marie Le Pen wird also vor das Exekutivbüro (des FN) bestellt." Dann fügt Marine Le Pen hinzu, sie werde eine neue Kandidatur des Patriarchen bei den Regionalwahlen im Dezember nicht dulden. Während die Tochter den Vater somit ins Abseits stellt und aufs Altenteil schickt, nennt sie ihn stets beim vollen Namen. Nie "Vater", nie "Papa": Bisher sollte diese Sprachregelung den Eindruck verwischen, der FN sei mehr Erb-Dynastie als demokratische Partei. Nun hilft es, Distanz zu inszenieren.

Schon vor Jahren warnte Le Pen, er werde sich nicht "als Cäsar" erdolchen lassen

Keine zwölf Stunden vergehen, da kann die Tochter die Antwort vernehmen. "Madame Le Pen ist dabei, ihre eigene Formation in die Luft zu jagen", raunzt der Alte im freitäglichen Frühstücksradio von RTL. "Madame", diese Anrede ist neu. Die beiden Le Pens wechseln seit drei Tagen kein Wort mehr miteinander. Also droht der FN-Ehrenpräsident seiner Erbin über den Äther: "Ich werde mich verteidigen und wahrscheinlich angreifen." Falls man ihn schurigele oder ihm eine Kandidatur verweigere, so deutet er an, könne er demnächst auch allein zu Felde ziehen. Auf einer eigenen Liste, gegen den FN. Schon am Vortag hatte er gehöhnt, "dass Marine Le Pen vielleicht meinen Tod wünscht - aber dabei darf sie nicht auf meine Mitarbeit zählen". Schon vor Jahren warnte er einmal, er werde sich "als Cäsar" von keinem Brutus erdolchen lasse: "Eher ziehe ich selbst das Schwert."

Tatsächlich äußerten mehrere FN-Politiker zuletzt den Wunsch, ihre Vorsitzende solle den Vater und Gründervater aus der Partei verbannen. Davor schreckt die Tochter zurück. Im TV-Interview umgeht Marine Le Pen die Frage nach einem Parteiausschluss - um ihren Vater dann zum politischen Suizid aufzufordern: Als "Beweis seiner Klugheit" solle der Vater "die Konsequenzen ziehen und "seine politische Verantwortung beenden".

Das endgültige Aus des Vaters - es wäre zugleich ein Neuanfang für die Tochter. Ihre gesamte Biografie hat der Alte geprägt, ihre politische Legende wie das wahre Leben. Politisches Bewusstsein habe sie schon als Achtjährige erlangt, behauptet Marine Le Pen - durch einen Bombenanschlag auf die elterliche Wohnung im November 1976: "So trete ich ein in die Politik, in ihrer gewalttätigsten, grausamsten und brutalsten Form." Die Täter wurden nie ermittelt, aber die Spuren der Ermittlungen deuteten eher auf ein Erbschafts-Drama.

Wahr ist, dass die Le Pens jahrelang die Parias von Frankreichs Politik waren. Und dass Marine Le Pen das zu spüren bekam: erst in der Schule im feinen Pariser Vorort St. Cloud, später auf der Uni. Die feindliche Außenwelt schweißte die Familie zusammen. Zugleich war der Vater nie zu Hause. Auch trieb dies Marine, die jüngste von drei Schwestern, dazu, sich für Politik und für den FN zu interessieren.

1983 ist sie 15 Jahre jung, und der Vater betreibt mal wieder Wahlkampf. Sie geht zu seinen Versammlungen, weil es "der einzige Weg war, mit ihm eine Verbindung zu schaffen", schreibt sie in ihrer Autobiografie, "und so wage ich mich nach und nach - aus persönlicher Neugier, aber auch um ihn zu entdecken - immer weiter auf sein Terrain vor." Im Januar 2011, als sie den Parteivorsitz übernimmt, erzählt sie dem FN-Volk von "der doppelten Schuld", die sie gegenüber dem Vater abzutragen habe: "Es war weitgehend er, der mich zu der politischen Kämpferin und zu der Frau gemacht hat, die ich bin!"

Künftig wird sie eine neue Rolle finden müssen. Ohne Übervater. Noch sucht sie ihre neue Tonart, noch wirkt sie bleiern. Bei dem Fernsehauftritt bei TF1 zum Beispiel wählt sie das Pathos. Ja, wiederholt die Front-National-Vorsitzende, alles sei schmerzlich. Aber es gehe ja schließlich um mehr: um die Partei, die Zukunft des Landes "und die Hoffnung von Millionen Franzosen". Und weiter: "Es tut weh, aber glauben Sie mir: Das ist weniger schmerzlich, als verzweifelt auf Arbeit zu hoffen." Frankreichs nun einsame Populistin kämpft weiter. Fortan ohne ihn, aber mit allen Mitteln.

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