Letzter "Tatort" mit Thomalla und Wuttke:Kranker Kinderwunsch

Tatort Leipzig; Monika Wolff und Jens Albinus

Perfekt vorbereitete Entführung: das Ehepaar Prickel (Susanne Wolff und Jens Albinus) mit massgefertigten Silikonmasken

(Foto: MDR/Saxonia Media/Junghans)

Ein verschwundenes Mädchen, gespenstische Ersatzeltern und Ermittler, die über den eigenen Crack-rauchenden Nachwuchs philosophieren: Der letzte "Tatort" aus Leipzig gibt noch einmal alles. Die Nachlese - mit den besten Zuschauerkommentaren.

Von Johanna Bruckner

Darum geht's:

Um wahnsinnige Liebende. Folie à deux, nennt das der Mediziner. Da entführt ein Mann ein Mädchen, bringt sie in ein schmuckes Haus in einer gutbürgerlichen Siedlung; im Keller, versteckt hinter der Sauna, hat er ihr ein Zimmer eingerichtet. Dann geht er ins Wohnzimmer, wo seine Frau mit Freunden sitzt, die Stimmung ist ausgelassen. Er legt seine Stirn an ihre, schaut sie zärtlich an und flüstert: "Ich hab' sie geholt. Sie ist hier." Im Hintergrund läuft "How Deep Is Your Love". Der letzte, überraschend wehmütig machende Leipziger Tatort mit den Ermittlern Saalfeld und Keppler nimmt sich noch mal die ganz großen Themen des Lebens - und des Fernsehkrimis - vor: Liebe, Leidenschaft, Verrat, Hass. Und er beantwortet die Frage: Wird das jetzt noch was mit den beiden Kommissaren?

Lesen Sie hier die Rezension von SZ-Tatort-Kritiker Holger Gertz:

Bezeichnender Dialog:

Saalfeld und Keppler gehen durch ein Wohngebiet, ein Mädchen rennt an ihnen vorbei.

Saalfeld: Das könnte unser Kind sein.

Keppler: Könnte sie nicht, sie wär' jetzt 20. Ich denke, wir sollten jetzt nicht darüber sprechen.

Saalfeld: Ich spreche nicht, ich denke nur laut. Gesetzt den Fall: Dann wär's jetzt in der sechsten Klasse.

Keppler: Dann wär' sie verdammt oft sitzengeblieben. Und sicher ein asoziales Crack-rauchendes Problemkind.

Saalfeld: Stell dich nicht so dumm. Unser Kind würde nach Hause kommen, hätte Hunger, hätte schmutzige Hände. Würde dann Schulaufgaben machen und dann mit dem Hund spielen.

Keppler: Was denn für ein Hund? Evi, warum fängst du jetzt wieder damit an, warum ausgerechnet heute? Was soll das, he? Du tust dir weh, und so kann ich nicht arbeiten.

Saalfeld: Is' ja schon gut - ich fang doch gar nicht an. (nimmt Keppler die Sonnenbrille ab) Ich denke nur.

Keppler: Genau das mein' ich. Hör auf, nur zu denken, okay? Bitte?

Die besten Zuschauerkommentare:

Die beste Szene:

... ist gleich die allererste. Kommissar Keppler öffnet seine Kühlschranktür, in Schlafanzughose mit freiem Oberkörper. Er nimmt einen Teller mit belegten Broten heraus, riecht daran, verzieht das Gesicht. Dann wendet er sich direkt an den Zuschauer, durch den Kühlschrank hindurch: "Was ist der Sinn des Lebens? Die Frage ist doch: Soll das Ganze ein Scherz sein? Oder mehr? Eine Tragödie?" Er lächelt fein. Und schließt die Kühlschranktür.

Top:

Gut, die Idee, einen Tatort mit den dramaturgischen Mitteln des Theaters aufzuhübschen, ist nicht ganz neu ist. Der Murot-Krimi "Im Schmerz geboren" gewann dafür in diesem Jahr einen Grimme-Preis. Aber der Theaterschauspieler Martin Wuttke gibt den philosophierenden, zunehmend zynisch-desillusionierten Erzähler mindestens so gut wie Ulrich Tukur.

Flop:

Es geht um Paare in diesem Krimi. Da sind natürlich die sich hassliebenden Kommissare. Dann das Ehepaar Prickel, er Lehrer, sie Hausfrau, die hinter ihrer bürgerlichen Fassade gruselige Silikonmasken tragen. (Die Namensähnlichkeit zum Kampusch-Entführer Priklopil ist wohl kein Zufall.) Diese Konstellationen allein wären abendfüllend, was Vielschichtigkeit und Spannung angeht. Die Eltern der entführten Magdalena hätten deshalb ruhig 08/15-Vati-und-Mutti sein dürfen. Ihnen einen Lebensstil irgendwo zwischen Hare-Krishna und Zwölf Stämme auf den Leib zu schreiben, stärkt den Plot nicht, es lenkt vom Wesentlichen ab. (Ach ja, und eine ohne Hose tanzende Simone Thomalla hätte es auch nicht gebraucht.)

Bester Auftritt:

Martin Wuttke. Sein Kommissar Keppler ist bis Minute 86 (von 90) fertig mit der Welt: Schwitzt, kippt hitzebedingt um (in einen Behälter mit Schmutzwäsche), tritt in Hundescheiße (und streift sie in einer Kirche am Fußbänkchen ab), bekleckert sich mit Döner, wird vom Kollegen Pelle als "Führer" tituliert, muss einen Selbstmörder retten, wird von Eva Saalfeld beschimpft und geohrfeigt. Doch dann, in fast allerletzter Minute, die Wende: Der großartige Griesgram darf breit lachen - und zum Sprung in ein besseres Leben ansetzen. Zu kitschig? Definitiv. Aber Wuttke/Keppler können das ab.

Erkenntnis:

Selbst die eigene Ehefrau ist kein guter partner in crime. Und wenn sie sagt "Ich mach' uns Buletten, ja?" kann das ein Abschiedsgruß sein.

Die Schlusspointe:

Lehrer Prickel erklärt seinen Schülern in einer Szene, was eine "Oubliette" ist. Kein herkömmlicher Kerker sei das, doziert er, sondern ein Ort, an dem Menschen einfach vergessen werden, zum Verrotten. Bei diesem Exkurs ins Französische (oublier - vergessen) haben sich die Drehbuchautoren natürlich etwas gedacht.

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