Bogenhausen:Ungleiche Brüder

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Rosenkavalierplatz und Effnerplatz haben eine gemeinsame Geschichte, aber nicht viel gemeinsam: der eine voller Menschen und lebendig, der andere menschenleer und voller Autos

Von Ulrike Steinbacher, Bogenhausen

Sie liegen nah beieinander und sind doch grundverschieden. Der eine exakt abgezirkelt, der andere ein wenig polymorph, ein unregelmäßiges Stück Boden, das beim Bauen übrig blieb. Wären sie Menschen, man würde von zwei ungleichen Brüdern sprechen. Aber auch Plätze haben Charakter, sind Charaktere. Und so lässt sich der eine als kühler Technokrat beschreiben, der andere als liebenswürdiger Bummler. Sie haben einerseits eine gemeinsame Geschichte, andererseits nicht viel gemeinsam. Geografisch werden sie von einer Gruppe Hochhäuser getrennt, zeitlich mindestens von einem Jahrzehnt.

Eher willkürlich gewählt sind ihre Namen, zumindest auf den ersten Blick: Der Rosenkavalierplatz heißt nach einer Oper von Richard Strauss, aber die Straße, die nach diesem Komponisten benannt ist, überquert ein Stück weiter westlich den anderen Platz, den Effnerplatz. Der wiederum hat seinen Namen von Joseph Effner, der an den Schlössern Schleißheim, Nymphenburg und Dachau mitbaute, und von dessen Urenkel, dem Gartengestalter Carl von Effner, dem Schöpfer der Maximiliansanlagen, über die der Friedensengel ragt.

Angesichts solcher Namenspatrone und der Lage direkt am Isarhochufer ist es fast befremdlich, dass der Effnerplatz Anfang der Dreißigerjahre einfach nur als schlichte Kreuzung zweier Straßen angelegt wurde, als Verkehrsknoten am Stadtrand. Seinerzeit erfuhr er "keinerlei prägnante Ausgestaltung", wie der Bogenhauser Verein Nordostkultur auf seiner Homepage anmerkt. Die wurde erst 30, 40 Jahre später nachgereicht, dann aber so prägnant, dass die Silhouette noch heute ein wenig futuristisch wirkt.

Zwei Welten: Auf dem Rosenkavalierplatz ist das pralle Leben zuhause. (Foto: Robert Haas)

Auch die Umgestaltung geht auf den Verkehr zurück: Als die John-F.-Kennedy-Brücke über die Isar 1963 fertig war, wurde die Richard-Strauss-Straße zur wichtigen Verbindung zwischen Bogenhausen und Schwabing. Und wenn eine Gegend erst mal erschlossen ist, wird sie schnell als Bauland interessant: 1965 begann Bauunternehmer Josef Schörghuber, auf der riesigen Schafweide östlich des Effnerplatzes den Arabellapark zu errichten. Das Konzept entsprach modernem Städtebau: Menschen wohnen und arbeiten in ein und demselben Quartier, in Hochhäusern, die von ausgedehnten Grünanlagen mit einem Netz aus Fußwegen umgeben sind, während die Straßen für die Autos reserviert werden. Außerdem wurde der Arabellapark in West-Ost-Richtung abgestuft, mit den höchsten Gebäuden in direkter Nachbarschaft zum Effnerplatz. Daher sind es das Baywa-Hochhaus, der lang gezogene Riegel des Westin Grand Hotels mit dem seitlich versetzten Arabellahaus dahinter und der HVB Tower, die dem Platz seine heutige architektonische Fassung samt unverwechselbarer Silhouette geben.

Das jüngste Gestaltungselement kam erst im Januar 2011 dazu, nachdem der Bau von Richard-Strauss- und Effner-Tunnel abgeschlossen war: Da wurde auf dem Rondell in der Mitte des Kreisverkehrs die Großskulptur Mae West errichtet, ein 52 Meter hoher Doppelkegel aus Carbonstäben, der Wohlmeinende an die Kurven der gleichnamigen US-Schauspielerin erinnert, Boshafte eher an einen Badehocker. Mae West prägt zwar die Optik des Effnerplatzes, der Verkehr aber nach wie vor dessen Alltag. Auch wenn inzwischen mehr als 100 000 Fahrzeuge pro Tag im Tunnel den Platz unterqueren, bleiben oberirdisch noch genug Autos, die im Kreisel Richtung Schwabing oder Haidhausen, Richtung Autobahn Salzburg oder Nürnberg abbiegen. Die wenigen Fußgänger dazwischen sind entweder gerade aus der Tram ausgestiegen oder zur Haltestelle unterwegs. Spaziergänger und Schaufensterbummler aber - so was gibt's hier nicht.

400 Meter Luftlinie weiter im Osten ist das genaue Gegenteil zu besichtigen. Ohne Autos, voller Menschen. Den Rosenkavalierplatz säumen ein knappes Dutzend Cafés und Restaurants. Kaum scheint die Sonne, ist im Freien kein Platz mehr zu ergattern - ein bisschen südliches Flair zwischen Sechzigerjahre-Hochhäusern. Wer im Arabellapark wohnt - und das sind 10 000 Menschen - oder arbeitet - das sind 18 000 -, kommt hier quasi automatisch vorbei, sei es auf dem Weg zu Bus und U-Bahn, sei es beim Einkaufen. Am Rosenkavalierplatz findet sich, was man braucht und woran man Spaß hat: Supermarkt und Drogeriemarkt, Parfümerie und Papeterie, Banken und Apotheken, Schuhgeschäft und Dessousladen, Arztpraxen und Optiker, Buchhandlung und Stadtbücherei, Volkshochschule und Kino, dazu ein Wochenmarkt an jedem Donnerstag.

Der Effnerplatz ist eher eine kunstvolle Einöde. (Foto: Catherina Hess)

Was heute ein echter Viertel-Treffpunkt ist, war so aber nie geplant. Stattdessen wollte Josef Schörghuber seinerzeit ein bisschen Hochkultur für seinen Arabellapark. Ein Museum für moderne Kunst schwebte ihm vor, für einen Konzertsaal mit 2500 Plätzen hatte er sogar fertige Pläne. Die Sache war so konkret, dass die Baugrube schon ausgehoben war - und dann zehn Jahre lang offen blieb, weil aus dem Saal doch nichts wurde. Er scheiterte wohl an mehreren Faktoren, wie der Verein Nordostkultur aufzählt: Einmal reichte das Baurecht nicht aus, dann fand sich kein Träger und außerdem blieb unklar, welche Veranstaltungen überhaupt stattfinden sollten: Musical-Aufführungen, Fernseh-Shows, Klassik-Konzerte? Übrig blieb jedenfalls die Baugrube mitten im Arabellapark, und über ihr wurde dann 1982 der Rosenkavalierplatz errichtet - eine Notlösung, die dann prompt zum Volltreffer geriet.

Und da haben diese beiden ungleichen Plätze am Ende dann doch noch etwas gemeinsam: Beide sind städtebauliche Promenadenmischungen, entstanden aus anderen Entwicklungen, ohne dass jemand sie bewusst im Sinn gehabt hätte - der eine, weil in München mal wieder ein Konzertsaal-Projekt durchgefallen war, der andere, weil sich zwei Straßen kreuzten und jemand ein Wohngebiet daneben setzte. Und dennoch zeigen beide, dass auch Zufallsprodukte Charakter haben können.

© SZ vom 23.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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