Pullach:Gesichter der Geretteten

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Ein Junge wartet in Föhrenwald auf die Ausreise nach Norwegen. (Foto: Joint Distribution Committee Archives, New York, 1952)

Das Geschichtsforum und die Gemeinde Pullach zeigen Bilder vom Kriegsende, die wenige kennen - mit einer Ausstellung über die Kinder vom Lager Föhrenwald und einem Film über den Todeszug von Seeshaupt

Von Konstantin Kaip, Pullach

Die Kinder, die derzeit auf großformatigen Schwarz-Weiß-Fotos im Foyer des Pullacher Bürgerhauses zu sehen sind, wirken glücklich: Sie drängen sich lachend um einen Eismann und seinen Kühlwagen, posieren Arm in Arm oder schlendern mit den Händen in den Hosentaschen eine sonnige Straße entlang. Es sind Bilder aus der Nachkriegszeit, aufgenommen im Isartal, genauer gesagt in Föhrenwald bei Wolfratshausen, dem heutigen Ortsteil Waldram. Föhrenwald war nach dem Krieg das größte und am längsten bestehende Lager für sogenannte Displaced Persons - heimatlos gewordene Juden aus Polen, Litauen, Russland, Rumänien und Ungarn. Sie fanden dort eine Zwischenstation nach ihrer traumatischen Vergangenheit in Konzentrationslagern der Nationalsozialisten und vor einer ungewissen Zukunft in den USA oder Palästina. Sie selbst nannten sich auf Hebräisch "She'rit Hapletah", was so viel bedeutet wie "Rest der Geretteten".

Die Fotodokumentation, die das Geschichtsforum Pullach noch bis 30. April zeigt, richtet ihren Blick explizit auf die Kinder, die einen Großteil der Bevölkerung des Lagers ausmachten. Bereits 1945 waren zwei Drittel der etwa 2000 Bewohner der ehemaligen nationalsozialistischen Modellsiedlung für die Rüstungsindustrie minderjährig. Viele hatten ihre Eltern verloren und lebten in dem Waisenhaus, das man dort eingerichtet hatte. Die Bewohner des Lagers litten unter den Folgen von Flucht, Vertreibung und Verfolgung. Die Kinder von Föhrenwald sollten davon möglichst wenig mitbekommen. Weitgehend abgeschirmt von der Außenwelt konnten sie wieder zur Schule gehen und an den jüdischen Festen teilnehmen, die ihren Alltag prägten. Sie spielten Basketball, bauten Schlitten, gingen ins Kino.

Die Bilder, die nun in Pullach zu sehen sind, hat Sybille Krafft zusammengetragen, aus Privatbesitz und internationalen Archiven. Die Historikerin und Journalistin hat die Ausstellung, die auch schon im Jüdischen Museum in München zu sehen war, für den Verein "Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald" konzipiert, der ein Erinnerungsprojekt verwirklichen will, in dem Haus, in dem zu Zeiten des DP-Camps ein rituelles jüdisches Bad eingerichtet war. Krafft hat für das Bayerische Fernsehen auch einen kleinen Film gedreht, der im Bürgerhaus auf einem Monitor zu sehen ist: Er ergänzt die Bilder der Ausstellung mit Filmaufnahmen von Föhrenwald aus der Nachkriegszeit und lässt Anna und Benjamin Braun zu Wort kommen, die dort 1955 geheiratet haben. Die Erinnerungen der beiden beim Gang durch die Siedlung heute lassen erahnen, was das Leben in dem provisorischen "Schtetl" im Isartal einst gewesen sein muss: Sie sprechen von unbeschwerten Tagen, von einer "Erholung" nach "sehr schweren Zeiten", mit richtigem Essen und einer richtigen Jugend.

Kurz bevor sich das offizielle Ende des Zweiten Weltkriegs zum 70. Mal jährt, zeigt das Geschichtsforum Pullach die Bilder, die berühren - weil sie ganz normale Kinder zeigen, die wieder Kinder sein durften nach einer schrecklichen Zeit. Es sind ungewöhnliche Bilder aus der Nachkriegszeit, vielen noch unbekannt, wie Angelika Bahn-Benker sagt. Sie selbst sei in Icking zur Schule gegangen, erzählt die Vorsitzende des Geschichtsforums Pullach, und habe als Schülerin nie etwas vom wenige Kilometer entfernten Lager Föhrenwald gehört. "Die Geschichte, die sich vor unserer Haustür abgespielt hat, ist oft so unbekannt", sagt Bahn-Benker. Das wolle das Geschichtsforum Pullach ändern.

Einblicke in eine weitgehend unbekannte weil lange verdrängte Episode des Kriegsendes zeigt auch der Film "Endstation Seeshaupt", den die Gemeinde am 27. April im Bürgerhaus zeigt: Er ist eine Dokumentation über die Fahrt des sogenannten Todeszuges, der im April 1945 voller KZ-Häftlinge aus dem Dachauer Außenlager Mühldorf-Mettenheim durch Bayern geschickt wurde. Bevor der Zug in Seeshaupt befreit wurde, soll er am Bahnhof Großhesselohe gehalten haben. Nach der Vorführung im Großen Saal des Bürgerhauses (Beginn: 19.30 Uhr) wird es eine Diskussionsrunde geben. Am Gespräch nimmt nicht nur der Filmemacher Walter Steffen teil, sondern auch der Pullacher Paul Müller, dessen Großvater Lokführer in einem der Züge mit KZ-Häftlingen aus Mühldorf war.

© SZ vom 18.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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