Planet im Wandel:Hat der klassische Artenschutz ausgedient?

Chris Thomas Universität York

Der Ökologe Chris Thomas (mit Hund).

(Foto: oH)

Die Erde verändert sich und es ist zu spät, den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen: Der britische Ökologe Chris Thomas fordert stattdessen radikal neue Ansätze für die Umweltbewegung.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Was passiert, wenn Mensch und Klimawandel dafür sorgen, dass für viele Tiere und Pflanzen immer weniger Platz auf diesem Planeten ist? Der Ökologe Chris Thomas von der University of York forscht seit Jahrzehnten über die Folgen des menschlichen Fußabdrucks auf die Artenvielfalt.

Die Artenvielfalt schrumpft fortgesetzt, schnell und unwiderruflich, heißt es. Sie stimmen dem nicht zu. Warum?

Was Menschen tun, verändert natürlich unseren Planeten und natürlich schadet es häufig Spezies, die bereits an bestimmten Orten leben. Es besteht natürlich kein Zweifel, dass wir viele Arten ausgerottet haben. Aber ich will nicht nur Fragen nach den Verlusten, sondern auch nach dem Zuwachs stellen, den wir erleben werden. Veränderung hat auch Vorteile.

Wie sehen die aus?

Ein Beispiel: In Nordeuropa finden sich auf Kalksteinböden Grasflächen, die viele unterschiedlichste Pflanzen und Tiere beherbergen. Was wir vergessen: Das war früher einmal Wald, den der Mensch irgendwann beseitigt hat. Die Abholzung hat also dazu geführt, dass bestimmte Arten aussterben, nun aber Spezies dort prächtig gedeihen, die zuvor nur an Flüssen oder Küsten existierten und jetzt neue Lebensräume besiedeln. Weil der menschliche Eingriff vor Tausenden Jahren geschah, nehmen wir diese Wiesen aber nicht mehr als vom Menschen geschaffene Umgebung wahr.

Wir halten Wiesen für natürlich.

Ja, aber die Veränderungen, die Neuansiedlungen von Pflanzen aus den vergangenen Jahrzehnten hassen wir meist - dabei spielt der Unterschied zwischen hundert und tausend Jahren für die Natur keine Rolle, im Grunde ist es die gleiche Zeitspanne.

Ist jede Art ersetzbar? Ohne Bienen bekommt das Ökosystem zum Beispiel ein Problem.

Die Dinge verändern sich, das ist richtig. Einen Specht werden sie im Wald finden, nicht aber auf einer Wiese - mit Ausnahme des Grünspechts. Wichtig ist, welche Funktion eine Spezies wahrnimmt. Mit der Bestäubung haben viele Pflanzen und Tiere zu tun. Natürlich mache ich mir Sorgen um den Rückgang bestimmter Spezies, nur erleben wir es selten, dass Pflanzen überhaupt niemanden zur Bestäubung finden.

Veränderungen so steuern, dass sie positive Folgen haben

Bedeutet das, dass wir uns zurücklehnen können?

Nein. Es gibt keinen Ort auf dem Planeten, der sich derzeit nicht aufgrund der Existenz der Menschheit verändert. Der Klimawandel wegen des von Menschen produzierten CO2 ist nur ein Beispiel. Alles ist im Wandel begriffen. Die Umweltbewegung versucht, den Zustand der Gegenwart zu bewahren oder eine Form wiederherzustellen, von der wir glauben, dass sie ursprünglich ist. Angesichts von bald neun Milliarden Menschen auf dieser Erde ist das keine glaubwürdige globale Strategie mehr.

Was ist die Alternative?

Wenn wir akzeptieren, dass sich die Dinge verändern, können wir überlegen, wie wir diese Veränderungen so steuern, dass sie positive Folgen haben.

Zum Beispiel?

Damit Spezies den Klimawandel überleben können, müssen sie Orte finden, an denen sie künftig leben können. Wir müssen Naturräume also stärker miteinander verbinden, wenn das nicht genügt, müssen wir die Arten einsammeln und sie in die neuen Naturräume bringen, um den Prozess zu beschleunigen. Bei uns in Großbritannien könnten wir überlegen, gefährdete Pflanzen aus Südeuropa anzusiedeln - bestimmte Narzissenarten aus Spanien, beispielsweise. Nur kommen wir da sofort an die Grenzen der politischen Machbarkeit.

Wieso?

Nun, die Ansiedlung fremder Spezies verstößt sofort gegen die Regeln für den Umgang mit "invasiven Arten", weil Biologen aus dem Fach sagen "versetze auf keinen Fall irgendetwas irgendwohin, weil das Probleme geben wird". Dabei wollen beide Seiten das Gleiche: die Ausrottung der Arten minimieren. Doch die eine Denkschule möchte die Veränderungen minimieren, die andere sagt: Die Dinge verändern sich, also lasst sie uns anpacken.

Sind sie optimistisch, wenn sie die Entwicklungen auf unserem Planeten betrachten?

Ich bin hin- und hergerissen. Einer aktuellen Studie zufolge hat der Mensch die Artenvielfalt in den vergangenen 500 Jahren um 13,6 Prozent dezimiert. Das ist sehr viel, aber angesichts dessen, wie stark wir diesen Planeten verändert haben, überraschend wenig. Bis zum Jahr 2100 soll die Artenvielfalt nochmals um 3,4 Prozent sinken, aber wir sind bis dahin neun Milliarden Menschen, die für den Anbau von Nahrungsmitteln weitere Ackerfläche brauchen. Andere Lebewesen werden dann nur noch einen Bruchteil dieses Planeten zur Verfügung haben. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir nicht noch viel mehr Schaden durch fehlgeleitetes synthetisches Leben, Bioterrorismus oder einen Nuklearkrieg anrichten können. Wir haben die technischen Fähigkeiten für eine Kernschmelze dieses Planeten. Aber es entwickelt sich glücklicherweise gerade nicht in diese Richtung.

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