Verteidigung:Hart am Wind

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Hat Ursula von der Leyen zu zaghaft auf Probleme mit der Waffe G36 reagiert? Nein, sagt ihr Sprecher, sie sei auch "keine Sachverständige für Gewehre".

Von Christoph Hickmann

BerlinWenn es im Verlauf einer politischen Affäre heißt, dass der Minister über dieses oder jenes Detail nun wirklich nicht informiert sein könne, ist das meist ein Indiz dafür, dass es ernst wird. In der Causa G36 war es am Freitag so weit. Da saß der Sprecher des Verteidigungsministeriums im Saal der Bundespressekonferenz und sagte: "Die Ministerin ist jetzt keine Sachverständige für Gewehre." Sie könne "auch nicht dahinter steigen", ob "hinter der einen Expertenmeinung" zu einem Gewehr mehr stecke als hinter der anderen.

Die Aussage hat einen brisanten Kontext - schließlich war es exakt jene Unkenntnis entscheidender Details, die dem damaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) in der Affäre um die Aufklärungsdrohne Euro Hawk beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Seine Nachfolgerin und Parteifreundin Ursula von der Leyen war daraufhin mit dem Anspruch angetreten, es in wichtigen Fragen ganz genau wissen zu wollen.

Berichte über Mängel hatten sich bereits in de Maizières' Amtszeit gehäuft

Was ihr Sprecher ausdrücken wollte: Von der Leyen war nach Amtsantritt mit unterschiedlichen Aussagen etwa darüber konfrontiert, ob die Ursachen für Präzisionsprobleme des Gewehrs nun in der Waffe selbst oder der Munition zu finden seien - daher habe sie sich auch nicht etwa der Verzögerung schuldig gemacht.

Und tatsächlich richtete sich das Augenmerk bislang vor allem auf de Maizière, in dessen Amtszeit sich die Berichte über Präzisionsprobleme der Waffe im heißgeschossenen Zustand sowie bei hohen Außentemperaturen gehäuft hatten. Am Freitag aber war es von der Leyens Sprecher Jens Flosdorff, der vor der Hauptstadtpresse eine volle Stunde lang Rede und Antwort zur Causa G36 stehen musste - was ungewöhnlich ist, da solche Themen in der Pressekonferenz der Regierung meist nach ein paar wenigen Fragen abgehandelt sind.

Stimmung an Bord: Ursula von der Leyen war in dieser Woche mit Offiziersanwärtern der Bundeswehr unterwegs. Allerdings nur kurz, auf dem Plöner See. (Foto: Joern Pollex/Getty)

Von der Leyens Sprecher weist Vertuschungsvorwürfe zurück

Es ging um mehrere Komplexe rund um das Gewehr. Zum einen war da die Frage, wann von der Leyen über die Probleme im Bilde war, ob sie also früher hätte reagieren müssen. Am Freitag hatte die SZ berichtetet, dass das Amt für Heeresentwicklung bereits im März 2014 deutlich Probleme mit der Waffe benannt und Verbesserungen gefordert hatte.

Im Sommer hatte von der Leyen dann eine neue Untersuchung des G36 in Auftrag gegeben, was offenbar der Grund dafür war, dass die Initiative im Planungsamt der Bundeswehr liegen blieb. Die Vorwürfe der Grünen, unter von der Leyen sei die "Vertuschungsstrategie" aus der Zeit ihres Vorgängers weitergegangen, wies Flosdorff zurück.

Gegen ihn persönlich richtete sich ein Vorwurf, den am Morgen die Bild-Zeitung erhoben hatte: den der Lüge. Das Ministerium hatte am Wochenende einen Bericht des Blatts zurückweisen lassen, wonach im Haus Schadenersatzansprüche gegen den Hersteller Heckler & Koch geprüft würden.

Am Freitag aber belegte die Zeitung, dass eben doch geprüft wird - woraufhin Flosdorff nach einigen Nachfragen einräumte, das Dementi sei "im Tenor" sicherlich "übers Ziel hinausgeschossen". Es sei tatsächlich "Routine", in solchen Fällen Schadenersatzansprüche zu prüfen, und man könne "noch nicht abschließend bewerten", was herauskomme, sagte er. Es werde aber "wahrscheinlich" keinen Anspruch gegen den Hersteller geben.

In fünf bis sechs Wochen soll der Bericht der Experten bewertet sein

"Es ist sicherlich nicht sachgerecht, jetzt in Bausch und Bogen dieses Gewehr für untauglich zu erklären", sagte Flosdorff. Vielmehr sei es so, dass "unter normalen Bedingungen dieses Gewehr sich durchaus im Rahmen dessen verhält, was man von so einem Gewehr erwartet". Der Einsatz etwa im Dauerfeuer, wie er in Afghanistan notwendig wurde, sei nun einmal nicht das, was man vor der Bestellung in den Neunzigerjahren zugrunde gelegt habe. Es sei auch nicht das, was die Soldaten der Bundeswehr "täglich in ihren Einsätzen erleben". Es sei aber "ein Szenario, das wir nicht vernachlässigen dürfen".

Zusammengefasst soll die Botschaft also lauten: Ja, es gibt Präzisionsprobleme unter den bekannten Bedingungen - aber der Hersteller hat trotzdem das geliefert, was der Auftraggeber einst verlangt hat, als er für diese Bedingungen noch nicht plante (wobei die Bundeswehr bereits 1993 in Somalia eingesetzt war, wo zwar kein Dauerfeuer gefragt war, dafür aber hohe Außentemperaturen herrschen).

Untersuchuungsausschuss steht weiter im Raum

Die Präzisionsprobleme hatte von der Leyen bereits kürzlich eingeräumt und damit die Ergebnisse jener Untersuchung vorweggenommen, die sie im vergangenen Sommer selbst in Auftrag gegeben hatte. Der zugehörige Abschlussbericht sollte laut Ministerium noch am Freitag bei den zuständigen Parlamentariern eintreffen.

Man werde, sagte von der Leyens Sprecher, nun "noch mal fünf, sechs Wochen brauchen", um den Bericht zu bewerten. Allerdings ist davon auszugehen, dass es dann in der schier endlosen Kette von Untersuchungen vorerst keine weiteren geben wird: Bei der Untersuchung sei "geballter Sachverstand, wissenschaftlicher ballistischer Sachverstand" am Werk gewesen, sagte Flosdorff. "Das hat schon eine Schwere, und das hat schon eine Validität." Bis in den Herbst sollen zudem die beiden Expertenkommissionen zum G36 arbeiten, die von der Leyen eingesetzt hat. Am Freitag war weiterhin offen, ob die Grünen einen Untersuchungsausschuss anstreben.

© SZ vom 18.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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