Öffenlicht-rechtliche Botschaft  zur späten Stunde:Weiter auf Sendung

Das "Wort zum Sonntag" ist ein Anachronismus. Und ein wohlfeiles Ziel für Spott. Es bleibt trotzdem ein Störfaktor an der richtigen Stelle, mit großen Momenten.

Von Matthias Drobinski

Dieser Text soll dem "Wort zum Sonntag" Gerechtigkeit widerfahren lassen, dafür aber geht er schlecht los. Samstag, 11. April, 22.35 Uhr, die "Tagesthemen" sind durch, vor grün verwischtem Hintergrund steht Nora Steen und lächelt streng. "Ich möchte Sie zu einem Gedankenexperiment einladen", sagt sie, "stellen Sie sich vor, Journalisten und Kameraleute belagern ein Grab." Man ahnt, was kommt: Die Auferstehung des Herrn wäre heute ein Medienereignis. "Halt!" möchte man der Pastorin zurufen, "tun Sie das bitte nicht!" Man möchte nicht wissen, ob Jesus heute Golf fahren würde, ob er bei den Grünen wäre oder bei der CSU, ob 2015 die Frauen, die vom leeren Grab berichten, ins Fernsehen kämen oder in die Therapie. Doch das Unglück nimmt seinen Lauf: Zwei Minuten kämpft Nora Steen mit den schiefen Bildern, die sie rief. Endlich kommt sie zu dem, was sie sagen will: Die Wahrheit bleibt häufig unergründlich, ob es um den Glauben an die Auferstehung Jesu geht oder den Absturz der Germanwings-Maschine. Jetzt könnte es losgehen, doch die Zeit ist um, noch schnell die Kurve genommen: Jesus ist auferstanden, "ich glaube dran". Keine große Überraschung bei einer evangelischen Pfarrerin.

So ist es, das Wort zum Sonntag. Wenn einer sagen will, dass etwas hohl pathetisch ist, onkelhaft oder tantig, ins Leere gesprochen, dann sagt er: Wie beim Wort zum Sonntag. Fußballtrainer, die über die Köpfe ihre Kicker hinwegreden, bekommen das zu hören und schlechte Redner im Bundestag. Die vom Wort zum Sonntag tragen biedere Blusen oder Cordjacketts. Der Wasserverbrauch in Deutschland steigt, wenn das Wort zum Sonntag beginnt. Dann geht das Volk pinkeln.

Doch woher kommen die knapp zwei Millionen Menschen, die jeden Samstag einem Sendeformat folgen, das allen Gesetzen des Mediums spottet? Mehr als vier Millionen waren es sogar, als jene Pfarrerin Steen in der Sendepause zum Eurovision Song Contest, den Conchita Wurst gewinnen sollte, über Identität und Geschlecht redete, mutig übrigens. Das können nicht nur jene sein, die es nicht mehr bis zur Fernbedienung schaffen. Warum ist das Wort zum Sonntag Schlagzeilen wert, vergangenen August erst, als sich der katholische Pfarrer Gereon Alter einen Eimer mit Eiswasser übergießen ließ und behauptete, Jesus hätte das gefallen? Was ist dran am Wort zum Sonntag? Ein Selbstversuch.

Das Wort zum Sonntag - 60 Jahre

Die evangelische Theologin Renate Kirsch war von 1988 -1992 Sprecherin von "Das Wort zum Sonntag".

(Foto: WDR)

Vier Männer und vier Frauen schreiben und sprechen die Beiträge, sie sind zwischen 38 und 64 Jahre alt, vier sind katholisch, vier evangelisch - die beiden großen Volkskirchen verantworten die Sendungen, ohne dass die ARD groß mitreden dürfte, auch das ist immer wieder Anlass zur Kritik. Gemeinsam ist ihnen der Kirchenberuf als Pastorin, Pfarrer, Pastoralreferentin, die Lebenswege immerhin sind akzeptabel unterschiedlich: Alfred Buß zum Beispiel war Präses der evangelischen Kirche von Westfalen, Lissy Eichert lebt und arbeitet in Berlin-Neukölln.

Die Themen zwischen Neujahr und Ostern 2015: Das Licht, vom Wert christlicher Tradition, was Satire darf und warum der Reichtum der Welt gerechter geteilt gehört, zweimal über die Hoffnung, zweimal über Ostern und einmal übers Kreuz, mehrmals über Asyl, Kirchenasyl, Flüchtlinge, Pegida, den Ukraine-Konflikt, die Zeiten sind ernst. Aber auch über Teresa von Ávila, Captain Kirk und seine Gefährten von Star Trek. Die Ansprachen beginnen meist mit einem aktuellen Beispiel aus der Zeitung oder dem Privatleben und führen übers allgemeine Philosophieren hin zum Glauben, in Struktur und Aufbau sind die Beiträge selten originell. Manchmal reduzieren die Texte den Gottesbezug auf Andeutungen, es sind die schlechteren: Alfred Buß zum Beispiel plädiert für Recyceln und dagegen, das alte Handy einfach in den Müll zu werfen. Das hat man schon tausend Mal gehört - und neunhundert Mal war es besser. Ein Geistlicher ist ein Geistlicher und kein Recycling-Experte.

Insgesamt aber sind die Vier-Minuten-Stücke meist besser als erwartet, befürchtet. Ja, es gibt lahme Einstiege und schiefe Bilder, betuliche Gestik genauso wie angestrengtes Körperwackeln. Es gibt immer noch das falsche "Wir alle", das immer ein "Ich nicht" als Antwort produzieren sollte. Man kann das unauthentische "Ich" finden: "Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber. . ." Es könnten Beiträge mutiger sein und Gedanken tiefer gehen. Der Sendung würden Juden und Muslime guttun und ein kluger säkularer Humanist - doch da sei die Machtpolitik vor, die sich mit dem schönen Sendeplatz verbindet.

´Ice Bucket Challenge" bei ARD-Sendung 'Wort zum Sonntag'

Es geht auch moderner: Pfarrer Gereon Alter ließ sich einen Eimer Eiswasser übergießen.

(Foto: Cronauge/WDR)

Und trotzdem: Es gibt Samstagabend für Samstagabend sehr viel Nachdenkliches, Suchendes, Tastendes. Das Wort zum Sonntag klotzt selten den Leuten feste Wahrheiten vors Sofa, es will sie nicht in die Kirche ziehen wie der Reeperbahn-Türsteher die Touristen in die Bar. Es versucht, Sinn und Leben zusammenzubringen. Und manchmal gibt es echte Kleinode: Stefan Claas' wunderbare Verbindung von Star Trek und Religion. Gereon Alters Beitrag zur Osternacht, wo er über seinen toten Freund erzählt und sagt, dass auch ihm, dem Pfarrer, gerade die Selbstgewissheiten zum Fest abgehen.

Man schaut zu, gewöhnt sich an die Handbewegungen zwischen Brust und Bauch, macht sich mit den Stimmen vertraut. Und es wächst die Ahnung, dass es einen tieferen Grund für den Erfolg der Fernsehansprachen gibt. Seit mehr als 60 Jahren ragt da eine andere Wirklichkeit in den Fernsehabend. Am 8. Mai 1954, bei der ersten Sendung (das Kriegsende vor neun Jahren fand damals keine Erwähnung) fiel das noch kaum auf. Heute, da die Sendung am Ende eines spaßoptimierten, an Unterhaltung übersatten Samstagabends steht, wirkt diese andere Wirklichkeit manchmal geradezu skandalös.

Als im vergangenen Jahr bei der Fußball-WM Italien gegen England spielte, trat zur Halbzeit Verena Maria Kitz an und redete über den Seitenwechsel: "Huch, die spielen ja aufs falsche Tor!", denke sie manchmal zu Beginn der zweiten Halbzeit. Häme und Spott waren groß, wie doof, typisch Frau, typisch Kirche. Wenn man den Text liest, merkt man bald: Klar wusste die Frau, was ein Seitenwechsel ist. Nicht jeder Satz war gelungen, aber insgesamt war nicht Frau Kitz doof. Doof waren jene, die nicht an sich heranlassen wollten, was die Botschaft war: Was, wenn die Reichen und Mächtigen mal kurz mit den Armen und Benachteiligten tauschen würden?

Liebes Wort-zum-Sonntag-Team: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Aber man muss eurer Sendung noch viele gute Jahre wünschen. Wer sonst wagt es, den durchgestylten Samstagabend zu unterbrechen? Religion ist Unterbrechung, hat der Theologe Johann Baptist Metz einmal gesagt.

Ihr seid im besten Sinne religiös.

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