Gazprom:Des Kremls Konzern

Production Of Steel Pipes For South Stream Gas Pipeline At United Metallurgical Co.

Instrument der Politik: Gazprom baut Pipelines, wenn es den strategischen Interessen Moskaus dient.

(Foto: Andrey Rudakov/Bloomberg)

Wer ein Staatsunternehmen straft, meint auch den Staat. Moskau versteht die Botschaft des Kartellverfahrens gegen den russischen Gas-Giganten sehr wohl - und wird antworten.

Von Markus Balser

Die Besucher kamen im Morgengrauen. Sie seien von der EU-Kommission, Generaldirektion Wettbewerb, ließen die Fahnder die verdutzten Pförtner an mehreren europäischen Standorten großer Gasversorger wissen - und sie forderten sofortigen Zugang zu bestimmten Büros und Akten. Fast zur selben Zeit rückten Ermittler im Herbst 2011 nicht nur bei der Europa-Tochter von Gazprom in Berlin an. Auch in Büros von RWE in Essen, Eni in Rom oder Eon in Budapest zückten sie ihren achtseitigen Durchsuchungsbeschluss. Die Konzerne hatten nur eins gemeinsam: Sie machten Geschäfte mit Gazprom. Im Visier der Fahnder: dubiose Geschäfte des russischen Rohstoffmultis.

Die aufwendige Razzia markierte den Beginn des derzeit wohl spektakulärsten Kartellverfahrens der Europäischen Kommission, das am Mittwoch eine neue Dimension erreichte. Gut zweieinhalb Jahre nach Beginn der Auswertung gefilzter Dokumente und Computer leitete EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ein verschärftes Verfahren gegen Gazprom ein. Trotz drohender politischer Verwerfungen lässt die EU damit keine Zweifel mehr an ihrem Ziel, den Kampf gegen die Marktmacht des Moskauer Rohstoffimperiums endgültig aufzunehmen.

In Brüssel weiß man um die Bedeutung des Falls. Wie stark Russland nicht erst seit der Ukraine-Krise auf den Rohstoffreichtum und seinen Staatskonzern Gazprom baut, ist im Süden Moskaus zu besichtigen. Dort ragt die neue Gazprom-Zentrale wie eine Rakete in den Himmel. Die architektonische Botschaft des Kreml-nahen Energiekonzerns: Das Unternehmen überragt alles. Rohstoffe gelten als die wichtigste Währung Russlands. Der größte Rohstoffexporteur der Welt verfügt darüber im Überfluss. Seine Absicht sei es, Gazprom zur Nummer eins im globalen Energiemarkt zu machen, so sagt es Konzernchef Alexej Miller, wenn er auf die eigenen Ziele angesprochen wird.

Doch genau diese Expansion ist Europa ein Dorn im Auge. Denn Brüssel traut Gazprom nicht mehr. Europas Wettbewerbshüter werfen dem Konzern nun erstmals offen vor, dass es bei dessen internationalem Machtstreben nicht mit rechten Dingen zugehe. Gazprom verletze die EU-Kartellvorschriften, indem der Konzern eine Strategie zur Abschottung der mittel- und osteuropäischen Gasmärkte verfolge, teilte die Kommission mit.

Ein gewaltiges Imperium: geschätzt 1000 Tochterfirmen und 400 000 Angestellte

Was bürokratisch klingt, könnte ein Beben auf dem europäischen Gasmarkt auslösen - und Russlands Wirtschaft hart treffen. Denn Gazprom liefert nicht nur ein Drittel der europäischen Gasimporte; einige osteuropäische Länder sind sogar zu 100 Prozent von dem Staatskonzern abhängig. Auch für Russland selbst hat das Unternehmen enorme Bedeutung. Das Gazprom-Logo, die blaue Flamme, steht für ein weitverzweigtes Reich aus geschätzt tausend Tochterfirmen mit einem Umsatz von zuletzt bis zu 120 Milliarden Euro. 160 000 Pipeline-Kilometer sind im Gazprom-Besitz, 400 000 Angestellte arbeiten für das Unternehmen. Falls Gazprom Verstöße gegen das europäische Recht nachgewiesen werden, sind Geschäfte in Gefahr und die Strafen empfindlich. Es drohen Geldbußen bis zur Höhe von zehn Prozent eines Jahresumsatzes - also im zweistelligen Milliardenbereich.

Die Vorwürfe reichen weit. Gazprom soll den freien Fluss des Gases zwischen einzelnen Staaten behindert und die Reduzierung der Abhängigkeit Europas von russischen Lieferungen verhindert haben. Daneben soll der Konzern eine unlautere Preispolitik betreiben - möglicherweise zum Nachteil europäischer Verbraucher. Gazprom habe in acht EU-Staaten seine marktbeherrschende Stellung mutmaßlich missbraucht, erklärte die EU-Kommission und sandte zehn Beschwerdepunkte an das russische Unternehmen. Sie richten sich gegen das Geschäftsgebaren des Konzerns in Polen, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, der Slowakei und den baltischen Staaten Lettland, Estland und Litauen. Großhändlern und Kunden soll Gazprom Ausfuhrverbote und andere Beschränkungen aufgezwungen haben. Bereits im Sommer 2012 hatte die EU-Behörde ein förmliches Verfahren eingeleitet. Die sogenannte Übermittlung der Beschwerdepunkte bedeutet eine verschärfte Gangart, aber noch keinen endgültigen Beschluss.

In Westeuropas Hauptstädten ist die Angst vor einem Gasboykott gestiegen

Vor allem für ein Land werden die umstrittenen Klauseln zum immer größeren Problem: die Ukraine. Sie will mehr Gas aus Mitteleuropa erhalten, nachdem die Regierung in Moskau dem Nachbarland bereits zweimal wegen des Streits über nicht bezahlte Rechnungen den Gashahn zugedreht hat. Höchst diskret hatte Gazprom schon in den vergangenen Monaten klargemacht, was es von der Hilfe westlicher Konzerne für Kiew hält. Gazprom hatte all jenen westeuropäischen Energiekonzernen, die der Ukraine mit Lieferungen über den Winter halfen, die Lieferungen seinerseits gekürzt. So kam in Polen, Deutschland oder Österreich zeitweise zehn bis 45 Prozent weniger Gas an. In Westeuropas Hauptstädten hatte das Ängste vor einem Gasboykott geschürt.

Dass die russische Regierung den Angriff auf die eigene Macht und den bedeutenden Devisenbringer unbeantwortet lässt, gilt als unwahrscheinlich. Die wegen der Sanktionen ohnehin angespannten Wirtschaftsbeziehungen Europas zu Russland könnten sich in den nächsten Monaten noch deutlich verschlechtern, hieß es am Mittwoch in Regierungskreisen in Berlin. Gazprom nannte die Vorwürfe bereits unbegründet. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach von einem "absolut inakzeptablen" Verfahren. Die Entscheidung aus Brüssel folgt mehreren Machtdemonstrationen Moskaus. Zuerst hatte Gazprom den seit Jahren geplanten Bau der Pipeline South-Stream nach Westeuropa abgeblasen, um das Gas in die Türkei umzuleiten. Die jüngste Annäherung von Gazprom an Griechenland wurde in Brüssel als Versuch gewertet, die Europäische Union zu spalten. Die Regierung in Moskau sieht sich ohnehin am längeren Hebel. Vergangene Woche sprach Energieminister Alexander Nowak bei einem Auftritt in Berlin Klartext: Die EU könne sich vornehmen, was sie wolle. Für weitere 25 Jahre sei sie auf jeden Fall von russischem Gas abhängig.

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