Kirche bei Fröttmaning:Im Nirgendwo

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Die älteste Kirche Münchens steht in Fröttmaning beim Stadion. (Foto: Stephan Rumpf)

Sie liegt direkt am Autobahnkreuz München Nord: Die spätromanische Kirche Heilig Kreuz ist die wahrscheinlich älteste Kirche im Münchner Stadtgebiet. An diesem Wochenende feiert sie ihr 1200-jähriges Bestehen - den Ort dagegen gibt es schon lange nicht mehr.

Von Jakob Wetzel

Zumindest an Sitzgelegenheiten mangelt es hier nicht. Ein halbes Dutzend Bänke laden zum Ausruhen ein, auf dem kleinen Friedhof, im Grünen vor der Dorfkirche oder auch am vorbeiführenden Fahrradweg. Nur: Wer soll hier sitzen? Anwohner gibt es keine mehr; die Kirche steht im Nirgendwo, das Dorf, zu dem sie einmal gehörte, ist verschwunden. Ausflügler finden selten hierher, was womöglich daran liegt, dass es an der Kirche keinen Biergarten gibt - oder daran, dass der Radweg direkt an den Faultürmen des städtischen Klärwerks Gut Großlappen vorbeiführt. Einladend ist dieser Ort wirklich nicht, eingezwängt zwischen Lastwagen und Autos, die wenige Meter entfernt von der Autobahn A 9 auf die A 99 rauschen, und einer Kläranlage, deren Geruch sich je nach Windrichtung stärker oder schwächer bemerkbar macht, mal süßlich, mal beißend, nie angenehm.

In Fröttmaning, am Stadtrand, unmittelbar neben dem Autobahnkreuz München-Nord, steht die katholische Kirche Heilig Kreuz. Sie ist die wahrscheinlich älteste, ganz sicher aber die erstaunlichste Kirche im Münchner Stadtgebiet - nicht nur, weil sie mit ihren romanischen Fresken ein kunsthistorisches Kleinod ist, sondern schon deswegen, weil sie noch existiert, allen Widrigkeiten zum Trotz. An diesem Wochenende feiert sie ihr 1200-jähriges Bestehen. Neben der Kirche ist ein Festzelt aufgebaut, es wird Musik geben, historische Vorführungen und Trachtentanz, und am Sonntag wird Erzbischof Reinhard Marx einen Gottesdienst feiern, auch Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle hat sich angekündigt. Sie begehen ein Jubiläum, mit dem noch vor wenigen Jahrzehnten kaum jemand gerechnet hätte.

Fröttmaning wurde von der Landkarte getilgt

Denn die Geschichte hat Fröttmaning übel mitgespielt. Dass ein Dorf verschwindet, das ist häufiger passiert. Oft zwangen Missernten die Menschen, ihre Siedlungen aufzugeben. Zuweilen entvölkerten Krankheiten wie die Pest ganze Landstriche, oder Höfe wurden von Soldaten verheert, etwa von den Schweden im Dreißigjährigen Krieg. In Fröttmaning aber kam es anders: Der Ort wurde bewusst von der Landkarte getilgt. Und das Verhängnis kam in Gestalt von Abwasser und Müll.

Der Innenraum der Heilig-Kreuz-Kirche. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Siedlung Fröttmaning ist viel älter als München; sie ist bereits im 6. Jahrhundert entstanden. Benannt ist sie nach ihrem Gründer, einem gewissen "Fridumar", was so viel bedeutet wie "der Friedfertige". Die erste Fröttmaninger Kirche, den Vorgängerbau der heutigen, ließ ein Nachfahre von ihm errichten, ein Mann namens Situli. Er schenkte das Gotteshaus dem Bistum Freising - und so kam am 19. April 815 der dortige Bischof Hitto auf einem Pferd angeritten, um den Bau zu weihen. Die Kirche bestand ursprünglich wohl aus Holz, der heutige Backsteinbau entstand nach Angaben des Erzbistums um 1100.

Von da an widerstanden die Fröttmaninger jahrhundertelang Isar-Hochwassern, Epidemien und Kriegen - auch dank ihrer Kirche. Das Gotteshaus diente ihnen als Zufluchtsort: Mit ihren 1,1 Meter dicken Mauern, zwei Wehrgängen und schmalen, schießschartengleichen Fenstern ließ sich die Heilig-Kreuz-Kirche gut gegen Feinde verteidigen. Bis heute erinnert daran ein länglicher Aussichtsschlitz an der Südseite der Kirche. Doch gegen das, was sich im 20. Jahrhundert über ihnen zusammenbraute, hatten die Dörfler auch mit ihrer Wehrkirche keine Chance.

"Unversehrt von menschlicher Veränderungssucht"

1931 wurde der Weiler gemeinsam mit dem benachbarten Freimann nach München eingemeindet - Fröttmaning war damals ein Bauerndorf mit wenigen Höfen, die sich um die Kirche gruppierten, "unversehrt von menschlicher Veränderungssucht", wie es in einem Alpinen Monatsheft von 1935 heißt. Doch die Zugehörigkeit zur Großstadt machte sich für Fröttmaning nicht bezahlt, im Gegenteil. Denn die Stadt München hatte ihre eigenen Pläne.

Zuerst kamen neue Fernstraßen: eine Landstraße nach Freising und die Autobahn nach Nürnberg. Sie schnitten Fröttmaning vom Durchgangsverkehr ab. Und dann kam der Münchner Abfall. In den Fünfzigerjahren florierte die Wirtschaft - und die Stadt beschloss, ihren Wirtschaftswundermüll exakt dort abzuladen, wo die Fröttmaninger Bauern seit Jahrhunderten ihre Höfe und Äcker hatten. Das Dorf musste weg, die Bauern sollten verkaufen.

Eine Rettungsbrücke wurde sogar umgeplant

Von 1954 an wuchs im Süden der Kirche der Müllberg in die Höhe - und das Dorf Fröttmaning musste weichen, Hof für Hof. Nur die Kirche blieb, wenngleich zunächst unter Vorbehalt. Denn in den Siebzigerjahren wurde die nächste Autobahn errichtet, die A 99, und die Kreuzung mit der A 9 sollte ausgerechnet dort entstehen, wo die Heilig-Kreuz-Kirche ihr mittlerweile einsames Dasein fristete. Dem spätromanischen Gebäude drohte der Abriss. Doch während die Kirche die Dorfbewohner vor Gefahren schützte, war es nun umgekehrt. Kirchenvorstand und Bürger hatten genug, sie setzten sich zur Wehr: gegen den Müll, gegen die Autobahn und zuletzt gegen die Arena des FC Bayern. Erst setzten sie durch, dass das Autobahnkreuz nach Norden verlegt wurde. Wenige Jahre später verhinderten sie, dass die Deponie bis an die Friedhofsmauern erweitert wurde. Und als die Müllkippe bereits mit einiger Mühe zu einem Park begrünt worden war, zum "Fröttmaninger Berg", wie es heute auf Wegweisern heißt, und als nebenan das neue Fußball-Stadion gebaut werden sollte, da setzten die Bürger durch, dass eine Rettungsbrücke umgeplant wurde, sie führt jetzt nicht in den Kirchhof, sondern zum früheren Müllberg.

Nach Angaben des Erzbistums entstand der heutige Backsteinbau um 1100. (Foto: Stephan Rumpf)

Heilig-Kreuz blieb zurück, fast wie ein Denkmal - aber die Kirche ist mehr als das. Tatsächlich ist sie noch immer in Betrieb, auch ohne Dorf. Von Frühjahr bis Herbst gibt es einmal im Monat eine Abendmesse, und die Menschen kommen, zwar selten zu Fuß, aber dann eben mit dem Fahrrad oder dem Auto. Auch für Hochzeiten ist Heilig Kreuz beliebt. Und die jüngste Beerdigung auf dem Friedhof der Kirche ist erst wenige Monate her. Egal, dass die Autobahn wenige Meter vor der Eingangstür vorüberführt; egal, dass es manchmal nach Abwasser müffelt und die Fröttmaninger Arena den Blick ins Heideland ersetzt hat: Für viele ehemalige Fröttmaninger Dorfbewohner sei die Kirche ihre geistliche Heimat geblieben, sagt Pater Jaroslaw Szwarnog vom Pfarrverband St. Albert-Allerheiligen. Und für ihn selbst sei sie eine Ermutigung: Was auf der Welt auch passieren mag, die Kirche, das Kreuz, stehe fest.

© SZ vom 17.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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