Tödlicher Polizeieinsatz in Oklahoma:US-Hilfssheriff erschießt Schwarzen - angeblich aus Versehen

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  • Anfang April ist im US-Bundesstaat Oklahoma ein 44-jähriger Schwarzer von einem Hilfspolizisten getötet worden.
  • Der Fall wird erst jetzt bekannt, weil die Polizei auf Druck der Familie des Getöteten ein Video von dem Vorfall veröffentlicht hat.
  • Die Staatsanwalt muss auch die Frage klären: Wie konnte es dazu kommen, dass ein 73-jähriger Hilfssheriff bei einem derart brisanten Undercover-Einsatz dabei war?

Von Oliver Klasen

Folgenreiche Verwechslung, lückenhafter Polizeibericht

Kann man einen Elektroschocker mit einem scharfen Polizei-Revolver verwechseln? Ist es möglich, dass ein Sheriff aus Versehen einen am Boden liegenden Verdächtigen erschießt, weil er in seinem Holster nach der falschen Waffe gegriffen hat?

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Genau das ist die Erklärung der Behörden für den Tod von Eric Harris. Der 44-Jährige ist bei einem Polizeieinsatz in Tulsa im US-Bundesstaat Oklahoma getötet worden. Geschossen hat ein 73-jähriger Hilfssheriff.

"Während einer sich rasch entwickelnden Auseinandersetzung", so heißt es im Polizeibericht, habe der Beamte "geglaubt, seinen Taser [das Elektroschockgerät, das viele US-Polizisten mit sich führen, Anm.d.Red.] zu verwenden, dabei aber irrtümlich seine Dienstwaffe eingesetzt und einen Schuss abgegeben."

Der Vorfall ereignete sich bereits am 2. April, weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. In der ersten Mitteilung der Polizei fehlte einem Bericht der Washington Post zufolge sogar der Hinweis darauf, dass Harris infolge des Einsatzes ums Leben kam. Dort hieß es nur, der Verdächtige sei vor Ort medizinisch behandelt und dann "in ein örtliches Krankenhaus transportiert" worden.

Vergleich mit Fall Walter Scott

Es drängt sich der Vergleich auf mit dem Schicksal Walter Scotts, der am Ostersamstag von einem Polizisten in South Carolina erschossen wurde. Spätestens seitdem hat die Debatte um Polizeigewalt und Rassismus wieder neuen Schub bekommen - denn auch hier war der Polizist weiß und der Getötete schwarz, genau wie jetzt in Oklahoma.

Auf Druck der Familie von Harris hat die Polizei in Tulsa, wie das US-Portal Mashable berichtet, inzwischen ein Video von dem umstrittenen Einsatz veröffentlicht. Es wurde mit der Body-Cam eines beteiligten Polizisten gefilmt.

Die kurze Sequenz zeigt, wie ein Verdächtiger vor mehreren Polizisten flüchtet. Schließlich wird er eingeholt und zu Boden gerungen. "I need you to roll on your stomach. Now" - "Sie drehen sich auf den Bauch. Jetzt", sagt einer der Beamten. Dann fällt plötzlich ein Schuss. "Oh, ich habe auf ihn geschossen. Es tut mir leid", sagt jemand aus dem Hintergrund. Nach Angaben der Polizei ist es der Hilfssheriff.

Was sich dann ereignet, erinnert an ähnliche Polizeieinsätze, bei denen übermäßige Gewalt ausgeübt wurde und Menschen zu Tode kamen, weil nicht rechtzeitig Hilfe geholt wurde.

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Harris, der blutend auf dem Bürgersteig liegt, sagt: "Er hat mich getroffen. Oh mein Gott. Ich kann nicht mehr atmen." "Fuck your breath" - zu deutsch etwa: "Scheiß auf deinen Atem", sagt einer der Beamten. Und ein anderer Polizist ruft: "Du hättest nicht wegrennen sollen".

Zuvor war die Polizei Harris, der einschlägig vorbestraft ist, mit Hilfe eines verdeckten Ermittlers auf die Spur gekommen. Harris wollte dem Polizisten illegal eine halbautomatische Neun-Millimeter-Waffe und 300 Schuss Munition verkaufen. deshalb sollte er festgenommen werden.

Die Polizei in Tulsa hat nun einen Ermittler eingeschaltet, der den Tod von Harris untersuchen soll. Doch er verteidigt den 73-jährigen Hilfssheriff, wie es in einem Bericht des TV-Senders CNN heißt. Der Polizist habe unter extremen Stress gestanden und deshalb einen Fehler begangen, der unter US-Psychologen als "slip and capture" bekannt ist. Ein solcher Fehler liegt immer dann vor, wenn mit einer Handlung, ohne es zu wollen, das genaue Gegenteil dessen erreicht wird, was man beabsichtigt.

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Dass der Beamte nicht seine Pistole benutzen wollte, zeige sich unter anderem daran, dass er den Abzug nur einmal betätigt habe. Bei ihrer Dienstwaffe seien Polizisten darauf trainiert, stets zweimal zu feuern. Der Taser werde dagegen nur einmal ausgelöst. Deshalb habe der Hilfsheriff "keine Straftat begangen, sondern sei sogar ein Opfer". Ein Opfer einer tragischen Verwechslung.

Auch das Verhalten der anderen Polizisten wirft Fragen auf

In der Tat könnte hierin ein Unterschied zum Fall Walter Scott liegen. Denn verglichen mit dem Hilfssheriff, der kurz nach dem Schuss seinen vermeintlichen Fehler bemerkt haben will, hat das Verhalten des Polizisten ein South Carolina eine andere Qualität: Er schoss einem Flüchtenden in den Rücken und platzierte allem Anschein nach anschließend seinen Taser gezielt neben das Opfer, um einen vorangegangenen Kampf vorzutäuschen.

Inzwischen befasst sich die Staatsanwaltschaft mit dem Tod von Harris. Sie muss entscheiden, ob Anklage gegen den Hilfssheriff erhoben wird. Dabei könnte es auch um die Frage gehen, warum ein solcher Beamter, der hauptberuflich in der Versicherungsbranche arbeitet, bei einem derart brisanten Undercover-Einsatz dabei ist. Wie das US-Portal The Daily Beast schreibt, habe der 73-jährige in der Vergangenheit häufig größere Geldbeträge an die Polizei gespendet. Auch diese Zuwendungen werden zu untersuchen sein.

Fragen wirft auch das Verhalten der anderen an dem Einsatz beteiligten Beamten auf. Nicht nur wegen ihrer Wortwahl dem am Boden liegenden Harris gegenüber, sondern auch, weil sie erst nach mehreren Minuten einen Krankenwagen gerufen haben.

Obwohl auf dem Video ein Schuss zu hören ist, obwohl der Hilfssheriff seinen Fehler sofort bemerkt und obwohl Blut am Arm und an der Kleidung von Harris zu sehen ist, hätten sie zunächst nicht bemerkt, dass der Mann von einem Schuss getroffen worden sei, heißt es im Polizeibericht.

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