Wahlen in Großbritannien:Camerons neue Kleider

Britain's Prime Minister David Cameron waves after presenting the Conservative party election manifesto in Swindon

Statt gegen den Gegner zu hetzen, besinnt sich Premier Cameron wieder auf seine sogenannten "Sonnenschein-Reden".

(Foto: REUTERS)
  • Drei Wochen vor den Wahlen in Großbritannien wirken die beiden größten Parteien wie ausgetauscht. Die Tories geben sich als Arbeiterpartei während Labour unter dem Slogan "Partei der finanziellen Verantwortlichkeit" Wahlkampf macht.
  • Beide Parteien liegen bei geschätzt 33 Prozentpunkten und versuchen, die Stimmen von Wechselwählern für sich zu gewinnen.
  • Gerade auch die Tories unter Premier David Cameron besinnen sich auf alte Stärken und stimmen positivere Töne an. Zuvor hatte die Partei die Taktik verfolgt, den Gegner zu diskreditieren.
  • Die Konservativen und Labour machen beide damit Wahlkampf, die Lebenssituation der Briten verbessern zu wollen. Kern des Tories-Programms ist etwa Wohnungspolitik.

Analyse von Christian Zaschke, London

Dem britischen Wahlkampf wohnt derzeit eine leicht absurde Note inne. Es wirkt, als hätten die beiden großen Parteien kurzerhand die Rollen getauscht. Premierminister David Cameron sagte am Dienstag bei der Vorstellung des Wahlprogramms der Konservativen, die Tories seien "die Partei der arbeitenden Bevölkerung". Einen Tag zuvor hatte Oppositionsführer Ed Miliband Labour als "Partei der finanziellen Verantwortlichkeit" gepriesen. Die politischen Beobachter bezeichnen den Vorgang amüsiert als "politisches Cross-Dressing".

Mit der Vorstellung der Programme hat die letzte Phase des Wahlkampfes vor der Abstimmung am 7. Mai begonnen. Cameron war mit seinen wichtigsten Ministern nach Swindon westlich von London gereist, um seine Partei auf die kommenden drei Wochen einzuschwören. Bemerkenswert war, dass er einen völlig anderen Ton anschlug als zuletzt. Bisher hatten die Tories sich sehr auf Miliband konzentriert, ihre Kampagne war überwiegend negativ und zielte darauf, den Labour-Chef persönlich zu diskreditieren. Nun versuchte Cameron, einen positiven Ton zu finden.

Nachdem er 2005 zum Chef der Konservativen gewählt worden war, wurde er in der Partei besonders für seine sogenannten Sonnenschein-Reden gelobt. Er verstand es, die Vorzüge der Tories zu preisen und eine positive Vision der Zukunft zu entwerfen; er setzte sich mit dem politischen Gegner auseinander, ohne persönlich zu werden. Offenbar versucht Cameron nun, zu diesen Anfängen zurückzukehren. Es dürfte einiges mit den jüngsten Umfragen zu tun haben, die zeigten, wie sehr viele Wähler den negativen Ton missbilligen.

Beide Parteien liegen bei rund 33 Prozentpunkten

Als kürzlich Verteidigungsminister Michael Fallon sagte, Miliband habe seinem Bruder in den Rücken gestochen, als er gegen diesen für den Labour-Vorsitz kandidierte und gewann, und plane nun, auch dem Land in den Rücken zu stechen, weil er die Atom-Flotte von vier auf drei U-Boote verringern wolle, da war auch für viele Tories eine Grenze überschritten.

Dass Tories und Labour sich gerade als Arbeiter- respektive Wirtschaftspartei neu erfinden, liegt daran, dass sie sich in den nächsten Wochen besonders um Wechselwähler in umkämpften Wahlkreisen bemühen werden. In Umfragen liegen beide Parteien bei rund 33 Prozentpunkten, jeder Sitz kann also entscheidend sein. Allerdings gilt es trotz des Mehrheitswahlrechts als unwahrscheinlich, dass eine der Parteien eine absolute Mehrheit erreicht.

Camerons Wahlprogramm ist daher eher als Verhandlungsgrundlage mit möglichen Koalitionspartnern zu verstehen. Im Kern des Programms steht, dass die Tories zur Wohnungspolitik der früheren Premierministerin Margaret Thatcher zurückkehren wollen. Diese hatte das "right to buy" eingeführt, das "Recht auf Kauf", was bedeutete, dass Mieter von Sozialwohnungen im Gemeindebesitz diese zu erheblich verbilligten Preisen kaufen konnten. Cameron will dieses Recht auf Mieter von Wohnungsbaugesellschaften ausdehnen. Bis zu 1,3 Millionen Briten hätten demnach die Möglichkeit, einen günstigen Einstieg in den Immobilienmarkt zu finden.

Labour fragt nach der Finanzierung der Tories-Vorhaben

Kritiker bemängeln, dass auf diese Weise gerade die sichersten Wohnungen mit den bezahlbarsten Mieten vom Markt genommen würden. Zudem zeige die Erfahrung, dass nicht wie versprochen für jede verkaufte Wohneinheit eine neue gebaut werde - die Quote liege bei lediglich zehn Prozent. Die Tories versprechen nun, sie würden die Einnahmen aus den Verkäufen nutzen, um 200 000 neue Sozialwohnungen zu bauen.

Des Weiteren wollen die Konservativen dafür sorgen, dass Drei- und Vierjährige bis zu 30 Stunden pro Woche kostenlos betreut werden, was für jede Familie einem Gegenwert von 5000 Pfund im Jahr entspreche. Weiterhin vorgesehen ist unter anderem, dass der Mindestlohn nicht mehr besteuert wird und Häuser im Wert von weniger als einer Million Pfund von der Erbschaftssteuer ausgenommen werden. "Wir sind die Partei der arbeitenden Bevölkerung", sagte Premier Cameron, "wir wollen, dass aus den guten Wirtschaftsnachrichten ein gutes Leben für Sie und Ihre Familie wird."

Die erste Reaktion von Labour-Chef Miliband fiel so aus, wie man es vom Vorsitzenden einer "Partei der finanziellen Verantwortlichkeit" erwarten kann. Die Tories, sagte er, hätten "überhaupt keine Ahnung", wie sie all diese Versprechen finanzieren sollen.

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