Mitten in Bayern:Das Erbe des Raffzahns

Vor 300 Jahren wäre das kleine Bayern beinahe zu einer Großmacht geworden

Von Hans Kratzer

Es mag komisch klingen, aber vor 300 Jahren wäre das kleine Bayern beinahe eine Supermacht geworden. Seine Fläche hätte sich über den halben Erdball erstreckt, sogar Südamerika wäre in die Weißwurstzone inkorporiert worden. Wir reden hier von jenem armseligen Bayernland, das überwiegend von Kuhhirten und Sauhütern bevölkert war. Aber dafür hatte diese jämmerliche Region einen größenwahnsinnigen Herrscher, der bereits die Gier eines Internetkonzerns besaß. Der Ehrgeiz des Kurfürsten Max Emanuel konnte allerhöchstens durch den Erwerb eines Weltreichs befriedigt werden.

Doch dieser Plan scheiterte in letzter Minute. Als Max Emanuels Sohn im Februar 1699 starb, platzte eine Chance, die sich für ein Land wie Bayern nur einmal in tausend Jahren bietet. Der Bub war nämlich von König Karl II. zum Universalerben der spanischen Monarchie eingesetzt worden. Fast die halbe Welt wäre damit unter wittelsbachische Obhut gelangt. Logisch, dass Max Emanuel nun versuchte, einen Teil des spanischen Riesenreichs mit Gewalt zu ergattern. Bayern wurde in den Spanischen Erbfolgekrieg hineingerissen, in dem es quasi zermalmt wurde. Nach der vernichtenden Niederlage in der Schlacht bei Höchstädt 1704 floh der Kurfürst ins Exil nach Frankreich.

Vor genau 300 Jahren, am 10. April 1715, kehrte er widerwillig in jenes am Boden liegende Bayern zurück, das er stets nur als Mittel zum Zweck betrachtet hatte. Max Emanuel hätte sein Stammland jederzeit verscherbelt oder gegen die Niederlande eingetauscht, wenn er nur den geringsten Vorteil daraus gezogen hätte.

Trotzdem war er ein bemerkenswerter Herrscher, der die ganze Widersprüchlichkeit des bayerischen Wesens abbildet, wie sie schon bei den Herzögen des Mittelalters aufblitzt und auch bei manchem Kopf der heutigen Staatsregierung. Max Emanuel hat unbeschreibliche Not über das Volk gebracht, aber gleichzeitig hat er als Bauherr und Mäzen die Landeskultur so stark geprägt, dass das moderne Bayern immer noch von seinen Taten zehrt. Seine Barockschlösser Nymphenburg und Schleißheim rangieren in der ersten Liga der europäischen Kunstbauwerke und sind eine Zierde des Tourismuslandes Bayern.

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