Flüchtlingspolitik der EU:Ertrinkende retten - und dann?

Flüchtlinge auf dem Mittelmeer

Flüchtlinge, die mit ihrem Boot in unmittelbarer Nähe des Frachtschiffes OOC Jaguar auf dem Mittelmeer gekentert sind

(Foto: Opielok Offshore Carriers/dpa)

Natürlich muss Europa Menschen retten, bevor sie im Mittelmeer ertrinken. Aber das wird das Problem nicht lösen. Es gilt, die Ursachen der Massenflucht anzupacken. Zum Beispiel in Libyen.

Kommentar von Daniel Brössler

Italiens Außenminister Paolo Gentiloni hat seine Kollegen aus der EU ermahnt, dass das Ansehen der Europäischen Union auf dem Spiel steht. Dies ist eine gut gemeinte, aber doch groteske Untertreibung. Das Ansehen der EU steht auf dem Spiel, wenn es um die Höhe von Entwicklungshilfe geht oder um Europas Vorbildrolle beim Umweltschutz. Wenn tausend und abertausend Menschen im Mittelmeer ertrinken, dann geht es nicht um Europas Ansehen, sondern um Europa. Es geht darum, ob europäische Politiker sich noch ohne zu erröten auf jene Humanität berufen können, welche die EU im Kern ausmachen soll. Die Flüchtlingskrise zwingt die Europäische Union zum Handeln. Ungewiss ist nur, wie viel die EU mit ihrem Handeln wird bewirken können.

Klar muss nun endlich sein, dass das richtige Mittel gegen Zynismus nicht Zynismus sein kann. Gegen das italienische Seenotrettungsprogramm Mare Nostrum waren weniger die Kosten ins Feld geführt worden als die angebliche Hilfestellung, die es den Schleusern geboten haben soll. Seenotrettung geriet in den Ruch der unbeabsichtigten Beihilfe zum Menschenschmuggel. Vertreten wurde die Logik - auch von Bundesinnenminister Thomas de Maizière -, dass mehr Rettung nur noch mehr Flüchtlinge aufs Mittelmeer lockt. Auf schreckliche Weise hat sich nun gezeigt, dass weniger Rettung zunächst nur eines heißt: mehr Tote. Die Schleuser nehmen den Tod der Flüchtlinge immer in Kauf, auch dann, wenn die Überlebenschancen sinken. Das ist zynisch. Zynisch war aber auch der Versuch der EU, die "Brücke über das Mittelmeer" (de Maizière) zu versperren, indem die Lebensgefahr wieder erhöht wird.

Die Politik der unterlassenen Hilfeleistung - denn auf nichts anderes lief das verkleinerte Programm Triton hinaus - werden die EU-Staaten nun vermutlich erst einmal beenden. Italien fordert europäische Solidarität ein bei der Finanzierung einer besseren Seenotrettung und wird sie bekommen. Die EU hat, will sie sich nicht selbst verraten, hier ungefähr so viel Spielraum wie der Notarzt, der zum Infarktpatienten gerufen wird. Er muss Erste Hilfe leisten und für den schnellen Transport ins Krankenhaus sorgen. Die EU muss Erste Hilfe leisten, aber sie muss sich auch im Klaren sein, dass die Aufgabe damit nicht gelöst ist. Diese wird vielmehr immer größer.

Der Glaube an die Kraft militärischer Lösungen hat sehr gelitten

Es gilt, das ist nun unentwegt zu hören, die Ursachen der Massenbewegung übers Mittelmeer anzupacken. Darauf, dass dies nötig ist, können sich EU-Außenminister blitzschnell verständigen. Unendlich lange kann es dauern, wenn es ums Konkrete geht. Was zum Beispiel tun für Libyen? Der Staat ist eigentlich keiner mehr, weshalb er auch zum Haupttransitland für den illegalen Weg nach Europa werden konnte. Die EU hätte gerne, dass sich die beiden verfeindeten Regierungen verständigen und unterstützt den von den Vereinten Nationen organisierten Dialog. Die EU wäre auch bereit, mit einer Mission im Bereich von Polizei und Grenzschutz für mehr Sicherheit in Libyen zu sorgen, allerdings erst wenn die Lage es zulässt und eine Einheitsregierung zustande gekommen ist.

Wenn es mehr Sicherheit gibt in Libyen, ist die EU also auch bereit, für mehr Sicherheit zu sorgen. Das klingt nach einer böswilligen Zuspitzung, beschreibt aber nur eine Art von Situation, in der sich die Staaten des Westens immer häufiger zurechtfinden müssen. Nach ernüchternden Erfahrungen in Afghanistan und anderswo hat der Glaube an die Kraft militärischer Lösungen sehr gelitten. Der Westen hat gelernt, dass Konflikte nicht unbedingt gelöst werden, wenn er sich einmischt.

Der Westen muss nun allerdings auch erfahren, dass Konflikte nicht deshalb verschwinden, weil er sich nicht einmischt oder dies anderen überlässt. Dem Siegeszug von Terror und Chaos in Teilen Nordafrikas und des Nahen Ostens haben die Europäer so vorläufig ebenso wenig entgegenzusetzen wie der Armut im Afrika südlich der Sahara. Die EU mag also gegen die Ursachen der Massenflucht kämpfen wollen, aber der Ausgang dieses Kampfes ist offen.

Gerade weil eine schnelle Lösung der Krise illusorisch ist, ist besseres Krisenmanagement so wichtig. Das gilt für die Seenotrettung. Das gilt für den Kampf gegen Schleuser. Das gilt aber auch für eine gerechtere Verteilung der Lasten, die in nächster Zeit mit Sicherheit noch drastisch zunehmen werden. Deutschland verteilt Asylbewerber nach einem System, das auch die Wirtschaftskraft berücksichtigt, auf die einzelnen Bundesländer. Ein solches System sollte auf die ganze EU übertragen werden. Die EU-Staaten müssen nun Solidarität und Menschlichkeit zeigen. Nicht um ihr Ansehen zu retten, sondern ihre Selbstachtung.

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