Antrag im Bundestag:Große Koalition spricht doch von "Völkermord"

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Trotz Bedenken von Außenminister Frank-Walter Steinmeier werten die Bundestagsfraktionen von Union und SPD das Schicksal der Armenier vor hundert Jahren in ihrem Antrag nun als Genozid.

Von Robert Roßmann, Berlin

Nach einer langen Debatte hat sich die große Koalition am Montag doch noch darauf verständigt, den Massenmord an Armeniern vor 100 Jahren als Völkermord zu bezeichnen. Vor allem das Außenministerium hatte sich gegen diese Bezeichnung gewehrt, um die Beziehungen zur Türkei nicht zu gefährden.

Im April 1915 hatte die Regierung des Osmanischen Reichs mit der Vertreibung und Vernichtung von mehr als einer Million Armeniern begonnen. Am Freitag will der Bundestag der Opfer gedenken. Dabei wollen die Koalitionsfraktionen einen Antrag einbringen. In ihm heißt es jetzt, das Schicksal der Armenier stehe "beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist".

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte versucht, die Aufnahme des Wortes "Völkermord" in den Antrag zu verhindern. Auch die Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten das Wort bisher vermieden. Sie erklärten, die Aufarbeitung der Geschichte obliege Historikern und den betroffenen Staaten und sei nicht Aufgabe der Bundesregierung. Auch die Äußerungen des Papstes zum Thema habe man nicht zu kommentieren. Papst Franziskus hatte die Verfolgung der Armenier vor gut einer Woche als "ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts" bezeichnet. Die türkische Regierung reagierte empört. Eine Mitteilung von Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu am Montag vermied das Wort Völkermord erneut: "Mit Respekt gedenken wir ein weiteres Mal der osmanischen Armenier, die bei den Deportationen 1915 ihr Leben verloren, wir teilen den Schmerz ihrer Kinder und Enkel."

In den vergangenen Tagen hatte sich abgezeichnet, dass das Auswärtige Amt in Berlin mit seiner zurückhaltenden Position scheitern wird. Immer mehr Politiker aus Union und SPD forderten, die Vertreibung der Armenier als Völkermord zu verurteilen. Außerdem brachte ein geplanter Auftritt des Bundespräsidenten den Außenminister in die Bredouille. Joachim Gauck will am Donnerstagabend im Berliner Dom bei einer Gedenkveranstaltung sprechen. Es gilt als sicher, dass er dabei die Taten als Genozid geißeln wird. Angesichts dessen konnten es sich die Spitzen der beiden Koalitionsfraktionen nicht vorstellen, am Tag darauf im Bundestag nicht von einem Völkermord zu sprechen. Sie verständigten sich deshalb jetzt darauf, ihren Antrag um den Passus mit dem Völkermord zu ergänzen. In dem Antrag wird auch die "unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches" betont, das trotz eindeutiger Informationen nicht gegen die Verfolgung der Armenier eingeschritten sei.

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Montag, das Kabinett stehe hinter dem neuen Text. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes verwies zur Erklärung für den Kurswechsel darauf, dass es zuvor einen Austausch mit dem Präsidialamt sowie "Impulse aus dem Präsidialamt im Hinblick auf mögliche Formulierungen" gegeben habe.

© SZ vom 21.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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