Eishockey:Unter die Haut

Die Adler Mannheim sichern sich erstmals seit 2007 die deutsche Meisterschaft - weil es ihrem Trainer Geoff Ward gelungen ist, aus einem teuren Kader eine Mannschaft zu formen.

Von Johannes Schnitzler, Ingolstadt

Diesen letzten Angriff musste Dennis Endras noch überstehen. Er ahnte, dass er keine Chance haben würde. Mannheims Schlussmann ging in die Knie, spannte noch einmal seine Muskeln an. Dann hüpfte er auf und ab - und ließ sich ohne weitere Gegenwehr von seinen Mitspielern begraben. Er hatte keine Chance.

Handschuhe flogen in die Luft, Helme kullerten über das Eis, Männer stürzten übereinander her, als die Adler Mannheim am Mittwoch als neuer deutscher Eishockey-Meister feststanden. Der Favorit hatte die Serie gegen Titelverteidiger ERC Ingolstadt 4:2 (2:1 n.V., 2:5, 1:6, 6:2, 3:1, 3:1) gewonnen. Es ist der siebte Titel für die Mannheimer, der sechste in der DEL, der erste seit 2007 - die "bleierne Zeit", wie sie in Mannheim sagten, ist vorüber. "Als Jon Rheault das 3:1 geschossen hat, hatte ich Tränen in den Augen", sagte Endras.

Für den Nationaltorhüter ist es der erste Titel. Endras ist 29, vor fünf Jahren stand er einmal mit Augsburg im Finale. Seitdem hat er viel erlebt, nicht nur Gutes, und es gab Stimmen, die sagten, Endras werde nie einen Titel holen. "Das ist jetzt vorbei", sagte der Allgäuer und grinste. Wie groß die Erleichterung ist, war am Mittwoch in den Mannheimer Gesichtern zu lesen. "Wahnsinn" war eines der meistgebrauchten Wörter. "Wir haben so viel Scheiße erlebt, wir haben es verdient", sagte Ronny Arendt. Auf den Tag genau drei Jahre zuvor, am 22. April 2012, führten die Adler mit drei Toren Vorsprung gegen die Eisbären Berlin, sie hatten die Hand schon am Pokal. Doch Berlin glich aus, gewann das Spiel und schließlich auch die Serie. Auch dieses schwarze Datum - gelöscht.

Neunzig Minuten vor Spielbeginn saß Ingolstadts Christoph Gawlik noch im Park neben der Arena und saugte ein paar Sonnenstrahlen auf. Zusatzenergie tanken. Gawlik, 2014 Schütze des entscheidenden Tors im Finale gegen Köln, ist ein Spieler, von dem es heißt, dass er dem Gegner unter die Haut geht. Nicht wie ein wärmender Sonnenstrahl. Eher wie eine glühende Nadel. Auch am Mittwoch glühte Gawlik. Und in Mannheims Kurtis Foster hatte sich der 27-Jährige ein Ziel für seine Nadelstiche ausgesucht. Der 1,76 Meter kleine Stürmer rempelte den 20 Zentimeter größeren Verteidiger, wann immer er konnte, er provozierte, er versuchte alles, um den Adlern unter die Haut zu fahren. Und sein Plan schien aufzugehen. Gawlik, der rothaarige Feuerkopf, schoss Ingolstadt in Führung (29.). Im Duell Gawlik gegen Foster fand die sechste Partie ihren nadelspitzen Kulminationspunkt. Drei Minuten später war aber klar, dass Gawlik und die Panther dieses Duell verlieren würden. Genau sieben Sekunden brauchten die Adler, um eine Ingolstädter Strafzeit zum 1:1 zu nutzen. Torschütze: Foster (32.). Andrew Joudrey fälschte einen Schlagschuss zum 1:2 (44.) ab, Rheaults 1:3 (60.) ins leere Tor ging bereits im Jubel der Mannheimer unter. Foster flog Endras in die Arme.

Christoph Gawlik, der Ingolstadt in Richtung Düsseldorf verlassen wird, heulte.

In Mannheim gerieten fast 11 000 Adler-Fans beim Public Viewing aus dem Häuschen, in Ingolstadt begann die Feier unmittelbar nach den offiziellen Präliminarien. Die verletzten Frank Mauer und Glen Metropolit hatten sich für die Siegerehrung noch schnell ihre Ausrüstung übergezogen, der Rauch von dicken Zigarren mischte sich mit dem süßlichen Duft von Bier und lautem Triumphgeheul. Auch Daniel Hopp hatte sich eine Flasche geschnappt. "Darauf haben wir lange gewartet", sagte Mannheims Geschäftsführer. Gemeinsam mit Manager Teal Fowler hatte Hopp die Schlussminuten vor dem Spielertunnel verbracht. Ungeduldig hatten sie durch das Plexiglas aufs Eis gestarrt, waren wieder ein paar Schritte in den Tunnel zurückgetigert. Wie zwei Raubkatzen, die darauf warten, dass sich das Gitter zur Manege endlich öffnet. Jetzt, mit offenem Kragen und einem Bier in der Hand, sagte Hopp: "Ich bin gottfroh, dass Teal diesen Namen ins Spiel gebracht hat": Geoff Ward.

Rekord-Champion Berlin

Alle Finalserien seit Gründung der DEL

1994/95 Kölner Haie - EV Landshut 3:2

1995/96 Düsseldorfer EG - Köln 3:1

1996/97 Adler Mannheim - Kassel Huskies 3:0

1997/98 Mannheim - Eisbären Berlin 3:1

1998/99 Mannheim - Nürnberg Ice Tigers 3:2

1999/00 München Barons - Köln 3:1

2000/01 Mannheim - München 3:1

2001/02 Köln - Mannheim 3:2

2002/03 Krefeld Pinguine - Köln 3:2

2003/04 Frankfurt Lions - Eisbären Berlin 3:1

2004/05 Berlin - Mannheim 3:0

2005/06 Berlin - Düsseldorf 3:0

2006/07 Mannheim - Nürnberg 3:0

2007/08 Berlin - Köln 3:1

2008/09 Berlin - Düsseldorf 3:1

2009/10 Hannover Sc. - Augsburger Pa. 3:0

2010/11 Berlin - Grizzly A. Wolfsburg 3:0

2011/12 Berlin - Mannheim 3:2

2012/13 Berlin - Köln 3:1

2013/14 ERC Ingolstadt - Köln 4:3

2014/15 Mannheim - Ingolstadt 4:2

Der 53-Jährige, 2011 Stanley-Cup-Sieger mit den Boston Bruins, hat es geschafft, aus einem teuren Kader einen Meister zu formen; eine Aufgabe, an der andere Trainer vor ihm in Mannheim (und in anderen Klubs) gescheitert sind. "Ach", sagte Ward, "die Gruppe war einfach zu managen. Wir hatten dabei die besten Zuschauerplätze." Ganz so einfach wird es aber nicht gewesen sein. Auch beim Deutschen Eishockey-Bund (DEB) schätzt man Wards Arbeit, er wurde für die WM in Prag (1. bis 17. Mai) in den Stab von Bundestrainer Pat Cortina berufen. Er wird wohl einige gut gelaunte Spieler mitbringen. Die Herausforderung in Mannheim sei nun, "den Titel zu bestätigen", sagte Ward.

Ingolstadt, das kann man trotz der Niederlage so sagen, hat dieselbe Aufgabe gemeistert. So überraschend die Bayern im vergangenen Jahr von Platz neun zum Titel gestürmt waren, so überzeugend erreichten sie diesmal das Finale. Dennoch wird der ERC, wie 2014 nach der Trennung von Niklas Sundblad, einen neuen Trainer bekommen. Larry Huras bestätigte am Donnerstag, dass er in Schweden bei Örnsköldsvik unterschrieben hat. Sein Nachfolger steht in Co-Trainer Manny Viveiros angeblich schon bereit. Der Verein hat sich bislang nicht dazu geäußert, "aus Respekt vor Huras". Es gab in Ingolstadt schon schlechter moderierte Übergänge.

Huras hätte übrigens eine andere Wahl getroffen bei der Abstimmung zum MVP. Für ihn war nicht Mannheims NHL-Veteran Jochen Hecht der wertvollste Spieler der Finalserie, sondern Dennis Endras: "Ich bin überrascht. Er war sicher der beste Spieler dieser Serie." Endras war das egal. Er hat ja seinen Titel.

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