Literatur:Schwer verliebt

Der schottische Bestseller-Autor Irvine Welsh stellt im Literaturhaus seinen neuen Roman vor: "Das Sexleben siamesischer Zwillinge" ist eine obsessive Yin-und-Yang-Story über körperliche Transformationen

Von Bernhard Blöchl

Das Schöne an Lesungen ist ja, dass man die Stimme des Autors hören und sich nicht nur stumm lesend an ihr erfreuen kann. Was Irvine Welsh betrifft, ist das besonders wichtig. Die Romane des Schotten gelten als schwer zu übersetzen, der Schöpfer des Welthits "Trainspotting" spielt gern mit Dialekten, Phonetik und Orthografie, und diese stilistischen Komponenten finden in den deutschen Ausgaben kaum bis gar nicht statt. Schon deshalb dürfte es ein interessanter Abend werden, wenn Welsh an diesem Donnerstag im Literaturhaus Auszüge aus der Originalversion seines jüngsten Werks vorstellt.

"Das Sexleben siamesischer Zwillinge" heißt die obsessive Story über zwei grundverschiedene Frauen, die eine fitnessverrückt, die andere fettleibig, die ohne einander nicht sein können (um siamesische Zwillinge geht es dabei nur am Rande). Das Besondere daran: Der Mann aus Edinburgh, der inzwischen in Chicago lebt, hat seinen schrägen Plot in Miami Beach angesiedelt. Also liest ein Schotte in München einen durch und durch amerikanischen Text. Damit die Besucher sprachlich folgen können, nimmt Thorsten Nagelschmidt, besser bekannt als "Nagel", neben dem prominenten Gast Platz. Der Autor ("Was kostet die Welt") und ehemalige Musiker der Band Muff Potter stürzt sich auf die deutsche Ausgabe und wird sich zwischendurch mit Irvine Welsh unterhalten. Dass die beiden gut harmonieren, davon konnte sich das Münchner Publikum bereits vor zwei Jahren überzeugen, als das westfälisch-britische Duo Welshs Roman "Skagboys" beim Literaturfest präsentierte.

Literatur: Irvine Welsh, Jahrgang 1958, landete gleich mit seinem ersten Roman "Trainspotting" 1993 einen Welthit. Inzwischen lebt der Schotte in Chicago.

Irvine Welsh, Jahrgang 1958, landete gleich mit seinem ersten Roman "Trainspotting" 1993 einen Welthit. Inzwischen lebt der Schotte in Chicago.

(Foto: Jeffrey Delannoy)

Von Gegensätzen, die sich anziehen (und ausziehen), handelt der neue Stoff des 56-Jährigen. Lucy ist eine kompromisslose Fitnesstrainerin, die in Zahlen denkt (Kalorien, BMI, Dildogröße) und schnelle Nummern schiebt (mal mit Männern, lieber mit Frauen). Ihre jüngste Kundin ist die übergewichtige Künstlerin Lena, die Lucy anhimmelt, seit diese einen Amokläufer zur Strecke brachte und zum Medienstar hochgeschossen wurde. Lucy dagegen empfindet nur Ekel und Abscheu für die Fremde, handelt allein aus professionellem Interesse und Ehrgeiz. Zunächst. Beide Frauen schleppen gewaltige Probleme mit sich herum, die tief in ihre jungen Jahre zurückreichen, und es wäre kein anständiger Welsh-Roman, wenn nicht Verdrängung, Drogen, Sex und ein Haufen kranker Typen eine Rolle spielten.

Der Schotte erzählt eine kraftstrotzende Geschichte über uramerikanische Themen wie Schönheitswahn, Körperlichkeit, Kunst und Obsession, und wie sich der Plot zur fintenreichen und absurden Crime-Story hochschraubt, zeugt von der unverschämten Phantasie des Autors. Dieser liebt das Spiel mit der Perspektive, mal berichtet Lucy, dann wieder Lena. Immer wieder bricht der Autor mit dem eigenen Rhythmus und der Bequemlichkeit, setzt auf diverse Erzählformen, darunter E-Mails und Tagebucheinträge seiner Protagonistinnen. Alles fließt: Aus Ablehnung wird Abhängigkeit, aus Verachtung Liebe, nur die Sprache, die bleibt roh und ruppig. Aber klar: Sprachästheten suchen Eleganz ohnehin nicht bei Welsh. Als Sohn eines Hafenarbeiters in Edinburgh, der lange in der Punk-Szene aktiv war, Gefängnisse von innen kennt und sich erst mit seinem Romandebüt mit 35 die Zukunft ebnete, bleibt er sich und seinem ungeschliffenen Stil treu. Da wird geflucht, gesoffen, gekotzt, gevögelt. Auf die Unterschiede zwischen englischer und deutscher Textfassung dürfen Zuhörer gespannt sein.

Literatur: Miami Beach statt Edinburgh: Welshs Roman spielt in den USA.

Miami Beach statt Edinburgh: Welshs Roman spielt in den USA.

(Foto: Heyne)

Irvine Welsh liest aus seinem neuen Roman: "Das Sexleben siamesischer Zwillinge", Moderation und Lesung des deutschen Textes: Nagel, Do., 16. April, 20 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz 1, 29 19 34 27

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