Architektur:Google ist nur ein Ort

Dass einige wenige Firmen die virtuelle Welt dominieren, hat man gewusst. Doch jetzt sollte man sich daran gewöhnen, dass die Netz-Giganten sich auch im realen Raum immer mehr breitmachen. Denn auch dort neigen Facebook, Apple und Google zu Adipositas.

Von Gerhard Matzig

"Wahnsinn, dachte Mae, ich bin im Himmel." Das ist der erste Satz in Dave Eggers' Roman "The Circle", der wie kein anderes Buch die Ära von Google, Facebook & Co. auf den Punkt zwischen Hoffnung und Abgrund bringt. Und dass dieser Punkt ein Ort sein soll, umbauter Raum, ja aberwitzige Büro-Architektur: Das ist kein Zufall. Eggers Buch über ein faschistoides Mischimperium liest sich stellenweise wie eine Architekturkritik. Da geht es etwa um eine Vorhalle, "so lang wie ein Exerzierplatz, so hoch wie eine Kathedrale". Und der kalifornische Himmel, der sich triumphal darüber wölbt, ist "makellos und blau".

Nun weiß man, welche Summen Google investiert, um seinen Mitarbeitern keine Resopaltristesse zumuten zu müssen. Mehr als 500 Millionen Dollar (464 Millionen Euro) hat der Online-Riese in den letzten zehn Jahren im kalifornischen Mountain View, am 200 000 Quadratmeter umfassenden Unternehmenssitz "Googleplex", ausgegeben - allein für Instandsetzung und Umbaumaßnahmen. Im gleichen Zeitraum hat die gesamte Einwohnerschaft von Mountain View (74 066) halb so viel in Immobilien investiert.

Dass Google die virtuelle Welt dominiert, wusste man. Jetzt sollte man sich daran gewöhnen, dass Google auch im Reich von Beton, Stahl und Glas zur Adipositas neigt. Google, die Chiffre der Mobilität, ist zugleich auch ein fettsüchtiger Immobilist.

Aus der Garage, die Larry Page und Sergey Brin 1998 angemietet hatten, ist ein bedenklich voluminöses Imperium geworden, das sich schon längst nicht mehr auf den Nichtraum der Algorithmen beschränkt. Google, Facebook und viele andere Unternehmen aus der Technologiebranche greifen in gewaltigen Maßstäben in den realen öffentlichen Raum ein, der selbstverständlich von nun an dem privaten Wachschutz unterstellt ist. Ein Nebeneffekt der Raumaneignung: In Mountain View, wo ohnehin ein Viertel der Bevölkerung bei Google arbeitet, sind die Immobilienpreise in den letzten zwei Jahren um 32 Prozent gestiegen.

Neu ist das Phänomen des unternehmerischen Umsichgreifens nicht. Die "Fuggerei" in Augsburg, eine Siedlung mit 140 Wohnungen, gilt beispielsweise als älteste Sozialsiedlung der Welt. Sie verdankt sich Jakob Fugger (Beiname: "der Reiche"), der sie im Jahr 1521 errichten ließ. Und "Siemensstadt", ein riesenhaftes Areal am Ostrand Berlins, markiert einen Höhepunkt der Industrialisierung. Schon immer wurden aus großen Unternehmen auch große Bauherren. Diese hatten jedoch - im besten Fall - nicht allein die Rendite, sondern auch das Wohnen ihrer Belegschaft im Blick.

Vor einigen Tagen wurde das neue Facebook-Hauptquartier in Menlo Park bezogen, das sich Mark Zuckerberg von Frank Gehry als eine Art Hyper-Garage hat erbauen lassen. Nicht weit davon entfernt, in Cupertino, will Apple bald das von Norman Foster entworfene Hauptquartier beziehen. Es soll fünf Milliarden Dollar kosten. Und Bjarke Ingels wird schließlich den Google-Komplex in Mountain View für weitere 10 000 Mitarbeiter erweitern. Architektonisch sind diese Projekte ambitioniert. Es entsteht der modernste Büroraum der Welt. Dazu imageförderliche Corporate Architecture. Doch für den öffentlichen Raum gilt: Der Raumhunger der Titanen ist privater Natur. Sie schaffen sich ihre eigenen Habitate und fressen schon heute ganze Städte auf.

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