Bayernpartie:Im Netz des Lebens

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Der Betrachter wird Teil des Kunstwerkes: In Thomas Lüers Arbeit "Pendulum" wird der Besucher aufgenommen und auf ein schwingendes Pendel projiziert. (Foto: Marco Einfeldt)

"Transflexion" - eine Video-Ausstellung im Freisinger Schafhof untersucht Zusammenhänge unserer Gesellschaft

Von Birgit Goormann-Prugger, Freising

Nichts auf der Welt existiert für sich allein. Alles, auch der Mensch, ist eingebunden in ein Netz von Beziehungen und Verknüpfungen, bedingt und beeinflusst sich wechselseitig, entsteht und vergeht in Abhängigkeit von anderem. Das ist die buddhistische Vorstellung von der Gesellschaft.

"Transflexion", eine ungewöhnliche Kunstausstellung im Freisinger Schafhof, nimmt diese Grundidee auf. Nächste Station dieser Ausstellung ist übrigens New York, was die Bedeutung dieser Arbeit ein wenig einordnen mag. Sechs Künstler gestalten mit ihren Videoarbeiten den visuellen Teil, während eine einzelne Komposition den Soundtrack für alle Kunstwerke liefert. Die Musik wurde von Alexander Hacke, Mitglied der legendären Berliner Gruppe Einstürzenden Neubauten, eigens für das Ausstellungsprojekt komponiert.

Wer das Künstlerhaus im Schafhof besucht, der bekommt erst einmal einen Kopfhörer in die Hand gedrückt und hört das Musikstück von Alexander Hacke als Endlosschleife in einer Geschwindigkeit von 120 Beats pro Minute zur Begleitung der Videos und Videoinstallationen. Beim Betrachten der Videoanimation von Helga Griffiths, die im Erdgeschoss in einem abgedunkelten Raum tomografische Aufnahmen ihres eigenen Gehirns zeigt, die im Max-Planck-Institut aufgenommen wurden, wird das Konzept der Ausstellung schnell klar. Ohne die Musik sagen die Bilder dem Betrachter erst einmal nicht viel. Tiefe, Spannung und Konturen erhält das Grau in Grau erst mit der Komposition von Alexander Hacke. Man scheint einzutauchen in das Innere eines Systems, das bestimmt ist von sich ständig verändernden Prozessen. Und mit dem Betrachten der Bilder ändert sich auch der Charakter der Musik.

Die Ausstellung der sechs Künstler, dazu gehören neben Helga Griffiths auch Thomas Lüer, Grazia Toderi, Robert Seidel, Caspar Stracke und Danielle de Picciotto, ist im Kollektiv entstanden. Nicht jedes Werk entstand für sich allein, die Künstler hielten sich über den Schaffensprozess auf dem Laufenden, stimmten sich ab, änderten sogar noch kurz vor der Eröffnung Details am eigenen Werk. Wer länger durch die Ausstellung geht, sieht die einzelnen Videoarbeiten auch nicht mehr als Einzelexponate, sondern als Teil eines durchdachten Gesamtkonzepts. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den Soundtrack von Alexander Hacke. Die Videoarbeiten erforschen die Wirklichkeit als ein Netz von Beziehungen, Abhängigkeiten und Reflektionen, auf welches jeder Einzelne mit seiner Individualität aber dennoch Einfluss nehmen kann.

So auch bei der Arbeit "Pendulum" von Thomas Lüer. Die hochkomplizierte Realtime-Videoinstallation zeigt die Projektion eines überdimensionalen vor- und zurückschwingenden Pendels im Tonnengewölbe des Freisinger Schafhofs. Ohne es gleich zu merken, wird der Betrachter von einem bestimmten Punkt aus von zwei Kameras aufgenommen und plötzlich als Bild in die Pendelkugel projiziert, erst von vorne, dann von hinten. So wird er Teil eines Kunstwerks, bestimmt dessen Erscheinungsbild durch seine eigene Existenz.

Geradezu verstörend ist die Szenerie, die die italienische Videokünstlerin und Biennale-Teilnehmerin Grazia Toderi den Ausstellungsbesuchern präsentiert. Zwei über Eck stehende Projektionsflächen tauchen einen ganzen Raum in ein pochendes oranges Licht, eine Art Stadtansicht bei Nacht. Tanzende Lichter flirren durch das Bild und zusammen mit der Musik von Alexander Hacke fühlt man sich fortgetragen in eine andere Realität. Wie Bilder wie diese in der Kunst ganz neue Perspektiven eröffnen, das ist auch das Thema eines Vortrags von Professor Bernhard Waldenfels von der Ruhr Universität Bielefeld am Sonntag, 19. April, bei einem Kunsttag zur Ausstellung im Schafhof. "Verfremdung der Erfahrung in der Kunst der Bilder" lautet der Titel. Der Virtrag beginnt um 15 Uhr, der Eintritt ist frei.

"Transflexion", Freising, Am Schafhof 1, bis 31. Mai. Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag, 14 bis 19 Uhr, Sonn- und Feiertag, 11 bis 19 Uhr und nach Vereinbarung, 08161/14 62 31

© SZ vom 17.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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