Autodesigner-Nachwuchs:Her mit unkonventionellen Perspektiven!

Autodesign bei VW: Entwürfe des Golf VII

Phillip Römers, ehemaliger Student in Pforzheim, bei der Arbeit am Design des VW Golf VII.

(Foto: Volkswagen AG)

Autodesigner - ein Traumjob? Die wenigen Studienplätze sind bei jungen Leuten begehrt. Doch die Frustrationsgefahr im Berufsalltag ist groß.

Von Steve Przybilla

Auf das Gefühl für Technik kommt es an. Genau deshalb ist Lucas Lörracher noch nicht zufrieden. Gebannt schaut er auf den großen Bildschirm, die Maus wirbelt über den Tisch. Ein Klick hier, eine Drehung da, und schon wieder eine neue Perspektive auf das 3-D-Modell. "Es sieht noch zu technisch aus", sagt der 22-Jährige, während er die von ihm entworfene Fahrerkabine mustert. Nach ein paar weiteren Klicks ist er sich sicher: "Was fehlt, ist die Emotion. Da muss ich noch mal ran."

Lörracher studiert Automobildesign im dritten Semester. Sein Entwurf könnte genauso gut aus einem Star-Wars-Film stammen. Oder aus einem Katalog für Katamarane. Zu sehen sind zwei spitz zulaufende Fahrerkabinen mit einem Segel in der Mitte. An den Seiten thronen zwei gigantische Räder, die das Vehikel vorantreiben und im Gleichgewicht halten. "Die Idee ist mir bei der ersten Skizze gekommen", sagt der Student, dessen Aufgabe recht allgemein formuliert war: Zeichne ein Fahrzeug mit zwei Rädern und einem Dach. Die meisten seiner Kommilitonen versuchten es mit Kabinenrollern, futuristischen Sportwagen oder einer breiträdrigen Lkw-Variante. "Mir liegt das nicht so", sagt der Nachwuchsdesigner. "Ich wollte lieber etwas ganz anderes machen."

Autodesigner-Nachwuchs: Maschine mit betörenden Formen: Ein Entwurf von Matthias Schenker, Student des Studiengangs Transportation Design in Pforzheim.

Maschine mit betörenden Formen: Ein Entwurf von Matthias Schenker, Student des Studiengangs Transportation Design in Pforzheim.

(Foto: Schenker)

Pforzheim als renommierte Designerschmiede

Neues wagen, provozieren, alte Denkmuster sprengen: Darauf kommt es an in diesem Metier. Lutz Fügener, Professor für Transportation Design an der Hochschule Pforzheim, ist dementsprechend zufrieden. "Was ein Auto optisch darf und was nicht, ist von Generation zu Generation anders", sagt der Experte. So betrachteten viele Senioren einen Smart häufig nicht als vollwertiges Auto, während junge Leute kein Problem damit hätten. Geschmäcke ändern sich, und damit auch das automobile Aussehen.

Mit seinem Studiengang sorgt Fügener dafür, dass auch in Zukunft genügend Fachkräfte in diesem Bereich verfügbar sind. Pforzheim gilt als eine der renommiertesten Kaderschmieden weltweit - neben Schwergewichten wie dem Royal College of Art in London und dem Art Center College of Design im kalifornischen Pasadena. Im Studium lernen die künftigen Designer ihr Handwerk von der Pike auf - von der ersten Bleistiftzeichnung über Klebeband-Entwürfe (Tapes) bis hin zum Modellieren mit Knetmasse (Clay).

Autodesigner-Nachwuchs: Neues wagen, alte Denkmuster sprengen: Während des Designstudiums sind unkonventionelle Kreationen gefragt. Entwurf von Alexej Altmann.

Neues wagen, alte Denkmuster sprengen: Während des Designstudiums sind unkonventionelle Kreationen gefragt. Entwurf von Alexej Altmann.

(Foto: Alexej Altmann)

Ein Auto - "etwas Richtiges"

Die späteren Jobs sind begehrt, genau wie die knapp bemessenen Studienplätze. "Ich habe im Tattoo-Studio meines Onkels gearbeitet", erzählt Lucas Lörracher, "irgendwann wusste ich, dass ich Dinge entwerfen möchte, aber keine Kaffeemaschine, sondern etwas Richtiges." Etwas Richtiges - im autoverrückten Deutschland ist damit ein fahrbarer Untersatz gemeint. Andere kommen über Umwege zum Autodesign: Bastian Bickelein hat zunächst eine Ausbildung zum Industriemechaniker gemacht, später zum Grafikdesigner. "Mich haben Autos schon immer interessiert", sagt der 26-Jährige. "Die technischen Grundlagen, die ich mir angeeignet habe, waren fürs Studium eine gute Basis."

Auch diejenigen, die es in die großen Konzerne geschafft haben, kommen aus unterschiedlichen Richtungen. Ulrich Beierlein etwa. Der 44-Jährige verantwortet bei Audi die Interieur-Architektur. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen, die das Innendesign der Modelle betreffen: das Aussehen der Cockpits, die Farbe der Sitze, die Größe der Knöpfe. Beierlein ist in Thüringen aufgewachsen, hat zunächst eine Ausbildung zum Werkzeugmacher absolviert und im Anschluss Maschinenbau mit Schwerpunkt Produktdesign studiert. "Damit fühlte ich mich am Anfang ein wenig wie ein Alien", sagt Beierlein, der seine Diplomarbeit bei Mercedes schrieb und seit 1997 für Audi tätig ist. Im Nachhinein sei der Seiteneinstieg ein Segen gewesen: "Das bringt unkonventionelle Perspektiven mit sich. Und genau die sind im Design gefragt."

Nur nicht zu provokant

Mazda Souga, Mazda, Automobildesign, Auto

Provokante Entwürfe sind gut für Studien wie diesen Mazda. In die Serie schaffen es solche Entwürfe fast nie.

(Foto: dpa-tmn)

Sein Kollege Philipp Römers, 35, ein führender Exterieur-Designer bei Audi, hat den klassischen Weg eingeschlagen: Schülerpraktikum bei Mercedes, Studium in Pforzheim, danach weiter zu VW und zu Audi. Römers hat am Golf VII mitgewirkt, an der zweiten Touareg-Generation und am neuen Passat B8. "Wenn wir morgens ins Designstudio kommen, betreten wir eine neue Welt", sagt Römers. "Denn mit unseren Entwürfen planen wir mindestens vier Jahre voraus."

Je extravaganter und provokanter ihre Ideen ausfallen, desto schwieriger gerät die Umsetzung. Neben mehreren Designern, die an einem Modell arbeiten, haben schließlich auch Trendforscher, Marketingbeauftragte, Sicherheitsexperten und nicht zuletzt der Vorstand ein Wörtchen mitzureden. So kann es schnell passieren, dass die Formen von Showcars, die am Messestand ein echter Hingucker sind, am Ende nicht einmal ansatzweise auf der Straße landen. Oder Autos werden wie der Golf zum Opfer ihres eigenen Erfolgs. Wer wagt es, am Aussehen des meistverkauften deutschen Autos zu drehen, solange die Kunden den Status quo kaufen?

Autodesigner-Nachwuchs: Hauptsache futuristisch: Entwurf von Tobias Benedini.

Hauptsache futuristisch: Entwurf von Tobias Benedini.

(Foto: Benedini)

"Das birgt ein hohes Frustpotenzial"

Design-Professor Lutz Fügener kennt solche Debatten aus eigener Erfahrung. "Am Anfang musste ich über jede Schraube streiten", sagt der Experte, der selbst eine Designfirma leitet und seine Karriere mit dem Projekt "Neue S-Bahn Berlin" begann. "In diesem Job muss man Idealist sein und gleichzeitig ständig Kompromisse eingehen. Das birgt ein hohes Frustpotenzial."

Befragt man diejenigen, die tagtäglich vor dieser Herausforderung stehen, fallen die Antworten beschönigend aus: "Natürlich gehört es zum Entwicklungsprozess, dass wir die Richtung immer wieder nachjustieren", sagt Römers. Beierlein erinnert sich an diverse Entwürfe, die er dem Vorstand erfolglos präsentierte: "Man muss ein Gespür dafür entwickeln, den Bogen nicht zu überspannen. Sonst zeichnet man für den Papierkorb."

Frustration hin oder her: Wenn das eigene Baby zum ersten Mal über die Straße rollt, erscheint das manchem Designer wirklich wie eine Geburt. Für Ulrich Beierlein kam dieser Moment, als "sein" Audi A7 in Produktion ging: "Dieses Auto hatte keinen Vorgänger, wir haben mit einem weißen Blatt Papier angefangen. Als er dann nach fünf Jahren Entwicklung endlich vom Fließband rollte, hatte ich feuchte Augen. Ich dachte: Die bringen wirklich meine Idee in Serie, und das gleich hunderttausendfach."

"Es geht um Mobilität als Ganzes"

BMW-Chefdesigner Karim Habib beschreibt das Gefühl noch poetischer: "Wir treten an, die Welt zu verändern, denn wir verbreiten nicht nur PS, sondern ein Lebensgefühl. Es geht um Mobilität als Ganzes." Die Bedeutung des Autodesigns werde in Zukunft sogar noch wichtiger: "Tatsache ist doch, dass man in Europa heute kein schlechtes Auto kaufen kann", sagt Habib. "Das Erlebnis gewinnt an Bedeutung - und Designer verhelfen Autos dazu, sich von anderen Marken abzusetzen."

Welche Fähigkeiten muss man sonst noch mitbringen, um in diesem Beruf zu bestehen? Habib zögert nicht lange: "Ohne Zeichentalent geht es nicht. Nur so kann man schnell einen Gedanken auf Papier bringen." Philipp Römers sieht es ähnlich: "CAD-Programme sind nützlich, aber noch lange kein Allheilmittel. Für die gute Idee reicht ein kleines Blatt Papier." Auch Teamfähigkeit ist wichtig, weil Autodesigner nicht im stillen Kämmerlein arbeiten, sondern immer in der Gruppe. Ob es um Leuchten geht, um Sitzmuster oder um das Layout des Navigationssystems: Für nahezu jede Komponente gibt es in der Industrie eigene Fachleute - und sie alle müssen konstruktiv zusammenarbeiten.

Dementsprechend früh wird auf Teamwork gesetzt. Im Studium sollen die angehenden Autodesigner sich gegenseitig helfen und ihre Entwürfe kritisch beäugen. An Lucas Lörrachers Strandsegler hat an diesem Morgen niemand etwas auszusetzen - außer er selbst. "Das Fahrzeug sieht wirklich gut aus", sagt er, "aber eigentlich braucht es kein Mensch." Das dritte Semester ist dem Berufsleben also gar nicht mal unähnlich: So manche gute Idee versandet klanglos im Zeichenblock.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: