Harald Lesch in Starnberg:Wissenschaftliches Kabarett

Lesezeit: 2 min

Der Astrophysiker Harald Lesch stellt zusammen mit sechs seiner Studenten ein Buch über die Entdeckung des Higgs-Teilchens vor. Ein schwieriges Thema? Klar. Trotzdem kommen fast 400 Zuhörer in die Starnberger Schlossberghalle und erleben einen unterhaltsamen Abend

Von Gerhard Summer, Starnberg

Herrje, Higgs-Teilchen also. Ist das nicht so was schwer Fassbares, das mit Cern zu tun hat, dem ganz großen Teilchenbeschleuniger? Und das soll die Starnberger interessieren?

Harald Lesch kommt auf die Bühne der Schlossberghalle, reibt sich die Hände und lacht, sein Pullover hat ein schwer zu definierendes Braun-Beige, aber ansonsten ist alles klar. Erstens ist Lesch nämlich begeistert, dass so viele Zuhörer gekommen sind, knapp 400 an der Zahl. Und zweitens findet er das ziemlich mutig von den Leuten. Denn: "Haben Sie eine Ahnung, was Sie erwartet?" Immerhin geht es in den nächsten zweieinviertel Stunden darum, dass Physiker im Cern Teilchen, die sie nicht kennen, auf Geschwindigkeiten beschleunigen, die sich keiner vorstellen kann, um ein Feld zu erzeugen, das die Masse eben dieser flüchtigen Teilchen erklären soll. Das sei ja fast wie Alchemie, sagt der 54-Jährige. Oder wie an der Börse, wo es um Summen und Transaktionen geht, die man auch nicht mehr vernünftig erklären kann. Aber so sei das nun mal: Der Mensch habe sich daran gewöhnt, "mit Konzepten zu arbeiten, die wir nicht verstehen".

Die Leute lachen, und schon ist man mittendrin in der Lesch-Show, einem wissenschaftlichen Kabarett, das einzigartig sein dürfte in Deutschland. Lesch ist Kult, seitdem er in der Sendereihe "alpha-Centauri" erklärt hat, was Schwarze Löcher sind und weiße Zwerge. Denn der Münchner LMU-Professor, Astrophysiker, Fernsehmoderator und Naturphilosoph hat die Gabe, einfach und mit schrägem Humor zu erklären, was die Welt zusammenhält. Als das Handy eines Besuchers klingelt, meint er: "Gehen Sie ruhig ran", im Hörsaal sage er immer: "Vielleicht ist es Stockholm." Oder: Ob Raumfahrt auf einem Wasserplaneten möglich ist? Nein, denn dazu seien Hochspannungsexperimente nötig, und die macht man unter Wasser nur einmal. Lesch gibt der schweren Materie Leichtigkeit. Er ist, wenn es das geben sollte, das Anti-Higgs-Teilchen unter den Gelehrten.

Der Physiker ist freilich nur das Vorprogramm. Den Hauptteil bestreiten sechs seiner Studenten, die gemeinsam das Buch "Die Entdeckung des Higgs-Teilchens" geschrieben haben: Judith Selig und der in Berg aufgewachsene Florian Schlagintweit, Roman Zitlau, Timothy Hall, Florian Zeller und Martin P. Dittgen. Sie erzählen, wie es zu der Publikation kam, sie sprechen über die "Weltmaschinen" im Cern, zwei Detektorsysteme, und die Auswertung der dort erzeugten Datenflut - um die 600 Millionen Kollisionen von Teilchen pro Sekunde festzuhalten, müsste man 10 000 DVDs pro Sekunde brennen. Sie präsentieren das Alphabet des Universums, also jene Quarks, Bosonen und Neutrinos, die für Materie zuständig sind. Demonstrieren mit Sombrero und Tennisball, wie man sich ein Higgs-Teilchen vorzustellen hat. Und erklären, dass im Teilchenbeschleuniger Cern alles mögliche entstehen kann, nur kein schwarzes Loch.

Die Studenten versuchen natürlich, auf Leschs Spuren zu wandeln, was sonst? Nebenbei bekommt man in dieser öffentlichen Vorlesung Einblick in die private Welt des Physikers. Es gibt also den Theoretiker, der sich in seinem unterirdischen Gemach im Cern einschließt, nur noch von Mikrowellenessen und Konserven lebt und irgendwann Skorbut bekommt. Es gibt andererseits Lesch, der einen Studenten durchwinkt, weil der weiß, in welchem Loriot-Sketch das Wort Massachusetts vorkommt ("Ein Klavier, ein Klavier, Mutter wir danken Dir"). Außerdem: Der angehende Wissenschaftler duzt seinen Professor ("unser Harald") und spricht gern in der Wir-Form, ganz so, als habe er an dem Zyklotron mitgebaut und mitgeforscht. Und: Der Physiker ist grundsätzlich schwer begeistert von dem, was im Cern passiert.

Fragen müssen die Studenten und Lesch, der Physik als "langsames Emporirren" beschreibt, in Starnberg auch noch beantworten. Wie es nach dem Higgs-Nachweis weitergeht? Mit der Suche nach Teilchen, die von Susy vorhergesagt werden. Wobei Susy für Supersymmetrie steht.

© SZ vom 16.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: