Interview:Brückenbauerinnen

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Greifen jungen Choreografen und Tänzern unter die Arme: Simone Schulte-Aladag (links) und Miria Wurm. (Foto: Kimmel)

Das neue "Tanzbüro München" und seine Chefinnen

Interview von Sabine Leucht, München

Die überregionale Strahlkraft der Münchner Tanzszene ist begrenzt, sieht man einmal von Ausnahmen wie Richard Siegal ab. Und der Nachwuchs bleibt oft allzu lange im Stadium eines Hoffnungsträgers. Nun aber gibt es das "Tanzbüro München" als neue Infrastruktur- und Informationszentrale für Newcomer und Veranstalter - nach dem Vorbild der Tanzbüros in Berlin, Zürich, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Die Leitung obliegt Simone Schulte-Aladag und Miria Wurm.

SZ: Warum braucht München ein "Beratungsbüro für zeitgenössischen Tanz", und warum sind Sie die Richtigen dafür?

Simone Schulte-Aladag: Die Tanzlandschaft verändert sich seit Jahren permanent. Viele Arbeiten sind heute sehr stark interdisziplinär und partizipativ. Tänzer wachsen aus festen Ensembles heraus, wollen aber weiterhin in der Stadt bleiben und als Choreografen arbeiten. Gleichzeitig wird der Antragsdschungel immer dichter. Hier wollen wir die Bedürfnisse der Tanzschaffenden erfragen und sie dabei unterstützen, neue Wege zu gehen. Wir bieten verschiedene Workshops an und vermitteln Kontakte.

Miria Wurm: Ja, warum wir? Dadurch, dass wir schon seit Jahren das Kinder- und Jugendtanzfestival "Think Big!" zusammen machen und als Produktionsmanagerinnen mit vielen Münchner Choreografen arbeiten, sind wir innerhalb der Stadt gut vernetzt und können für die unterschiedlichsten Bedürfnisse Leute heranziehen. Außerdem sind wir in der Arbeitsgruppe "Info plus" des Dachverbands Tanz aktiv und können so auch deutschlandweit auf ein breites Netzwerk zurückgreifen.

Inwiefern unterschiedet sich Ihre neue Arbeit von dem, was Sie vorher ohnehin schon gemacht haben?

Schulte-Aladag: Wir hatten vorher keine Mittel. Wir haben zwar immer schon Künstler beraten, aber ohne dafür Geld zu bekommen, was ja auf Dauer nicht geht. Und Produktionsmanagement konnten wir nur geförderten Künstlern anbieten. Jetzt haben wir dafür zwei Jahre lang je 40 000 Euro vom Kulturreferat zur Verfügung - nicht, um uns voll zu bezahlen, sondern als Projektgeld, um jemanden tourfähig aufzubereiten und in verschiedenen Bereichen auch "Hilfe zur Selbsthilfe" anbieten zu können. Und wir haben uns so aufgestellt, dass wir auch andere freie Produktionsmanager, Dramaturgen, technische Betreuer oder Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter auf Honorarbasis hinzuziehen. Wir verstehen uns außerdem als Ansprechpartner für Veranstalter, die sich über den Tanz in München informieren wollen und haben den Auftrag, Münchner Choreografen möglichst europaweit auf Tour zu schicken, wozu man auch selbst reisen muss.

Es gibt in der Münchner Tanzszene schon allerlei mehr oder weniger durchschaubare Institutionen. Unter anderem die Choreografenvereinigung Tanztendenz, in die die Stadt schon seit fast 30 Jahren investiert und die eigentlich wie der natürliche Ort für ein Tanzbüro aussieht. Sind da Kooperationen angedacht?

Wurm: Was die Informationsebene angeht, den Newsletter und den Tanzkalender, kooperieren wir ja schon lange. Auch arbeiten wir immer wieder mit Choreografen der Tanztendenz.

Schulte-Aladag: Ich denke, es gibt viele, die andere Bedürfnisse haben als die zwanzig festen Tanztendenz-Mitglieder. Zum Beispiel junge Choreografen, die mit Kindern, Laien oder Künstlern anderer Disziplinen arbeiten. Es gibt das Gastrecht, mit dem einige dort phasenweise proben können. Aber wie viel Unterstützung die Einzelnen bekommen, das durchblickt man nicht.

Wurm: Die Strukturen sind ja auch bei uns über Jahre hinweg gewachsen. Alle Künstler, die derzeit schon auf unserer Website stehen wie Stefan Dreher, Anna Konjetzky oder Katrin Schafitel, haben uns angesprochen, weil sie uns kennen. Die Tür war schon offen, und jetzt ist einfach nur ein Label obendrauf gekommen und die Möglichkeit, sich mehr Zeit zu nehmen.

Die Stadt hat das Tanzbüro ja nicht ausgeschrieben, weil die Szene bereits prima funktioniert. Was sind die Hauptdefizite? Wurm: Das Selbstbewusstsein. Viele Choreografen zweifeln stark an sich, rücken immer mehr vom eigenem Konzept ab und kommen dann in so ein Wischiwaschi rein, von dem sie glauben, dass es zu irgendwelchen Strömungen passt. Tobias Draeger hat das aus meiner Sicht bei "Daily Madness" andersrum gemacht und gefragt: Wie kann ich ein Stück aufbauen, wenn ich keinen Probenraum habe und nur mich als Person? Andere doktern oft zu viel herum. Da ist Beratung und Betreuung wichtig.

Schulte-Aladag: Und der Austausch mit dem, was andere Künstler machen. Stichwort Kooperation. Ich glaube, dass man viel mehr raus- und auf andere zugehen muss mit seiner Idee. Das bringt auch größere Aufmerksamkeit. Und was grundsätzlich fehlt, sind kontinuierliche, professionelle, bezahlbare Trainingsmöglichkeiten. Gottseidank gibt es die Tanzwerkstatt Europa, die zwei Wochen lang sehr verschiedene Profi-Workshops in die Stadt holt.

Das ist aber nur einmal im Jahr.

Schulte-Aladag: Ja, und die restliche Zeit müssen Münchner Tänzer bis nach Wien oder Barcelona fahren. Derzeit unterstützen wir Mia Lawrence bei ihrem Pilotprojekt Tanz- und Performance-Training beim Festival Dance, wofür sie zwölf internationale Tänzer ausgewählt hat, die eine Tanzausbildung, aber noch wenig Praxis haben. Sie bekommen drei Wochen Training und werden in Stefan Drehers Outdoor-Tanzmarathon "Dancing Days" eingebunden. Das soll weitergehen, aber wir haben dafür derzeit nur ein Mini-Mini-Budget. Und vielleicht kommt ja der ein oder andere Tänzer öfter oder bleibt hier. Weil er erfährt, hier gibt es Fördergelder und interessante Menschen.

© SZ vom 24.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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