Aussterbende Handwerksberufe:Die Letzten ihrer Art

Leisten für Maßschuhe hängen bei Maßschuhmacher Alexander Preiß in seiner Werkstatt in Dresden an de

Leisten für Maßschuhe hängen bei Maßschuhmacher Alexander Preiß an der Decke.

  • Seit dem Mittelalter sind schon ganze Berufszweige verfallen und andere neu entstanden - oft unabhängig von Zäsuren wie Industrialisierung und Digitalisierung.
  • Manche Berufe haben mit der Zeit ihr Arbeitsfeld komplett verändern, andere sich gemeinsam mit der Technik weiterentwickelt.
  • Wer sich nicht angepasst hat, kann sich oft gerade dadurch von der Massenproduktion absetzen - und im Nischengeschäft bestehen.

Von Pia Ratzesberger

Der Niedergang des Handwerks, wie oft wurde er schon prophezeit. Als die industrielle Revolution über Europa hinweg wälzte und Maschinen begannen, die menschliche Arbeitskraft zu ersetzen, sagten Nationalökonomen wie Gustav Schmoller dem Berufsstand eine düstere Zukunft voraus: Das Handwerk werde zurückgedrängt, "fast in allen Zweigen der Industrie", schrieb der Wirtschaftswissenschaftler im 19. Jahrhundert.

Damit gehörte er wohlgemerkt noch zu den Optimisten seiner Zeit, andere sprachen nicht einmal mehr von einem allmählichen Zurückdrängen, sondern von einem sofortigen Verschwinden. Recht behalten sollten sie zwar alle nicht. Denn das Handwerk und die Industrie existierten letztendlich in neuer Form neben- und miteinander weiter - doch die Befürchtungen blieben. Auch heute noch wird so manchem handwerklichen Beruf ein baldiges Ableben bescheinigt.

Die Masse will die Produkte nicht mehr

Wer sich die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit ansieht, dem erscheint das erst einmal nicht abwegig: Demnach gab es im vergangenen Jahr in der Holzverarbeitung, hierzu zählen unter anderem Böttcher und Wagner, bundesweit zum Beispiel etwa 800 Fachkräfte. Bei den Pinsel- oder Bürstenmachern waren es etwa 1500. Und bei den Hufbeschlagschmieden, zumindest bei denen, die vor der staatlichen Anerkennung eine mehrjährige Ausbildung durchlaufen, gerade einmal etwa 500.

All diese Berufe eint, dass die Masse ihre Produkte nicht mehr nachfragt. Entweder, weil sie industriell gefertigt sehr viel günstiger zu kaufen sind. Oder, weil die Produkte von den meisten Menschen nicht mehr benötigt werden - wer bewahrt bis auf den Winzer oder den Bierbrauer heute schließlich noch Getränke in Fässern auf?

Schon im Mittelalter sind Berufe verschwunden

Das Verschwinden von Berufen ist außerdem nichts, was an Zäsuren wie die Industrielle Revolution oder die Digitalisierung der vergangenen Jahre gebunden wäre. In der Geschichte der Menschheit sind schon immer ganze Berufszweige verfallen und andere dafür neu entstanden, bereits seit dem späten Mittelalter.

"Die Schmiede von Kettenhemden zum Beispiel verloren ihre Aufgabe mit dem Verschwinden der Ritter und deren Rüstung", sagt der Wirtschaftshistoriker Reinhold Reith von der Universität Salzburg. "Solche Änderungen vollziehen sich nicht von heute auf morgen, sondern bilden einen Jahrzehnte überdauernden Prozess". Er ist auch immer von gesetzlichen Vorgaben und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig.

Manche passen sich an, andere entwickeln sich weiter

Wie sich die Berufe wandeln, variiert. Die einen passen sich an, stecken ihr Arbeitsfeld mit der Zeit neu ab. Die Schuhmacher zum Beispiel konnten im 20. Jahrhundert mit den billigen Produktionspreisen der Fabriken nicht mehr mithalten und haben sich deshalb weg von der Fertigung hin zur Reparatur von Schuhwerk orientiert. "Ganz ähnlich war es damals beim Schneider oder dem Schreiner", sagt Reith.

Manche Berufe haben sich zudem gemeinsam mit der Technik weiterentwickelt. Aus dem Werkzeugmacher ist heute der Feinwerkmechaniker geworden, der Hochleistungswerkzeuge für Industrieroboter anfertigt. Aus dem Drucker, der noch Setzkästen verwendete, der Drucker, der mit Digitaltechnik arbeitet.

Traditionalisten setzen sich von Massenprodukten ab

Die anderen dagegen haben sich nicht angepasst, sondern üben ihre Tätigkeit wie bisher aus: An den Produktionsprozessen von Böttchern, Wagnern oder Kürschnern hat sich im Großen und Ganzen über die Jahre nicht viel geändert. Genau das wiederum ist ihr Vorteil. Denn die Betriebe, die sich trotz des Wandels gehalten haben, setzen sich so von der Massenproduktion ab - und bestehen im Nischengeschäft.

"Unsere Gesellschaft ist von zwei gegenläufigen Entwicklungen geprägt. Zum einen sind viele nicht mehr bereit, für Handwerk zu zahlen, wie zum Beispiel bei den Backwaren. Dort dominiert mittlerweile industriell hergestellte Billigware. Zum anderen gibt es eine kleinere Gruppe, die handgefertigte Produkte umso mehr schätzt", sagt Alexander Legowski vom Zentralverband des Deutschen Handwerks.

Ein Beispiel ist, dass es plötzlich wieder eine Nachfrage nach rahmengenähten Schuhen gibt oder nach genau eingepassten Regalen - aber eben nur von einer kleinen Gruppe, die sich solchen Luxus leisten kann. Ob das allein reicht, damit sich der Betrieb rentiert, ist davon abhängig, ob im Umkreis genügend solcher Kunden leben. Kein Zufall also, dass sich viele alte Handwerksbetriebe vor allem in den Großstädten der Republik finden.

Nur noch wenige Arbeitnehmer produzieren etwas Greifbares

"Diese individuelle Sparte des Handwerks konkurriert heute nicht mehr mit der gemeinen Industrie", sagt auch Werner Eichhorst vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit. Und das, während die restliche Arbeitswelt in Deutschland zunehmend abstrakter und ausdifferenzierter wird. Die Mehrheit hierzulande produziere gar nichts mehr Greifbares, sagt Eichhorst, und ihr Anteil werde noch weiter zunehmen.

In einer Zeitschrift des Forschungsinstituts schreibt der Wissenschaftler, dass in Zukunft vor allem Berufe gebraucht werden, die technologische Innovationen hervorbringen - also Mathematiker, Informatiker, Ingenieure, Maschinenbauer. Zudem aber auch Tätigkeiten, in denen Kreativität und soziale Intelligenz gefragt sind - im Management oder im Sozialwesen zum Beispiel. Welche Berufe tatsächlich einmal gänzlich verschwinden, welche sich verändern und welche wie bisher weiter bestehen werden, das könne selbstverständlich niemand mit Gewissheit vorhersagen.

Nationalökonomen wie Schmoller mussten sich im 19. Jahrhundert schließlich auch eingestehen: Sie lagen nicht ganz richtig.

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