Energie aus Russland:Gazprom fremdelt mit Europa

Salym Petroleum Development's Siberian Oil Fields

Arbeiten in Eiseskälte: Ölförderung in der Nähe der westsibirischen Stadt Salym.

(Foto: Andrey Rudakov/Bloomberg)
  • Russlands Rohstoffkonzern Gazprom wendet sich zunehmend und ganz offen ab von Europa und hin zu China und anderen Märkten.
  • Über das Motiv hinter dem Schwenk lässt Konzernchef Miller keine Fragen offen: Er will die Konkurrenz um Energie und Rohstoffe aus Sibirien anheizen und so die Preise treiben.
  • Trotzdem wollen Gazprom und der Kreml Europa nicht völlig verärgern und signalisieren auch Kompromissbereitschaft.

Von Markus Balser, Berlin

Im feinen Hotel Four Seasons wurde schon Anfang Februar in Hongkong klar, dass für den größten Gaskonzern der Welt dieses Jahr nur noch wenig beim Alten bleibt. Gazprom-Chef Alexej Miller hatte die Millionenstadt und Sonderwirtschaftszone für die jährliche Investoren-Roadshow auserwählt - und nicht New York oder London, so wie in den vergangenen Jahren. China erwiderte das Zeichen der neuen Zuneigung auf ganz eigene Art. Die Ratingagentur des Landes, Dagong, verpasste dem angeschlagenen Konzern trotz Problemen fast zeitgleich die Bestnote AAA. Begründung: Die Sanktionen des Westens in der Ukraine-Krise würden dem Riesen schon nichts anhaben.

Die Botschaft des Treffens der neuen Partner im Osten: Dagong und Miller, Russland und China, das ist die Achse, die dem Westen Paroli bieten will. Gas aus Sibirien, so die Pläne in Moskau und Peking, könnte künftig nicht mehr nach Europa, sondern nach Asien fließen. Seither herrscht eiskaltes Schweigen zwischen Gazprom und dem Westen. Monate her war der letzte öffentliche Auftritt von Gazprom-Chef Alexej Miller nun schon, als der Konzernboss am Montag eine kleine Konferenz in Berlin zur Bühne in eigener Sache machte.

"Europa und Asien sind auf dem Weg in eine neue Energiewelt"

In einem Luxushotel der deutschen Hauptstadt nahm Miller vor nicht mal hundert Wissenschaftlern, Managern und Politikern beim Diskussionsforum des Waldai-Klubs, einer Art russischer Denkfabrik, an einer Diskussionsrunde teil. Was der gelöste Chef des Kreml-nahen Konzerns dann allerdings in einem Statement an Botschaften mitgebracht hatte, dürfte in ganz Europa neue Sorgen um die künftige Gasversorgung des Kontinents auslösen. "Europa und Asien sind auf dem Weg in eine neue Energiewelt", sagte Miller und ließ keinen Zweifel daran, dass es um keine Partnerschaft geht, sondern um Konkurrenz. China und Europa hätten vor allem eins gemeinsam: Sibirien, die Quelle ihrer Ressourcen. Was die neue Konkurrenz bedeutet, ließ Miller die versammelten Fachleute auch gleich wissen: Steigende Preise. Schon Ende dieses Jahres werde die flüchtige Ressource wieder teurer werden, kündigte Miller an. Auch im Jahr 2016 sollen die Preise weiter steigen.

Der Auftritt Millers in Berlin machte klar: Gazprom kämpft an vielen Fronten. Der Konzern spielt auf politischem Parkett in der Ukraine-Krise eine gewichtige Rolle. Im Dezember hatte er völlig überraschend das Projekt der milliardenschweren Pipeline South-Stream mit europäischen Partnern abgebrochen, um das eigene Gas nicht mehr nach Westeuropa, sondern in die Türkei zu lenken - und neue politische Allianzen in Südosteuropa zu schmieden.

Gleichzeitig hat Russlands Rohstoffmonopolist einstige Wirtschaftskraft verloren. Der Konzern ringt heute mit rückläufigen Geschäften und muss aufpassen, dass er nicht noch mehr verliert. Vor vier Jahren hatte Gazprom mit einem Quartalsgewinn von umgerechnet gut 16 Milliarden Dollar noch einen Weltrekord gebrochen und den US-Konzern Apple geschlagen. Zuletzt waren es gerade mal 1,6 Milliarden Profit im Quartal. 2008 hatte Miller noch selbstbewusst verkündet, dass der den Börsenwert "in sieben Jahren auf eine Billion Dollar" steigern will. Davon ist er heute angesichts einer Marktkapitalisierung von 50 Milliarden Dollar sehr weit entfernt.

Drohungen einerseits, versönliche Signale andererseits

Der Riese taumelt. Und er streut neuerdings wohl auch deshalb versöhnliche Signale in seine Drohungen. Die Abkehr Europas von Russland mit einer neuen Strategie auf viele Gasquellen zu setzten, berge gewaltige Risiken, sagte Miller. Russisches Gas sei für Europa unersetzbar. Miller warnte die Europäische Kommission davor, den Konzern daran zu hindern, die Ukraine mit neuen Gaspipelines zu umgehen. "Das wäre ein großer Fehler." Gazprom sei aber bereit, die lange bekämpften neuen Regeln der Kommission für die Energiepolitik zu respektieren. Selbst an neuen Pipelines innerhalb Europas wolle Gazprom sich möglicherweise beteiligen. "Wenn wir eingeladen werden, werden wir das prüfen", sagte Miller. Noch vor Kurzem hatte der Konzern erklärt, Europa müsse sich sein Gas künftig beim neuen Partner in der Türkei selbst abholen. Schon 2019 soll nach Angaben Millers Gas durch die neue Pipeline in die Türkei fließen. Stellt Russland dann seine Lieferungen über die Ukraine nach Westeuropa ein, müssten neue Pipelines das Gas über den Bosporus nach Europa liefern. "Die Zeit wird knapp, wenn Europa nicht zügig Pläne schmiedet." Bisher fließt ein Großteil der europäischen Gasversorgung aus Russland über die Ukraine. Russland will seine bestehenden Transitverträge mit dem Land jedoch nicht verlängern.

Der Rückzug von Gazprom aus dem europäischen Markt geht dennoch weiter. Schon in den nächsten Tagen soll der nächste Schlag folgen: der endgültige Verkauf einer Beteiligung an VNG, Ostdeutschlands größtem Unternehmen - einst als Sprungbrett der Russen für den deutschen Gasmarkt gedacht.

Russlands Energieminister Alexander Nowak, der zusammen mit Alexej Miller nach Berlin gereist war, machte unterdessen klar, was der Kreml vom Versuch Europas hält, sich aus der Umklammerung Russlands zu befreien. Mindestens ein Vierteljahrhundert werde der Kontinent noch vom Gas aus Russland abhängen, sagte Nowak in Berlin.

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