Streit um NS-Propaganda:Tantiemen des Teufels

Joseph Goebbels bei seiner Rede zum " totalen Krieg " im Sportpalast in Berlin, 1943

"Alles dreht sich nur um mich", schrieb Goebbels. Und hetzte im Berliner Sportpalast zum "totalen Krieg".

(Foto: Scherl)

In München kommt ein bizarrer Urheberrechtsstreit vor Gericht: Random House möchte kein Geld für Zitate von Joseph Goebbels bezahlen.

Von Willi Winkler

Deutschland ist ein Rechtsstaat, Richter und Anwälte werden anständig im Brot gehalten, entschieden wird nach Recht und Gesetz. Deshalb ist kaum zu erwarten, dass das Oberlandesgericht München bei dem Termin an diesem Donnerstag anders entscheidet als das Landgericht I im vergangenen September. Im Jahr 2010 hat Random House einen Vergleich mit der Rechtsanwältin Cordula Schacht geschlossen, wonach sich der Verlag verpflichtet, von jedem verkauften Exemplar der Biografie "Goebbels" des in London lehrenden Historikers Peter Longerich ein Prozent des Nettoverkaufspreises abzuliefern.

Das Buch ist im Herbst 2010 erschienen. Da sich Random House aber weigerte, das vereinbarte Prozent zu zahlen, zog Cordula Schacht vor Gericht. Und das Gericht verurteilte den Verlag dazu, die Verkaufszahlen und damit die Einnahmen offenzulegen. Cordula Schacht muss also der ihr zustehende Anteil überwiesen werden. Das ist das Recht. Aber es ist nicht alles.

Nachdem sie ihre sechs Kinder umgebracht hatten, begingen Joseph und Magda Goebbels am 1. Mai 1945, einen Tag nach dem Tod Adolf Hitlers, ebenfalls Selbstmord. Der Propagandaminister, den Hitler in seinem Testament noch schnell zu seinem Nachfolger als Reichskanzler befördert hatte, führte sein Arbeitsleben lang hingebungsvoll Tagebuch. Darin verzeichnete er seine frühen Kränkungen durch verschiedene Frauen, später seine Erfolge gegen die Kommunisten und den wachsenden Erfolg bei den Frauen und besonders gern den Stand der Gnadensonne seines geliebten Führers.

Goebbels hielt seine Tagebücher für so wertvoll, dass er sie auf Glasplatten kopieren ließ

Es gibt keinen Augenzeugen, der den Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung von einer Straßenkämpfertruppe bis ins Kanzleramt und in den Weltkrieg hinein machtnäher beschrieben hätte. So wertvoll erschienen Goebbels diese Diarien, dass er die mehr als zwanzigtausend Seiten mit neuester Technik auf Glasplatten kopieren und für die Nachwelt in einer Stahlkassette vergraben ließ.

Die Nachwelt entdeckte die Aufzeichnungen, aber darin nicht bloß einen Chronisten, der vor Eitelkeit platzte ("Ich bin der Mittelpunkt und alles dreht sich um mich") und als ewiger Propagandist bis in die letzten Kriegstage nur von Sieg zu Sieg taumelte, sondern auch eine unermüdliche Geldmaschine. Unabhängig von seinen Worten und Taten und siebzig Jahre über seinen Tod hinaus gilt nämlich auch für den Autor Goebbels das Urheberrecht; sein Recht daran ist unveräußerlich. Die Verwertung dieses Rechts kann an andere übertragen werden, vor allem aber kann es Geld bringen, oder wie es in der Branche heißt: Honorare und Tantiemen.

Zum Jahrestag des Kriegsendes erscheint Longerichs Biografie jetzt auf Englisch. Der britische Guardian beschrieb, was das bedeutet: "Random House muss für Zitate von Joseph Goebbels zahlen." Die BBC hat ebenfalls darüber berichtet; auch die israelische Tageszeitung Haaretz wundert sich über den seltsamen Rechtsfall. Der geht vereinfacht so: Ein Berliner Gericht überließ 1955 einem Schweizer Staatsbürger die Verwaltung des Goebbels-Nachlasses. Dass der Schweizer ein glühender Nazi war und seine Leidenschaft mit einem ebenso heftigen Instinkt fürs Geldverdienen paaren konnte, störte damals niemanden. François Genoud, das ist sein Name, verabredete sich mit den Nachfahren von Goebbels. Und man kam überein, sich mögliche Einnahmen brüderlich zu teilen. Genoud brachte sich 1996 um, aber nicht, ohne vorher Cordula Schacht als Erbin des Goebbels-Nachlasses einzusetzen.

SWR, BR, Spiegel - sie alle zahlen für Goebbels-Zitate

"Wir haben es hier", hat Longerich dem Guardian erklärt, "mit der Tochter eines Kabinettskollegen von Mr. Goebbels zu tun." Cordula Schacht ist eine Tochter von Hjalmar Schacht, der Hitler als Reichsbankpräsident und Wirtschaftsminister zu Diensten war. Dafür kann sie nichts, aber für Genoud, der Nazis sammelte wie andere Fabergé-Eier, war eben dies dennoch ein Grund, um sie als seine Anwältin zu bestellen.

Cordula Schacht handelte 1985 mit dem Bundesarchiv und dem Institut für Zeitgeschichte (IfZ) eine Vereinbarung aus, die nur widerstrebend hergezeigt wird, denn der Vertrag ist eine einzige Peinlichkeit. Die beiden staatlichen Einrichtungen dürfen ihr Goebbels-Material wissenschaftlich nutzen, doch müssen Benutzer darauf hingewiesen werden, dass "vor jeder urheberrechtlichen Verwertung Genouds Einwilligung einzuholen" sei.

Das IfZ plante damals eine wissenschaftliche Ausgabe aller Tagebücher und Aufzeichnungen, die inzwischen abgeschlossen ist und vielfach genutzt wird, unter anderem von Longerich für seine Goebbels-Biografie. Da er aber ausgiebig zitieren wollte, brauchte er das Einverständnis der Nachlassverwalterin, und die gab sie nur gegen Geld her.

Der Goebbels-Skandal begann bereits kurz nach Kriegsende

Im Lauf der Jahre haben nicht nur britische Zeitungen und der für Naziana allzeit aufgeschlossene Spiegel hohe Honorare an die Goebbels-Erben und ihren Sachwalter Genoud gezahlt. Alle haben gezahlt: Rowohlt für Oliver Reeses Theaterstück "Goebbels. Ein Selbstpalaver", der Bayerische Rundfunk jedes Mal, wenn er in bester volksbildnerischer Absicht Zitate von Goebbels bringt; der SWR bei einem ansonsten keineswegs unkritischen Feature über Hitlers Propagandaminister. Der Piper-Verlag beteiligte den Nachlassverwalter nicht nur an seiner Auswahl aus den Tagebüchern, sondern zahlt den Erben bis heute einen Anteil an jedem verkauften Exemplar der Goebbels-Biografie von Ralf Georg Reuth, die 1990 erschien.

Als die Schauspielerin Iris Berben 2002 auf einer Lese-Tournee parallel aus den Tagebüchern von Goebbels und dem von Anne Frank vortrug, wurden wieder Tantiemen fällig, aber nur für Goebbels, denn die Anne-Frank-Stiftung hatte für diesen aufklärerischen Zweck auf ein Nutzungshonorar verzichtet.

Der Goebbels-Skandal, der in der anstehenden Verhandlung in München fortgeschrieben wird, begann bereits kurz nach Kriegsende. Damals hatte sich Genoud mit einem katholischen Prälaten zusammengetan, der in mildtätiger Absicht von Genoud im Ausland erwirtschaftetes Geld an die verwaisten Kinder Martin Bormanns weitergab. Dann wurde das Institut für Zeitgeschichte auf den Nazi-Händler aufmerksam und begann ihn zu umwerben, damit er ihm doch etwas von seinen wertvollen Sammelobjekten überlasse. Spätestens seit 1961 zahlte das Institut dafür.

Ein posthumer Sieg für Joseph Goebbels

Da es kein Gericht wagte, Genoud das Recht zu bestreiten, Geld mit Nazi-Devotionalien zu verdienen, entwickelte sich die Geschäftsbeziehung vor allem mit dem langjährigen IfZ-Leiter Martin Broszat immer besser. Für ihn war diese Abhängigkeit ein "für die Zeitgeschichtsforschung moralisch-politisch nur schwer erträglicher Zustand". Aber es störte ihn nicht, dass Genoud das Geld, das er von deutschen staatlichen Institutionen erhielt, unter anderem dazu benutzte, den Kriegsverbrecher Klaus Barbie zu verteidigen.

Es war auch nicht von wissenschaftlichem Interesse, dass der Nazi Genoud sich mit dem palästinensischen Terroristenführer Wadi Haddad verbündete und mit ihm gemeinsam 1972 von der Lufthansa ein Lösegeld von fünf Millionen Dollar erpresste. Wadi Haddad ließ auch die Landshut entführen, um damit im Herbst 1977 die Freilassung der in Stammheim gefangenen RAF-Terroristen zu erreichen.

Im selben Herbst lud Broszat Genoud zu einem wissenschaftlichen Symposium über Urheberrecht nach München. Nach dieser fachlichen Anerkennung folgte die institutionelle. Der Vertrag vom 10. September 1985, den Genoud mit dem Bundesinnenministerium und dem bayerischen Innenministerium schloss, hat ihn endgültig als Goebbels' staatlich anerkannten Kassier legitimiert. "Das war ein posthumer Sieg für Joseph Goebbels. Er, der Teufel, war der Einzige, der es erreicht hatte, dass seine Rechte respektiert wurden", frohlockte der Marketender dieses Teufels.

Der Verlag möchte, dass die Erlöse an eine Holocaust-Stiftung gehen. Die Anwältin will das nicht

Random House will den Vergleich mit Cordula Schacht nicht einhalten, weil es "sittenwidrig" sei, mit den Äußerungen eines Kriegsverbrechers Geld zu verdienen. Die Verlage Hoffmann und Campe, Piper, und Droste haben gezahlt, über die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte auch die Bundesrepublik und der Freistaat Bayern. Nun will sich Random House als erster weigern. Die Goebbels-Tantieme von knapp siebentausend Euro sollte an eine Holocaust-Stiftung gehen. Frau Schacht und ihre Anwälte wollen das aber nicht, sondern ihr Recht und ihr Geld.

Das Recht ist eine schöne Sache, man müsste sich nur zu helfen wissen. Der Verwaltungsjurist Robert Kempner, in Nürnberg der Stellvertretende Hauptankläger der USA, hatte 1973 einen verblüffend einfachen Vorschlag: "Soweit Entschädigungen [für Schäden, die der Kriegsverbrecher Goebbels mitverursacht hat] durch die Bundesrepublik erfolgt sind, kann das Bundesfinanzministerium Regressansprüche gegen die Erlöse aus der Goebbels-Erbschaft geltend machen."

Weder Herr Schäuble (Deutschland) noch Herr Söder (Bayern) wollen davon etwas wissen. In Lüneburg steht in dieser Woche ein Mann vor Gericht, der in Auschwitz peinlich genau Buch führte über das Geld, das sich den Juden noch vor der Gaskammer aus den Taschen ziehen ließ. Oskar Gröning ist 93 Jahre alt; ihm drohen drei Jahre Haft wegen Mittäterschaft. In München dürfte nun in weiteres Mal bestätigt werden, dass mit dem Kriegsverbrecher Goebbels Geld verdient werden darf. So will es das Gesetz, und das ist der Rechtsstaat.

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