NSU-Prozess:Behörden ließen frühe Informationen über NSU-Trio ungenutzt

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  • Der Verfassungsschutz Brandenburg gab 1998 Informationen über den Aufenthaltsort der untergetauchten NSU-Mitglieder an den Thüringer und an den Sächsischen Verfassungsschutz weiter.
  • Ein V-Mann hatte die Verfassungsschützer darüber in Kenntnis gesetzt, dass sich die drei Neonazis bewaffnen und eine Bank überfallen wollen. Trotz dieser Informationen unternahmen die Behörden nichts.
  • Der Informant hatte vor seiner Zusammenarbeit mit den Behörden in Brandenburg versucht, einen Asylbewerber zu ertränken.

Aus dem Gericht berichtet Annette Ramelsberger

Verfassungsschützer ließen wertvolles Wissen ungenutzt

Der Verfassungsschutz Thüringen hat schon zwei Jahre vor Beginn der NSU-Mordserie mit zehn Toten Hinweise auf die untergetauchten Rechtsradikalen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erhalten. Ein rechter V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes berichtete schon im Sommer 1998 seinem V-Mann-Führer in Potsdam, dass "drei Skinheads" aus Sachsen untergetaucht waren und nun versuchten, Waffen zu beschaffen, um ins Ausland zu gehen.

Der Verfassungsschutz Brandenburg gab diese Informationen zeitnah auch an den Thüringer und an den Sächsischen Verfassungsschutz weiter. Doch offensichtlich geschah dort nichts.

Zwei Jahre später, im Herbst 2000, ermordete der NSU den ersten Menschen, den Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg.

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Die Thüringer hätten schon im Herbst 1998 darauf schließen können, wo sich Zschäpe und ihre Freunde aufhielten - denn der V-Mann berichtete davon, dass die Mitglieder der rechtsradikalen Vereinigung Blood and Honour Sachsen, Jan Werner und Antje Probst, Waffen und Ausweise für die drei Neonazis besorgen wollten.

Hätte man eins und eins zusammengezählt, hätte man in Chemnitz und in der rechtsradikalen Blood and Honour-Szene nach den drei Untergetauchten gesucht. Die verhielten sich damals noch nicht sehr konspirativ und tauchten auch bei Zusammenkünften der rechten Szene auf.

Behörden, die nicht mitdenken

Am Mittwoch war der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes Gordian Meyer-Plath als Zeuge vor Gericht. Er hatte den V-Mann, der über die drei Untergetauchten berichtete, in den 90er Jahren zum Teil selbst geführt und war mit ihm 38 mal zusammengetroffen. Damals arbeitete Meyer-Plath noch für den Brandenburger Verfassungsschutz.

Es gab dem Zeugen zufolge fünf relevante Informationen des V-Manns mit dem Decknamen Piatto, unter anderem, dass die drei Rechtsradikalen ins Ausland gehen wollten und sich durch einen "weiteren Banküberfall" Geld dafür verschaffen wollten. Hätten die Verfassungsschützer mitgedacht, hätten sie die Polizei informiert und die Banküberfälle der letzten Zeit überprüft - und wären fündig geworden. Mundlos und Böhnhardt hatten da bereits ihren ersten Überfall verübt.

Meyer-Plath berichtete zwar, dass die Informationen an die Kollegen vom Verfassungsschutz gingen. Es habe ein Treffen zwischen dem Sächsischen, dem Thüringischen und dem Brandenburger Verfassungsschutz gegeben. Aber ob die Informationen auch die Polizei in Thüringen und Sachsen erreichte, ist unklar.

Informant war enttäuscht von rechten Kameraden

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ließ die Frage nach dem Informationsfluss nicht zu, sie ziele nur auf die innerbehördliche Zusammenarbeit und nicht auf die Anklage, sagte er. Doch zeigt der stockende Informationsfluss ein altes Problem: Die Geheimdienste teilen ihre Informationen nur ungern mit der Polizei.

Der V-Mann mit dem Decknamen Piatto wurde vom Verfassungsschutz Brandenburg als besonders qualitätsvolle und zuverlässige Quelle betrachtet. Man habe ihm nichts aus der Nase ziehen müssen, berichtete Meyer-Plath, er sei vorbereitet zu den fast wöchentlichen Treffen gekommen. Und man habe ihn beauftragt, mehr über die drei Untergetauchten herauszufinden.

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Er habe mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet, weil er enttäuscht gewesen sei über seine rechten Kameraden. Die hatten bei den Ermittlungen gegen ihn ausgesagt. "Piatto" hatte in Brandenburg versucht, einen Asylbewerber zu ertränken. Er war mit einer überschaubaren Strafe davon gekommen. Der Verfassungsschutz Brandenburg hatte ihm von 1994 bis 2000 über 80.000 D-Mark bezahlt. Er hatte bereits im NSU-Prozess ausgesagt, konnte sich aber an kaum mehr etwas über den NSU erinnern.

Hinweise auf den Aufenthalt von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gab es immer wieder. Einmal wurde Böhnhardt von Verfassungsschützern sogar in einer Telefonzelle entdeckt, in der er mit einem anderen V-Mann telefoniert hatte. Diese Meldung wurde auch an die Leitung des Thüringer Verfassungsschutzes weitergebeben, sie versickerte dort aber.

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