Basketball:Gegen Biest und Lawine

Los Angeles Clippers at Los Angeles Lakers

Superstars unter sich: Der Guard der Los Angeles Clippers, Chris Paul (r.), lässt sich vom Antonio-Spurs-Forward Tim Duncan nicht stoppen.

(Foto: Michael Nelson/dpa)

Das Duell zwischen San Antonio und den LA Clippers ist das spannendste der Playoff-Runde.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es ist ein prächtiges Ritual, das DeAndre Jordan da jedes Mal zelebriert, wenn er zur Freiwurflinie schreitet - es erinnert ein bisschen an all die Sachen, die Boris Becker einst absolvierte, bevor er aufschlug. Jordan marschiert also zurück hinter die Dreierlinie. Blick zum Hallendach, Einatmen. Beim Ausatmen die Ellenbogen zweimal nach hinten drücken, Blick nach unten, langsamer Gang zur Freiwurflinie. Der rechte Fuß steht leicht versetzt vor dem linken, Jordan lässt sich vom Schiedsrichter den Ball zuwerfen. Kurze Kniebeuge. Einatmen. Ausatmen. Werfen.

29 Mal hat der Center der Los Angeles Clippers in der Serie der ersten Playoffrunde gegen die San Antonio Spurs nun dieses Ritual präsentiert. Es ist ein wichtiger Bestandteil dieses Dramas, bei dem aus der dynamischen Sportart Basketball eine statische Disziplin wird. Gewöhnlich gehören Freiwürfe zu den langweiligen Elementen einer Partie, jedoch nicht bei Jordan: Es ist spannend, es ist interessant - und meist ist es tragisch. Von diesen 29 Freiwürfen hat er in den Playoffs bislang elf getroffen. 37,9 Prozent. Eine schreckliche Quote, erst recht in den Playoffs.

"Heute wurden wir ganz einfach überrollt"

Es gibt eine Regel in der nordamerikanischen Profiliga NBA, nach der in gewissen Situationen der gefoulte Spieler sogleich an die Freiwurflinie geschickt wird. Diese Regel bevorzugt gemeinhin die gefoulte Mannschaft: Pro Ballbesitz erzielen die Clippers etwa durchschnittlich 1,1 Punkte, dieser Wert wird bei Freiwürfen mit einer Erfolgsquote von mageren 55 Prozent erreicht. In Jordans Fall jedoch nutzen es gegnerische Trainer als taktisches Mittel, weil bei einer Quote von 37,9 Prozent eben nur 0,66 Punkte pro Ballbesitz erreicht werden.

Am Freitagabend musste Jordan allerdings kein einziges Mal zur Freiwurflinie. Nein, der legendäre Spurs-Trainer Gregg Popovich hatte keinen neuen taktischen Kniff gefunden, er hatte ganz einfach Mitleid. Mit 100:73 gewannen die Texaner die Partie, für die Clippers war es die höchste Playoff-Niederlage der Vereinsgeschichte. "Wir wurden heute ganz einfach von einer Lawine überrollt", sagte Los Angeles' Trainer Doc Rivers nach der Partie mit einer Stimme, die er nicht von der Natur geschenkt bekommen hat, sondern sich durch kräftiges Brüllen während der vergangenen drei Partien erarbeitet hat.

Diese Serie zwischen den Clippers und den Spurs ist die aufregendste der ersten Ausscheidungsrunden. Es steht 2:1. Für die Spurs. Die vierte Partie findet am Sonntag in San Antonio statt.

Duell der Generationen

Die Serie wirkt bislang wie das Duell eines jugendlichen Tischtennis-Talents gegen einen erfahrenen Kontrahenten. Der Teenager ist fitter, kräftiger, beweglicher, ihm gelingen die spektakulären Aktionen, während der alte Akteur geduldig die Bälle auf die Platte schubst. Das ist nicht aufregend, jedoch auch nahezu fehlerfrei. Der Junge wetzt hinter der Platte hin und her, prügelt auf den Ball ein - und stellt am Ende eines Satzes fest, dass es noch immer Unentschieden steht. Entsetzt und aufgewühlt macht er zwei Fehler und verliert.

"Das ist eine Mannschaft, die sich nicht selbst besiegt", sagt Clippers-Spielmacher Chris Paul: "Du darfst nicht auf Fehler warten, sondern du musst sie dazu zwingen. Gleichzeitig darfst du selbst keine Fehler begehen." Genau das war der Grund, warum es in der Umkleidekabine der Clippers nach der zweiten Partie (LA hatte nach Verlängerung verloren) derart gespenstisch zuging. DeAndre Jordan schüttelte immer wieder den Kopf, während er zum Boden starrte, Blake Griffin - der kurz vor Schluss den Ball verloren hatte - war den Tränen nahe ("Das ist heute alles meine Schuld"), von Paul war ein verzweifelter Schrei aus der Dusche zu hören.

Kawhi Leonard glänzt in der Defensive und Offensive

Genau dieser Gemütszustand gefällt den Spurs; sie wirken so wie der alternde Tischtennisspieler, der milde lächelt, wenn sein jüngerer Kontrahent nach drei Sätzen die Geduld verliert. "Man muss sich zunächst einmal bewusst machen, dass man es mit einem Biest zu tun hat", sagt Trainer Doc Rivers deshalb: "Sie spielen niemals schlecht, sie machen keine Fehler - und dann haben sie auch noch Ausrutscher nach oben wie heute." Am Freitagabend war es in der Kabine der Clippers noch stiller als am Mittwoch, an der Wand war nur der Treffpunkt für die Analyse am nächsten Morgen vermerkt.

Es war ein gar schrecklicher Abend für die Clippers, Paul erlaubte sich mehr Ballverluste als ihm Vorlagen gelangen. Jamal Crawford traf nur einen seiner elf Wurfversuche, Blake Griffin brauchte 15 Würfe für 14 Punkte, Jordan schaffte gerade einmal acht Rebounds. Kawhi Leonard von den Spurs dagegen präsentierte nicht nur seine außerordentlichen Fähigkeiten als Verteidiger - er wurde vor dem Spiel als bester Defensivspieler der Liga ausgezeichnet und hielt Gegenspieler J.J. Reddick danach stilgerecht bei sieben Punkten -, sondern er erzielte auch noch 32 Punkte. Mit einer Trefferquote von mehr als 72 Prozent aus dem Feld.

"Eine Wurfquote aus dem Feld von 34 Prozent ist mies", sagte Rivers: "Wir müssen nun auf Video analysieren, was dazu geführt hat. Und wir werden daraus lernen." Was Rivers auf jeden Fall lernen dürfte: Er ist positiv, wenn es möglichst viele Dramen an der Freiwurflinie für DeAndre Jordan gibt. Denn das würde bedeuten, dass die Clippers eine Chance haben, die Partie zu gewinnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: