Plasberg-Talk zum Reichen-Bonus in der Justiz:Wenn Justitia die Hand ausstreckt

'hart aber fair' Sendung vom 20.04.2015; Plasberg

Zu Gast bei Frank Plasberg: (von links) Norbert Blüm, Ingo Lenßen, Anna von Bayern, Ralf Höcker und Christoph Frank

(Foto: WDR/Dirk Borm)

Ecclestone, Hoeneß - "wie gerecht ist die deutsche Justiz?", fragt Frank Plasberg bei "Hart aber fair". Erkenntnis des TV-Talks: Geld-Deals schaden vor allem dem Image des Rechtsstaats.

Von Johanna Bruckner

Die thematische Einbettung hätte kaum besser sein können. Gut, einmal davon abgesehen, dass sich nach einem Wochenende mit abermals Hunderten toten Flüchtlingen auf dem Mittelmeer andere Fragestellungen mehr aufgedrängt hätten an diesem Montagabend. So aber schloss "Hart aber fair" nahtlos an die vorhergehende Sendung an: Im Reise-Check ging es darum, wie eine vermögende Klientel die deutschen Urlaubsinseln Rügen und Sylt verändert. Und im Plasberg-Talk um die Frage: "Reichen-Rabatt und diskrete Deals - wie gerecht ist die Justiz?"

Geladen waren neben Norbert Blüm, Ex-Arbeitsminister und Buchautor ("Einspruch: Wider die Willkür an deutschen Gerichten"): Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes; Ingo Lenßen, Fachanwalt für Strafrecht (im TV wie im realen Leben); Ralf Höcker, Fachanwalt für Medien- und Markenrecht (vertrat unter anderem Jörg Kachelmann und Felix Magath) sowie die Journalistin Anna von Bayern. Letztere war besetzt, um für die Medien und ihre Gerichtsberichterstattung zu sprechen, tat das aber nicht wirklich überzeugend.

Ansonsten sorgte die Runde tatsächlich für einen Erkenntnisgewinn beim juristischen Laien. Das ist nicht selbstverständlich: Andere Talkshows sind mit ähnlichen Fragestellungen schon im Bermudadreieck Unrecht/Rechtsprechung/Gerechtigkeit abgesoffen. Fünf Lehren aus 75 Minuten.

Gerechtigkeit hat viel mit Gefühl zu tun. (Sagen Nichtjuristen.)

Die meisten Menschen hätten "kein Rechtsstudium, aber ein Rechtsempfinden", sagte Moderator Frank Plasberg eingangs. Und wenn es nach diesem Gerechtigkeitsgefühl geht, liegt im deutschen Rechtsstaat einiges im Argen: Gut die Hälfte der Deutschen glaube, dass Geld und Prominenz die Chancen auf ein mildes Urteil verbessern könnten, zitierte Plasberg aus einer Umfrage. 26 Prozent seien der Ansicht, dass an deutschen Gerichten nicht alles mit rechten Dingen zugehe.

Und wie sollen sie auch, wenn es Angeklagte wie den Formel-1-Mogul Bernie Ecclestone gibt? Der war in München wegen Bestechung und Anstiftung zur Untreue angeklagt und freute sich, nachdem das Verfahren gegen die Zahlung von 75 Millionen Euro eingestellt worden war, über das "kapitalistische System". Zitat: "So laufen nun mal die Dinge in Deutschland."

Solche Deals vor Augen geführt, hielt es Ex-Politiker Blüm kaum auf dem Stuhl. Wobei er im konkreten Fall auch mal Klatschspalten-Wissen bemühte, um seinen Punkt zu machen: Allein die beiden Villen der Ecclestone-Töchter seien 140 Millionen Euro wert, echauffierte er sich. "Es haben nicht alle so viel Geld, um bei schwerer Schuld rauszukommen."

Im Rechtsstaat darf für Gefühle kein Platz sein. (Sagt der Jurist.)

Wie weit das Gefühl der juristischen Laien und die Einschätzung der juristischen Experten auseinandergehen, zeigte sich auch beim Fall Hoeneß. Da habe der Richter irgendwann einfach die Hinterziehungssumme um eine Million aufgerundet, kritisierte Blüm: "Wie in der Metzgerei: Wollen Sie noch 'nen Scheibchen drauf haben?" Als durchaus gerecht bewerteten dagegen die versammelten Juristen das Urteil - schließlich habe bei der Bemessung des Strafmaßes auch die Unbescholtenheit des Ex-Fußballmanagers eine Rolle gespielt: "Ich weiß nicht, wie viele Kiefer man brechen müsste, um als Ersttäter dreieinhalb Jahre zu bekommen."

Wenn Geld Recht ersetzt

Auf eine von Blüm angeregte Diskussion über Moral und Ethik ("Es geht nicht nur um Recht im Sinne des geschrieben Gesetzes!") wollten sich die Rechtsexperten dann erwartungsgemäß nicht einlassen. "Man ist nicht zur Wahrheit verpflichtet", sagte Medienrechtler Höcker. Es gebe keine "moralische Bringschuld", sich selbst zu belasten. "Es wäre verfassungswidrig, so etwas zu verlangen." Blüm war fassungslos - selbst Richter fühlten sich der Wahrheit nicht verpflichtet: "Das ist, als würde ein Pilot sagen: 'Die Landebahn interessiert mich nicht.'"

Deal bedeutet nicht gleich Mauschelei

Am verdienstvollsten war der Plasberg-Talk, als es um die rechtlichen Grundlagen der viel zitierten Deals ging. Die sind nämlich mitnichten ein Hinterzimmer-Kniff findiger Anwälte. Paragraf 153a Strafprozessordnung (StPO), erklärte ein Einspieler, sehe vor, dass sich Richter, Staatsanwaltschaft und Angeklagter bei Vergehen auf eine Einstellung des Verfahrens gegen geeignete Auflagen einigen können; dabei komme zum Beispiel eine Geldleistung in Betracht.

Auch Paragraf 257c StPO ist darauf angelegt, den laut Oberstaatsanwalt Frank überlasteten deutschen Gerichten langwierige Prozesse zu ersparen. Er regelt das juristische Tauschgeschäft: Geständnis gegen Strafrabatt. Das sei durchaus ein sehr menschliches Mittel, befand Lenßen, schließlich erspare es manchem missbrauchten Kind, gegen seinen Peiniger aussagen zu müssen.

Haben juristische Deals also ganz zu Unrecht einen schlechten Ruf? Nicht für den früheren Arbeitsminister Blüm. Er geißelte die "Justitita mit der ausgestreckten Hand", sprach von "Kuhhandel"/"Ablasshandel" und sagte: "Ich habe es überhaupt nicht gern, wenn Geld Recht ersetzt."

Richter sind fehlbar ...

... und das mitunter aus ganz profanen Gründen. Diesen Eindruck legt zumindest die Untersuchung eines Forscherteams aus Israel und den USA nahe, die Plasberg in der Sendung vorstellte. Die Wissenschaftler hatten mehr als 1000 Fälle untersucht, in denen es um die Bewährung von Häftlingen ging. Ergebnis: Wann immer die Richter mutmaßlich müde und/oder unterzuckert waren - also vor der Mittagspause und zum Feierabend hin -, waren sie eher geneigt, den Häftlingen die Freiheit auf Probe zu verwehren.

An so viel menschliche Schwäche im Richterstand wollten die Juristen im TV-Studio nicht glauben. Allerdings: Richter seien bei aller professionellen Ausbildung, die es ihnen erlaube, Fälle zu abstrahieren, Individuen - und könnten als solche zu unterschiedlichen Urteilen kommen. Oder wie es TV-Anwalt Lenßen in Bezug auf einen Körperverletzungsprozess formulierte: "Wenn der Richter Boxer ist im Hobby, wird er nicht so ein hartes Urteil aussprechen wie ein Richter, der als kleiner Junge verprügelt wurde auf dem Schulhof."

Und auch für den Umstand, dass Richter, die sich etwas haben zuschulden kommen lassen, nur "sehr, sehr selten" verurteilt werden, hatte Ex-Kachelmann-Vertreter Höcker eine einfache Erklärung: "Wenn das anders wäre, glaube ich, dass es schwierig wäre, noch (...) Richter zu finden."

Und was war jetzt eigentlich mit dem Reichen-Bonus?

Ja, doch, den gebe es schon, räumte am Ende Lenßen ein. Aktuelles Beispiel: Middelhoff. Der sei nur freigekommen, weil seine Anwälte mit größtem Einsatz einen Punkt gefunden hätten, der den Richter überzeugt habe, ihn vorläufig auf freien Fuß zu setzen. So etwas koste Zeit - und damit Geld.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: