Unverkäuflich:Ein Freisinger gibt seine Wiese nicht her

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Karl Mair würde seiner Tochter Maxi die Natur gerne so hinterlassen, wie er sie in seiner eigenen Kindheit erleben durfte. Doch durch sein Grundstück im Freisinger Moos soll schon bald die Westtangente führen. (Foto: Marco Einfeldt)

Karl Mair gehört ein Grundstück im Moos, durch das bald die Westtangente gebaut wird. Verhindern kann er das nicht mehr, trotzdem lässt er es auf die Enteignung ankommen. Ums Geld geht es ihm dabei nicht.

Von Christoph Dorner, Freising

Als kleiner Junge hat Karl Mair die acht Kühe aus dem Stall des Vaters gelassen und sie über die hölzerne Moosach-Brücke bis hinaus ins Vöttinger Moos getrieben. Das prägt. Er wäre damals gerne Bauer geworden, sagt Mair heute.

Ein natur- und heimatverbundener Mensch ist der 58-Jährige immer geblieben. Im Sommer schwimmt er in der Moosach, die genauso klar ist wie noch vor 50 Jahren. Er freut sich über die Kiebitze, die aus ihren Winterquartieren im Süden zurückgekehrt sind, und ärgert sich bisweilen über den Biber, der nachts aus dem Flüsschen kommt und die Obstbäume auf seinem Grundstück in der Bachstraße in Vötting fällt. Aber so reich ist sie nun einmal, die Natur vor der Haustür. Und Reichtum verpflichtet.

So wie Mair die Natur als Kind vorgefunden hat, würde er sie am liebsten auch an seine kleine Tochter Maxi weitergeben: mit freier Sicht, ohne Westtangente. Die geplante Umgehungsstraße wird von 2020 an täglich 20 000 Autos aus einem Tunnel ausspucken, 500 Meter von seinem Haus entfernt.

Wo heute noch die Moosach fließt, spuckt die Umgehungsstraße von 2020 an täglich 20 000 Autos aus einem Tunnel - 500 Meter von Karl Mairs Haus entfernt. (Foto: Marco Einfeldt)

Karl Mair hat das Haus und den Kuhstall des Vaters vor Jahren zu einem modernen Einfamilienhaus umgebaut. Nun sitzt er in der Wohnküche über einem städtischen Flächennutzungsplan, Maßstab 1 : 9000. Darauf ist das Vöttinger Moos verzeichnet, nicht als die "grüne Lunge von Freising", wie Mair das Moos nennt, als Flickenteppich an Privatbesitz.

Inmitten dieses Teppichs, südlich des verlassenen Aussiedlerhofs und etwas westlich des Fußballplatzes des SV Vötting, ist in den Kreuzwiesen ein schmaler Grundstückstreifen verzeichnet. Die Wiesenfläche, 300 Meter lang und 20 Meter breit, gehört Mair. Er hat sie von seinem Vater geerbt und derzeit an einen Bauer verpachtet, der dort im Sommer sein Heu macht.

Auf dem Plan wird das Grundstück von einer Schlangenlinie durchschnitten, die sich um Natur und Eigentum wenig schert. Die Westtangente wird einmal ungefähr auf Mairs Wiese eine große Linkskurve einleiten, um schließlich zwischen der Molkerei und dem Freisinger Gewerbegebiet auf die B 11 zu treffen.

Die Mehrheit der Bürger ist für die Straße

Seit dem Bürgerentscheid im September 2013, bei dem 56, 5 Prozent der Freisinger für den Bau der 3,6 Kilometer langen und voraussichtlich 86,5 Millionen Euro teuren Umgehungsstraße stimmten, ist es um das Projekt still geworden. Auch Mair sagt, in der Sache sei längst alles gesagt und geschrieben worden. Die Westtangente, sie wird kommen.

Der Termin für den Spatenstich steht, es ist der 7. Mai. Ende Februar wurden bereits Bäume entlang der Strecke gefällt. 100 Jahre alte Weiden mit dem Durchmesser seines Küchentischs, einfach umgeschnitten, sagt Mair.

Weil die Politik nach über 40 Jahren Fakten schafft, endlich, sagen viele Freisinger, war zuletzt auch die Zahl der Privatbesitzer, die ihre Grundstücke noch nicht abgegeben haben, geschmolzen - von dreizehn auf acht.

Wer aber steckt hinter diesen letzten acht, die ein großes, demokratisch legitimiertes Infrastrukturprojekt aufhalten, das die Mehrheit der Bürger will und der Stadtrat beschlossen hat. Sind es Menschen, über die auch die SZ vor einem Jahr schrieb, sie würden "bis zuletzt zocken"? Sind es Wutbürger, die plärren: Nicht in meinem Hinterhof?

Die Stadt Freising will zu den Verhandlungspartnern keine Auskunft geben. Karl Mair ist einer von ihnen. Er sagt, er sei zunächst einmal ein Realist. Dass er die Straße durch das Moos nicht mehr verhindern wird, weiß er. Trotzdem hat er seine Wiese bis heute nicht verkauft. Und er wird auch nicht verkaufen. Nicht für den Verkehrswert, eine niedrige fünfstellige Summe, die ihm von der Stadt Freising angeboten wurde. Er hat die Schreiben vor sich auf dem Holztisch liegen, die Summe gelb markiert. Selbst für 100 000 Euro würde er nicht verkaufen, sagt er, und es klingt nicht einmal trotzig.

Keine Summe der Welt könne den Schaden wiedergutmachen, den die Westtangente verursacht, sagt er. Also will Karl Mair warten: bis zu dem Tag, an dem der Brief eintrifft, dass er nach dem Bayerischen Gesetz über die entschädigungspflichtige Enteignung, Artikel 1 bis 54, enteignet wird. Dann soll es so sein.

Stiller Protest

Es ist seine stille Art, in letzter Instanz gegen den Bau der Westtangente zu protestieren. Mair ist "schwarz" erzogen worden. Dass man überhaupt andere Meinungen als die der CSU haben kann, hat er in seiner Jugend erst mit Mühe begreifen müssen. Mair ist kein Don Quijote, er mag nicht gegen Windmühlen anrennen. Lieber hat er in seinen Jahren beim SV Vötting dafür gesorgt, dass eine Straßenbeleuchtung ins Vöttinger Moos gelegt wurde, damit die Kinder nach dem Fußballtraining nicht im Dunkeln nach Hause radeln mussten.

Karl Mair will auch nicht wie der berühmt gewordene Bauer Stimmelmayer aus dem Erdinger Moos enden, der fast 30 Jahre gegen den Münchner Flughafen und für eine höhere Entschädigung für sein Grundstück kämpfte. Der Bauer galt alsbald als Dickschädel. Er bekam zwar am Ende recht, mehr Geld, den Flughafen hat aber auch er nicht verhindert. Nein, klagen will Mair nicht. Aber warten.

Das letzte Schreiben von der Stadt Freising kam vor eineinhalb Jahren. Seitdem hat er nichts mehr vom Liegenschaftsamt gehört. Dass den acht Eigentümern, mit denen noch keine Einigung erzielt werden konnte, demnächst eine letzte Aufforderung zum Verkauf zugeschickt werden soll, hat er zuletzt aus der Zeitung erfahren. Seine sieben Mitstreiter und ihre Motivation kennt Mair nicht. Er jedenfalls wird auch die letzte Frist verstreichen lassen.

Wie es danach weitergeht, darauf ist er selbst gespannt. Man wird ja nicht täglich enteignet. Eine Zwangsenteignung ist eines der letzten und unliebsamsten Mittel, die einer Demokratie zur Verfügung stehen. Dient ein Vorhaben dem Allgemeinwohl, darf enteignet werden. Denn Eigentum ist sozialpflichtig. Die Entlastung des Straßenverkehrs in Freising rechtfertigt den Entzug einer Heuwiese.

Die Währung, in der Karl Mair rechnet, ist schlichtweg eine andere als Geld oder Zeit, die ein Autofahrer im Stau steht. Für Abgase und Lärm in Freising ist er freilich der falsche Ansprechpartner. Ihm ist der Preis zu hoch, den Natur und Mensch für die Untertunnelung von Vötting und eine Straße durch ein ausgewiesenes Überschwemmungsgebiet und beliebtes Naherholungsgebiet zahlen müssen. Dazu noch die Absenkung des Grundwassers.

Überhaupt versteht Mair das Argument für die Westtangente nicht: 19 Prozent Entlastung der Saar- und Johannisstraße, 25 Prozent Entlastung der Vöttinger Straße, 29 Prozent Entlastung der Münchner Straße, und so weiter - eine Rush-Hour ist für eine Stadt mit der Größe Freisings doch normal, sagt er. Wenn der Elektromeister zu seinem Arbeitsplatz in Garching muss, fährt er eben rechtzeitig los.

"Der Schmerz wird heilen", sagt Mair. Den Animationsfilm der Westtangente, den die Gegner vor dem Volksentscheid ins Netz gestellt hatten, kann er sich trotzdem nicht anschauen. Lieber geht er mit seiner Tochter den Weg, den er mit den Kühen gegangen ist: Über die Brücke über die Moosach, hinaus ins grüne Vöttinger Moos - solange es noch existiert.

© SZ vom 11.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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