Forum:Gesundheit 4.0

Forum: Axel Ekkernkamp ist Ärztlicher Direktor, Geschäftsführer des Unfallkrankenhauses Berlin und Mitglied des "Ayinger Gesprächskreises".

Axel Ekkernkamp ist Ärztlicher Direktor, Geschäftsführer des Unfallkrankenhauses Berlin und Mitglied des "Ayinger Gesprächskreises".

(Foto: privat)

Deutschland sollte die Chancen der Digitalisierung nutzen, damit der medizinische Fortschritt beim Menschen ankommt. Stichworte sind E-Health und Telemedizin.

Von Axel Ekkernkamp

Wir leben in einer Gesundheitsgesellschaft. Gesundheit hatte noch nie einen solchen Stellenwert wie heute. Der Gesundheitsmarkt wird zu einem wichtigen Faktor der deutschen Wirtschaft. Mit mehr als fünf Millionen Beschäftigten ist das Gesundheitswesen die größte Branche. Die Gesundheitswirtschaft ist mit mehr als elf Prozent am Bruttoinlandsprodukt eine Wachstumsbranche, ihre Bruttowertschöpfung beträgt fast 300 Milliarden Euro im Jahr. Bis 2030 schätzt eine Studie von Roland Berger den Markt auf mehr als 400 Milliarden Euro.

Zu den beiden Megatrends, denen sich die Gesundheitspolitik in den kommenden Jahren stellen muss, gehören der demografische Wandel und die Digitalisierung. Die Alterung der Gesellschaft erfordert neue Technologien in der Medizin und bietet neue Chancen für eine bessere und effizientere Versorgung. Ziel ist der Erhalt der Selbständigkeit älterer Menschen. Medizin und IT wachsen dabei immer stärker zusammen. Stichworte sind E-Health, Telemedizin und Telemonitoring.

Demografie und Digitalisierung werden die Gesundheitspolitik unter erheblichen Veränderungsstress setzen. Die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten wird sich verändern und viele Besuche überflüssig machen. Mehr als die Hälfte der in Deutschland niedergelassenen Ärzte nutzt soziale Netzwerke wie Facebook oder Google. Krankenhäuser vernetzen sich, auch um voneinander zu lernen. Über Gesundheit wird zunehmend im Netz diskutiert. Digitale Krankenakten können Leben retten. Es geht längst nicht mehr um das "Ob" der Digitalisierung des Gesundheitssystems, sondern um das "Wie". Auch hier gilt der Satz "Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert".

Die USA und Israel investieren Milliarden für IT in der Gesundheit. Deutschland liegt bei der Nutzung von E-Health in der EU im hinteren Mittelfeld. Die Kliniken geben beispielsweise nur ein bis zwei Prozent ihres Budgets für IT aus. Unser Nachbar Dänemark investiert dagegen das Zehnfache. Bei den großen Trendthemen der Gesundheits-IT geben andere Länder den Ton an. Dabei lassen sich mit intelligenter Datennutzung Krankheiten effizienter bekämpfen, das Gesundheitswesen regionalisieren und Kosten sparen.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat jetzt einen Entwurf für das E-Health-Gesetz vorgelegt und mehr Tempo bei der Digitalisierung angemahnt. Kassen, Ärzte, Krankenhäuser und die gesamte Selbstverwaltung müssen sich schneller bewegen und den Herausforderungen stellen. Die entscheidende Frage ist nicht, welche Aufgaben der Computer in Zukunft allein übernehmen kann, sondern wie Computer bei der Lösung schwieriger Aufgaben unterstützen können. Computer und IT sind eine Ergänzung und kein Ersatz für Ärzte und Krankenhäuser. IT-gestützte Kommunikationsstrukturen werden die Krankenhauslandschaft der Zukunft prägen und zu mehr Transparenz und Qualität führen. Die elektronische Gesundheitskarte kann dabei zum Katalysator werden.

Der intelligente Rollator navigiert den verirrten Patienten sicher nach Hause

Zu den "Hot Health Topics" gehören vor allem die enormen Möglichkeiten durch IT. Big Data verändert alle bisher bekannten zeitlichen und räumlichen Dimensionen. Speicherkapazitäten, Zugriffsmöglichkeiten, Transparenz unter Beachtung des Datenschutzes fordern das deutsche Gesundheitssystem heraus. Big-Data-Analysen können zum Beispiel im Krankenhaus zum Risiko-Screening eingesetzt werden. Anhand von Patientendaten lässt sich berechnen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Patient nach einer Hüftoperation Komplikationen entwickelt. "Home Care", "Aging in Place" oder "Glücklich und gesund zu Hause älter werden" sind die neuen Versprechungen.

Mehr als die Hälfte der Deutschen nutzt das Internet, um sich über Gesundheitsthemen zu informieren. Der medizinische Internetsurfer in Deutschland ist im Durchschnitt 59 Jahre alt. Von den Trends Digitalisierung und demografischer Wandel kann Deutschland besonders profitieren. So erleichtern sensorgestützte Assistenzsysteme älteren oder kranken Menschen das Leben. Der intelligente Rollator navigiert den verirrten Patienten sicher nach Hause.

Auch die sogenannte Printing Revolution oder das Nutzbarmachen der dritten Dimension führt zu einem Qualitätssprung. Kiefer- und Gesichtskorrekturen, Rekonstruktion von Füßen und Becken, alles kann heute dreidimensional geplant und mit größter Akribie, vorhersehbarem Resultat und dennoch individuell realisiert werden, ein Quantensprung in der Entwicklung. Enorme Anstrengungen werden heute weltweit unternommen, um operative Prozesse zu verbessern, dabei werden Roboter eine noch größere Rolle spielen als heute. Die deutschen Wunden aus Zeiten der Hüftgelenkroboter sollten vernarbt sein.

Häufig auszuführende Prozeduren, die einer besonderen Präzision bedürfen, können nicht dauerhaft vom manuellen Geschick des Operateurs und seiner Tagesform abhängen, auch wenn der Chirurg durch Navigationshilfen unterstützt wird. Auf diesem Feld könnte Deutschland leicht den Anschluss verlieren. Ziel muss daher sein, Datenschutz, Datensicherheit und Qualität zu verbinden und rasch eine Gesundheits-IT "made in Germany" aufzubauen. Das E-Health-Gesetz spielt dabei eine zentrale Rolle.

Die technische Ausstattung von Haus und Wohnung, die Entwicklung der Smart Homes, hat zahlreiche Verknüpfungspunkte zu "Aging in Place", aber auch zu individuellen Ansätzen. Folgerichtig bleibt als weiteres internationales Hot Health Topic die personalisierte Medizin mit ihren enormen Möglichkeiten. Sie könnte den Blick weg vom Durchschnittspatienten hin zur betroffenen Person lenken. So begrüßenswert die Fortschritte der Molekularen Medizin auch sein mögen, so erfreulich die Ansätze in der Kinderonkologie, bei Mamma- und Ovarialkarzinom auch sein mögen, so ist aktuell zu konstatieren, dass es noch enormer Entwicklungsschritte bedarf, bis wir den allgemein gültigen Therapiestandard gegen hochindividuelle Lösungen eintauschen können.

Bei aller Begeisterung für technischen Fortschritt geht es im Gesundheitswesen und in der Gesundheitswirtschaft mehr als in jedem anderen Feld um Menschen. Betroffen sind weltweit gut sieben Milliarden, die entweder medizinische Leistungen anbieten oder von ihnen profitieren wollen. Sektorenübergreifende Vernetzung, Telemedizin und Datenschutz sind die Überschriften der digitalen Revolution im deutschen Gesundheitswesen. Es gilt, alle technischen Möglichkeiten zu nutzen, damit der medizinische Fortschritt allen Patienten zur Verfügung steht.

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