Flugzeugabsturz von Smolensk:Mein Bruder, der Märtyrer

PiS mit Kaczynski Sieger der Parlamentswahlen in Polen, 2005

Lech Kaczyński war von 2005 an polnischer Präsident. Am 10. April 2010 kam er beim Absturz seines Flugzeugs nahe der russischen Stadt Smolensk ums Leben.

(Foto: dpa)
  • Am 10. April 2010 kamen 96 Polen im Wald von Smolensk, gleich neben der Landebahn des Flughafens, ums Leben. Mit an Bord: Präsident Lech Kaczyński, seine Ehefrau, Mitglieder der Regierung und der militärischen Führung.
  • In Polen ranken sich viele Verschwörungstheorien um das Unglück.
  • Jarosław Kaczyński inszeniert beim Gedenken seinen verunglückten Zwillingsbruder als Märtyrer.

Von Nadia Pantel

Wenn ein Ereignis zum Denkmal wird, hat es meist seine unmittelbare Wucht verloren. Pünktlich zum fünften Jahrestag des Flugzeugabsturzes von Smolensk hat nun Warschaus Bürgermeisterin bekannt gegeben, dass man sich in der Stadt auf den Standort für ein Smolensk-Denkmal geeinigt hat. Zum Gedenken an die 96 Polen, die am 10. April 2010 im Wald von Smolensk, gleich neben der Landebahn des Flughafens, ums Leben kamen. Mit an Bord: Präsident Lech Kaczyński, seine Ehefrau, Mitglieder der Regierung und der militärischen Führung. Ihr Denkmal soll auf dem Piłsudski-Platz, dem größten Platz der Warschauer Innenstadt, gebaut werden. Doch die Betonung liegt auf soll. Geht es um Smolensk, dominiert in Polen, neben der Trauer, der Streit.

Das Unglück lässt sich nur schwer entpolitisieren. Wie auch? Schließlich war allein der Anlass des Fluges hochpolitisch. Polens Führung reiste nach Russland, um des Massenmords von Katyń zu gedenken. Im April 1940 töteten im Wald von Katýn sowjetische Soldaten 4000 polnische Offiziere. Zwischen dem Tatort des Massakers, das Michail Gorbatschow "eines der schwersten Verbrechen des Stalinismus" nannte, und dem Absturzort der polnischen Präsidentenmaschine liegen weniger als 30 Kilometer. 2010 legten Polens Ministerpräsident Donald Tusk und Wladimir Putin, damals Russlands Ministerpräsident, gemeinsam Blumen auf die Flugzeugtrümmer. Bilder wie Putin Tusk erst die Hand auf die Schulter legt und ihn dann umarmt, gingen um die Welt.

22 Prozent der Polen glauben, auf das Flugzeug des Präsidenten sei ein Anschlag verübt worden

Doch heute ist nicht mehr die Stunde der Versöhner, sondern der Verschwörungstheoretiker. Im März dieses Jahres machte die Tageszeitung Gazeta Wyborcza eine Umfrage, was die Polen für die Ursache des Flugzeugabsturzes halten. Die meisten glauben, dass die Piloten und das schlechte Wetter schuld waren. Doch immerhin 22 Prozent sind überzeugt, dass Kaczyński und seine Entourage ermordet wurden. Einer, der solche Theorien anheizt, ist der deutsche Journalist Jürgen Roth. Sein neues Buch "Verschlussakte S." wird in Polen in allen wichtigen Medien besprochen. Roth behauptet, der russische Geheimdienst habe einen Anschlag auf die Regierungsmaschine verübt. Solche Überlegungen gehörten "in den Bereich der Belletristik", sagt Polens Außenminister Grzegorz Schetyna. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zur Absturzursache sind noch nicht abgeschlossen.

5th anniversary of the Polish presidential plane crash in Smolens

Jarosław Kaczyński, der Zwillingsbruder des in Smolensk umgekommenen Lech, inszeniert seinen Zwillingsbruder als Märtyrer für die Freiheit und Unabhängigkeit Polens.

(Foto: dpa)

Tatsächlich birgt das Vermächtnis von Smolensk auch ganz ohne Fantasterei genug Konflikte. Vor allen Dingen für die polnische Innenpolitik. Jarosław Kaczyński, der Zwillingsbruder des in Smolensk umgekommenen Lech, von 2006 bis 2007 Ministerpräsident Polens und heute Anführer der rechts-konservativen Opposition, inszeniert seinen Zwillingsbruder als Märtyrer für die Freiheit und Unabhängigkeit Polens. An der offiziellen Trauerfeier der Regierung am Freitag nahm er nicht teil.

Während Polens Ministerpräsidentin Ewa Kopacz und Präsident Bronisław Komorowski auf den Warschauer Militärfriedhof Powązki gingen, wo die Namen der Opfer verlesen wurden, organisierte Kaczyński lieber seine eigene Gedenkveranstaltung. Mit seinen Kollegen von der nationalistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), der Kaczyński vorsitzt, zog er in einem Trauermarsch durch die Stadt zum Präsidentenpalast, neben sich ein Plakat mit einem Foto seines Bruders. Wenn es nach Kaczyński geht, soll das Smolensk-Denkmal vor den Sitz des Präsidenten gebaut werden. Seine Partei ist gegen die Pläne der Stadt Warschau, die einen weniger symbolträchtigen Ort bevorzugt. Schließlich wurde Lech Kaczyński bereits die Ehre zuteil, in der Krakauer Königsburg Wawel bestattet zu werden; trotz der Proteste vieler Polen. Eine Ruhestätte im Wawel war bis dahin Königen, zwei Dichtern und vier Nationalhelden vorbehalten. Bei einer Umfrage im März sagten 32 Prozent der Befragten, sie würden ihre Stimme Kaczyński geben. Die regierende Ewa Kopacz lag mit ihrer konservativ-liberalen Bürgerplattform zwei Prozentpunkte dahinter. Die nächsten Parlamentswahlen finden in Polen voraussichtlich im Oktober statt.

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