Kritik:Reigen zum Tode

"Unschuld" von Dea Loher am Theater Erlangen

Von Florian Welle, Erlangen

Landläufig steht das Meer für Aufbruch und Freiheit. Dea Lohers Stück "Unschuld" spielt an der See, und diese ist für die Figuren nur ein weiterer Ort, an dem man sich umbringen kann. Freiheit ja, aber es ist eine Freiheit zum Tode. Loher ist eine schonungslose Dramatikerin, und Klischees gilt es in einer gottverlassenen Welt zu dekonstruieren. Sie sind verlogen, und wer genau hinsieht, weiß das. Dea Loher sieht immer genau hin. Sehen und damit Erkennen und Verkennen spielen die zentrale Rolle in "Unschuld".

Es ist ein bitterer Szenenreigen, der den Figuren nach und nach jede Illusion raubt. Unschuldig ist hier nichts und niemand. Schon gar nicht der Blick. Elisio und Fadoul sind illegal im Land. Die Angst, entdeckt zu werden, prägt ihre Körperhaltung. Christian Wincierz als Elisio und Patrick Nellessen als Fadoul haben in der Inszenierung der Erlanger Intendantin Katja Ott zu Beginn Mütze und Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Liegt in der verdrucksten Haltung der Grund, warum sie zu spät die Frau erkennen, die vor ihnen im Meer ertrinkt? Bis sie sich entschließen zu helfen, ist es zu spät, und die Unschuld der beiden dahin.

Später lernt Fadoul noch das blinde Mädchen mit dem bizarren Namen "Absolut" kennen - sie verlieben und verlieren sich dann doch wieder. Violetta Zupančič spielt das Mädchen, und sie spielt es so, dass klar wird: Trotz oder gerade wegen ihrer Blindheit ist sie die zäheste Person im Stück. Sie hat den Durchblick - natürlich schimmert hier die Weisheit der blinden Seher in der griechischen Tragödie durch. Ganz anders die Philosophin Ella, die von Marion Bordat als zutiefst verbitterte Frau dargestellt wird.

Dann ist da noch Frau Habersatt, deren Wunsch nach einem Kind niemals in Erfüllung gegangen ist, und die sich deshalb in fremde Leben einschleicht. Überzeugend als Ausbund an Hilflosigkeit: Anja Lechle. In der Ehe von Rosa und Franz beachtet man einander schon lange nicht mehr. "Du kannst durch mich hindurch sehen", wirft Rosa ihrem Mann vor, doch der hat nur Augen für die Leichen, die er präpariert. Janina Zschernig und Daniel Seniuk schaffen es, eine Atmosphäre totaler Vereisung herzustellen, die nur aufgebrochen wird von Rosas zuckerkranker Mutter. Diese spielt Regine Vergeen, und sie ist so herrlich ätzend und zynisch, dass ihr die wenigen Lacher gebühren.

Katja Ott ist es gelungen, den Text in seiner Mischung aus bildgewaltiger Poesie und knallharter Rollenprosa konzentriert, mit eindringlichen Momenten zu inszenieren. Das Bühnenbild, ein verschachteltes Gerüst, dreht sich immerzu: Symbol der Wiederkehr des Gleichen.

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