Frauen im Heiligen Krieg:Mädchen für alle

Salafisten-Kundgebung in Offenbach

Wie werden sie angelockt? Wissen sie, worauf sie sich einlassen? Der Weg junger Frauen in den Dschihad ist beschwerlich - und lässt sich nachzeichnen.

(Foto: dpa)
  • Mehr als siebzig Frauen sind bereits aus Deutschland in den Dschihad aufgebrochen.
  • Um Frauen vor der Reise nach Syrien abzuhalten, haben die NRW-Verfassungsschützer den Weg der Frauen ins Kriegsgebiet und die Schilderungen von Rückkehrerinnen zu einer Kunstfigur namens "Marwa" verdichtet.
  • Die Geschichte von "Marwa" zeigt, wie junge Frauen aus gemäßigt islamischen Familien sich schleichend radikalisieren und mit Lügengeschichten vom vermeintlichen Paradies in Syrien gelockt werden.
  • Auch die akribischen Vorbereitungen werden durch die fiktive Figur "Marwa" aufgezeigt.

Von Hans Leyendecker, Düsseldorf

Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden sind in den vergangenen Monaten mehr als siebzig Frauen aus Deutschland in den Dschihad nach Syrien oder in den Irak ausgereist. Viele von ihnen sind noch sehr jung. So sollen allein neun minderjährige Mädchen den Weg in die Kampfzone angetreten haben. Die jüngsten von ihnen sind 15 Jahre alt. Die Bräute des Dschihad stammen aus allen Winkeln der Republik; aus dem Ruhrgebiet ebenso wie aus Hamburg, München oder Berlin.

Anhand verschiedener realer Fälle hat der Verfassungsschutz NRW den Weg der Radikalisierung der zumeist jungen Frauen nachgezeichnet. Wie wurden sie angelockt, wussten sie, auf was sie sich einließen? Was haben Rückkehrerinnen über ihre Reise ins angebliche Idyll berichtet? Die Schilderungen der Frauen und die Fälle haben die NRW-Verfassungsschützer zu einer Kunstfigur namens "Marwa" verdichtet. Marwa soll erklären, was nur schwer zu erklären ist.

Also: Marwa ist eine 16-jährige Deutsch-Türkin aus einer Großstadt in NRW. Ihre Großeltern kamen als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland. Ihre Eltern sind in Deutschland geboren. Marwa hat zwei Schwestern und einen Bruder.

Die Familie ist gut integriert. Sie lebt einen liberalen Islam; die weiblichen Mitglieder der Familie tragen kein Kopftuch, aber es wird Wert auf Lebensmittelvorschriften und die Gebete gelegt.

In der Schule, die Marwa besuchte, gab es lange Zeit keine Probleme, doch seit etwa einem Jahr ist sie häufig abgelenkt, müde und desinteressiert. Im Unterricht liest sie häufiger im Koran, zu den Gebetszeiten läuft sie, ohne zu fragen, aus dem Unterricht. Sie rüffelt ihre Mitschülerinnen, wenn die sich angeblich unislamisch verhalten oder angeblich nicht richtig anziehen. Sie selbst legt sich einen Tschador zu. Inzwischen trägt Marwa eine Vollverschleierung (Burka) und spricht ebenso wenig mit Jungen aus ihrer Klasse wie mit ihren Lehrern. Auch zeigt sie keinen Respekt mehr gegenüber ihren Lehrerinnen, weil die "nicht muslimisch" seien.

"Schwesternseminare" und "Cake Days"

An den Nachmittagen ist Marwa nur noch ganz selten zu Hause. Ständig trifft sie sich mit Freundinnen, die ebenso vollverschleiert sind wie sie selbst. Gemeinsam besuchen sie eine Moschee in einer anderen Stadt, sind an den Wochenenden auf "Schwesternseminaren" und "Cake Days" und sammeln Spenden für die Notleidenden in Syrien und im Irak.

Wenn sie zu Hause ist, verschanzt sie sich in ihrem Zimmer, lauscht im Internet Vorträgen radikaler Salafisten, schaut sich Videos aus Syrien an, in denen das Leid und die Not der dort lebenden Muslime dargestellt werden. Bei Facebook ist sie Mitglied in einer Gruppe, die sich "Hijra fi sabilillah - Ehefrau eines Mujahids werden!" nennt. Dort knüpft sie Kontakt zu Abdul Karim. Sie will sich um den Dschihadisten kümmern, der aus ihrer Sicht eine Art Prinz ist, fasst den Entschluss, ihn zu heiraten. In Syrien, ohne Wissen ihrer Eltern. Im Netz gibt es zahlreiche Online-Heiratsmärkte für Salafisten.

Damit der Trip gelingt, bedarf es Vorbereitungen, für die es in speziellen Whats-App-Gruppen Tipps gibt: Einkauf von Prepaid-Karte und einfachem Handy, funktionale Kleidung, Rucksack. Marwa kauft kleinere Mengen militärischer Bekleidung und nimmt - vermittelt durch ihren zukünftigen Mann - Kontakt zu anderen Frauen im Kriegsgebiet auf, lässt sich von ihnen auf die Reise vorbereiten.

Marwa lässt sich das Kochen beibringen

Marwa achtet auf ihre Ernährung und hält sich unauffällig fit, um die Reise gut überstehen und ihr Gepäck tragen zu können. Sie verkauft Kleinigkeiten aus ihrem Besitz und lässt sich, etwas überraschend für die Eltern, das Kochen beibringen.

Auch die Ausreise ist sorgfältig geplant: Eines Nachts klettert Marwa über ein Fenster aus der Wohnung der Eltern; der Bruder einer Bekannten bringt sie, gemeinsam mit einigen Freundinnen, über den Landweg in die Türkei. Er übergibt sie einem türkischen Schleuser, der die Mädchen nach Syrien bringt. Über einen weiteren Mittelsmann gelangt Marwa schließlich zu Abdul Karim, ihrem zukünftigen Mann. Ihre Freundinnen werden an andere Mudschaheddin übergeben.

Worauf sich die jungen Frauen eingelassen haben, ist ihnen nicht bewusst. Marwa ist nun ausschließlich für ihren Mann da. Wenn er heim kommt, muss das Essen auf dem Tisch stehen. In Textnachrichten nach Deutschland berichtet sie von einem Haus, das sie mit ihrem Mann bewohnt, nur hier könne sie nach den Regeln des Islam leben und werde nicht verfolgt. An Geld fehle es nicht. Der IS zahle stets pünktlich. Syrien sei ein Paradies für muslimische Frauen und deren Kinder; auch sie wollen ein Kind bekommen. Was die daheim nicht wissen: Bei der Ankunft wurde Marwa das Handy abgenommen. Die guten Nachrichten sind Propaganda.

An andere Kämpfer weitergereicht

Marwa hängt, wie die Freundinnen auch, vom Wohlwollen des Ehemannes ab. Der heiratet nach und nach immer wieder andere Frauen und verstößt Marwa. Es gibt auch andere Abläufe: Wenn der Mann im Krieg fällt, werden deren Frauen an andere Kämpfer weitergereicht.

Marwa gelingt es, Kontakt zu ihrer Mutter aufzunehmen. Sie bittet, sie nach Hause zu holen: Marwas Mutter besorgt sich ein Flugticket und begibt sich an die türkisch-syrische Grenze. Die 16-jährige Tochter gelangt durch Glück und einen Kontakt zu einem ihrer ehemaligen Schleuser ebenfalls an die Grenze und trifft sich mit ihrer Mutter. Die bezahlt den Schleuser, und Marwa kann mit ihrer Mutter nach Deutschland zurückkehren. Auch Verfassungsschützer lieben ein Happy End.

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