WM-Kampf:Klitschko, der niedergeschlagene Sieger

Wladimir Klitschko, WM-Kampf, Bryant Jennings

Wladimir Klitschko nach seinem Sieg gegen Bryant Jennings.

(Foto: Timoty A. Clary/AFP)
  • Wladimir Klitschko siegt im WM-Kampf gegen Bryant Jennings nach Punkten.
  • Das kritische New Yorker Publikum buht ihn zwar nicht erneut aus, doch überzeugen kann der Schwergewichts-Weltmeister die Kritiker nicht.
  • Wie Klitschko gewann: Die Kampf-Analyse, Runde für Runde.

Von Saskia Aleythe

Er wollte seinen Gegner K.o. schlagen. Eine große Show liefern. Die Herzen in New York erobern. Und dann? Wladimir Klitschko hat den Schwergewichts-Kampf gegen Bryant Jennings im Madison Square Garden gewonnen. Aber wie? Nach Punkten. Und ohne ein Spektakel abzuliefern. Zurück bleibt ein ratloser Weltmeister. Und kaum Imagegewinn in den USA. Die SZ-Rundenkritik.

Vor dem Kampf

Alte Beziehungen wieder aufzuwärmen ist nur in Ausnahmefällen eine gute Idee: Zu schmerzhaft die Erinnerungen, zu hart ein Neuanfang. Doch Wladimir Klitschko hat damit ja gute Erfahrungen gemacht - und so, wie aus dem Liebescomeback mit Freundin Hayden Panettiere ein Menschlein entstanden ist, soll nun auch der neue Versuch als Boxer in den USA fruchten. Sieben Jahre ist es her, dass Klitschko zuletzt in den Staaten boxte - damals hatte man ihn mit Buhrufen aus dem Madison Square Garden vertrieben, trotz Punktsieg gegen Sultan Ibragimow - aber sein Kampfstil war einfach zu unspektakulär.

Klitschko kehrt zurück mit dem Wissen, dass er nun ein bisschen mehr bieten muss - nicht nur im Ring. Eine Show-Ikone wird nicht mehr aus ihm, doch Dr. Steelhammer macht ein paar Späßchen schon mit: Auf Instagram postete er ein Video, in dem er seinen Gegner mit dem Spitznamen "By By" schon vorab verabschiedet: Am Piano klimpert er "Hit the Road Jack", begleitet von Tönen, die durchaus angsteinflößend sind. Vor allem für Musiklehrer.

Dass sie im Boxmekka derzeit nur eine Nebenrolle spielen, wissen Klitschko und sein Gegner Bryant Jennings natürlich, am 2. Mai steigt schließlich der "Jahrhundertkampf" im Weltergewicht zwischen Floyd Mayweather Jr. und Manny Pacquiao - größere Aufmerksamkeit als diese Beiden zu erregen, ist momentan schlicht unmöglich. Also schenkten sich Klitschko und Jennings das große Sprücheklopfen vorab weitestgehend. "Er ist ein bisschen alt", sagte Jennings über den Ukrainer. Der schnaubte kurz.

Gegenüberstellung der Boxer

Hat Bryant Jennings ein Kamel verschluckt? In seinen Armen könnte sich ohne weiteres eines verstecken, so wohl geformt kommen sie daher. Ohnehin, die Arme: Sieben Zentimeter sind sie länger als jene von Klitschko, vielleicht Jennings einziger körperlicher Vorteil. Der 30-Jährige kommt zwar extrem athletisch daher, ist dafür aber auch fast schon ein Leichtgewicht: Beim Einwiegen brachte er mit 102,9 Kilogramm fast sieben Kilogramm weniger auf die Waage als der Ukrainer. Und noch einmal die Zahl sieben: Sieben Zentimeter kleiner ist der Mann aus Philadelphia als Klitschko. Man darf gespannt sein auf die siebte Runde.

Elf Jahre ist Klitschko nun schon unbesiegt, doppelt so lange wie sein Gegner überhaupt professionell boxt: Bryant Jennings versuchte sich an der High School als Footballer, Basketballer, Sprinter und Kugelstoßer - erst 2010 bestritt er seinen ersten Profikampf. Bis zum vergangenen Jahr war er noch in Vollzeit als Hausmeister bei einer Bank in Philadelphia angestellt. Inwiefern ihm sein Fachwissen in Sachen Wasserrohrbruch im Ring weiterhelfen wird, bleibt abzuwarten. Bisher hat er immerhin jeden seiner Kämpfe gewonnen - 19 Kämpfe hat Jennings bestritten. Klitschko 66.

Neben dem Ring

Ein Klitschko-Kampf ohne Shannon Briggs ist ja mittlerweile wie Hanni ohne Nanni, wie Helene ohne Fischer, wie Twitter ohne Tweets: undenkbar. Der alternde Haudegen tauchte bei Pressekonferenzen auf und pöbelte auch beim Einwiegen. Natürlich gegen Klitschko, von dem er seit Jahren einen Kampf fordert, aber auch gegen Deontay Wilder. Jener hat den WBC-Gürtel inne, den Klitschko auch gerne hätte - in nächster Zukunft könnte es zum Vereinigungskampf kommen. Garantiert mit Briggs im Publikum.

Neben dem Ring hat RTL kurz vor Beginn noch Bruce Willis abgegriffen, der etwas lethargisch vor Florian König steht und sagt: "Ich bin hergekommen, um Wladi zu sehen. Er ist ein harter Schläger, ich bin immer hier, wenn er kämpft, wir kennen uns schon sehr lange. Er wird den Kerl ausknocken." Dass er gar nicht für den Amerikaner Jennings sei, verwundert Ebel. "Ach, darum geht's nicht", antwortet Willis. Dann huscht Klitschko-Freundin Panettiere vorbei. "Ich habe viel Vertrauen in ihn", sagt die Schauspielerin über ihren Boxer und ist auch schon wieder verschwunden. Auch Thomas Gottschalk hat es kurz vor Veröffentlichung seiner Biografie wieder vor die Kameras geschafft. "Ich setze voll auf Klitschko", sagt das Goldlöckchen. Was Klitschko tun müsse, um Jennings zu besiegen? "Möglichst den anderen K.o. schlagen." Gut, dass es Experten gibt.

Einmarsch der Boxer

Bryant Jennings hat ein Mäntelchen an, das mit lila Akzenten auftrumpft. Zum Titel "Glory" aus dem Film Selma schleicht er in die Halle, durchaus mit Anmut - aber nicht sonderlich angsteinflößend. Im Ring angekommen, wirft er nur kurz die Hände in die Höhe. Dann ist Wladimir-Klitschko-Zeit. Seine Songauswahl ist so verlässlich wie das Wiederauftauchen von Promis kurz vorm Erscheinen ihrer Biografie. Zu "Can't stop" von den Red Hot Chilli Peppers läuft er auch ohne Sperenzien in den Ring - und die Halle pfeift ihn aus. Immerhin Panettiere tanzt ein bisschen für ihn. Fällt nur nicht sonderlich auf.

Vorstellung durch den Ringsprecher

Michael Buffer ist einsatzbereit, wie immer. Er spult die Biografie von Jennings runter, der verzieht keine Miene. Auch Dr. Steelhammer lässt sich nochmal vorstellen. Als Buffer dessen Namen formschön in die Länge zieht, küsst er immerhin seinen Handschuh. Den rechten übrigens. Mal sehen, was er damit heute noch anstellt.

Wladimir Klitschko, WM-Kampf

Schlagabtausch zwischen Klitschko und Jennings.

(Foto: AFP)

Runde für Runde: So lief der Kampf

Runde 1

Jennings macht gleich, wofür man ihn hier hergeholt hat: Er bewegt sich flink durch den Ring und versucht sich an Stupsern in Klitschkos Brusthöhe. Klitschko macht gleich, was ihn die vergangen Jahre ausgezeichnet hat: Er hält sich Jennings mit der Führhand vom Leib, ein paar Schwinger schickt er rüber, doch der Amerikaner duckt sich beharrlich.

Runde 2

Rauf und runter, rauf und runter: Jennings duckt und streckt sich - als hätte er sich kurz vorm Kampf eine Extra-Dosis Koffein intravenös verpasst. Angriffe kommen dabei allerdings nicht herum. Klitschko teilt die erste Links-Rechts-Kombination aus, die Doppeldeckung von Jennings ist nicht gerade ein Bollwerk. Auch Jennings lässt die Rechte nach vorne schnellen, doch der Arm ist schlicht zu kurz. Das sollte hier ja eigentlich sein Plus sein. Seltsam.

Runde 3

Wir sehen so etwas wie einen Infight, doch Klitschko ist ja ein Klammeräffchen der ersten Stunde. Es folgt ein Tänzchen mit Jennings Richtung Ringseile, dann gibt es auch wieder ein bisschen Körperkontakt: Klitschko streckt die Führhand aus, Jennings hält die Deckung oben.

Runde 4

"Keep on boxing", sagt Jonathan Banks zu Klitschko, dann springt Jennings aber in den Ukrainer hinein. Unkontrolliert allerdings, weshalb er selber danach erstmals richtige Schläge einstecken muss. Gegen den Kopf, gegen den Körper, Klitschko muss eigentlich nur seine Führhand loslassen. Der Jab zieht halt immer. Jennings Rechte landet im Leeren.

Runde 5

Zwischen Mut und Wahnsinn liegen manchmal nur Nuancen: Jennings wirft sich bisher teilweise fahrlässig in Klitschko, kann dann aber nicht punkten. Jetzt wird hauptsächlich geklammert, seine Deckung lädt Klitschkos Linke quasi ein. Das Koffein scheint nachzulassen, Jennings Beine erlahmen.

Runde 6

Wäre er ein Stier, hätte Jennings Klitschko schon ein bisschen wehtun können: Immer wieder stürmt er mit dem Kopf in Richtung Körper des Ukrainers. Doch hier zählen ja nur die Fäuste. Klitschko versucht, die Lücken auszugucken, Jennings kann auch mal mit der Faust in Kopfhöhe landen. Es kommt zum ersten offensiveren Schlagabtausch, allerdings nur für ein paar Sekündchen.

Runde 7

Jennings wirkt rehabilitiert, das hat auch Klitschko gemerkt - allerdings kann er gerade nicht viel ausrichten. Seinen linken Arm schubst er durch die Luft, doch Jennings ist wieder hellwach. Er weicht ihm gekonnt aus, wagt sogar ein paar Tippelschritte. Nur einmal dringt Klitschko spürbar durch. Jennings Reaktion: Schulterzucken.

Runde 8

Auch Jennings darf nun einen Treffer landen, er teilt einen linken Haken aus. Doch dann wird er wieder zu statisch. Die Lücke in seiner Deckung zu finden, ist keine Herausforderung für den Weltmeister: Klitschko prescht durch die Fäuste direkt in Jennings Gesicht. Das ist Schläge aber anscheinend gewöhnt.

Runde 9

Klitschko schlägt, Jennings duckt sich: Auch so kann Boxen aussehen. Dann passiert etwas seltenes im Ring: Klitschko kassiert einen Schlag ins Gesicht und hat den ersten Cut im Gesicht seit gefühlt 200 Jahren. Doch auch er wuchtet sich in Jennings Gesicht, was durchaus schmerzhafter aussieht.

Runde 10

Geht dem Amerikaner die Puste aus? Der Ringrichter will ein unanständiges Aufstützen von Klitschko gesehen haben und verwarnt den Ukrainer, es gibt einen Punktabzug. Danach teilt er aus, ein rechter Haken schlägt ein, auch eine Linke. Jennings nimmt die Arme runter und macht Faxen - doch Klitschko hat keine Lust aufs Zuhauen. Wie lange lässt er sich die Spielereien vom Amerikaner noch gefallen? Für einen Knockout bleibt ja nicht mehr so viel Zeit.

Runde 11

Sich nach vorne werfen und dann ducken - Jennings behält seine Strategie bei. Treffen tut er dabei natürlich kaum etwas. Immerhin hat er Klitschko ein bisschen müde gelaufen. Doch aus Konditionsschwäche ist wohl noch kein Boxer umgefallen. Klitschko darf dann auch eine Rechte ins Ziel bringen, er hat Jennings in der Ringecke. Doch Prügelsalven folgen keine.

Runde 12

Seine letzte Energie will Jennings hier noch loswerden, er attackiert Klitschko in der Nahdistanz. Klitschko entdeckt dann auch seine Fäuste wieder, doch ins Wanken bringen kann er den Amerikaner nur am Schluss ein wenig. Jennings ist Weltmeister im Ducken, er übersteht den Kampf ohne Bodenkontakt. Ging nicht vielen so. Der Gong kommt, die beiden umarmen sich. Auch eher selten.

Nach dem Kampf

Große Spannung liegt nicht in der Luft, Michael Buffer verkündet die Entscheidung: Klitschko bleibt Weltmeister im Schwergewicht. Die Begeisterung aller ist verhalten, Klitschko ist nach einem Kampf tatsächlich mal ein wenig gezeichnet. Lächeln? Kann er kaum. Seine Rückkehr nach Amerika hat er sich wohl anders vorgestellt. "Er ist schon ein harter Konkurrent, er hat schnelle Hände und eine gute Fußarbeit", sagt er ins Hallenmikrofon, "das war schon eine große Herausforderung. Die wird er für die nächsten Gegner sicher auch sein."

Danach darf auch Jennings ein paar Worte loswerden; er sieht aus, als käme er gerade vom Facelifting - keine Spur von einem 12-Runden-Kampf gegen Klitschko. "Es war schwer, ihn zu treffen", sagt Jennings, "ich bin nicht richtig zum Kopf gekommen". Stolz steht er in der Riege seiner Anhängerschaft, Klitschko steigt ohne Elan auf die Ringseile und spult das Jubel-Ritual der vergangenen Jahre ab - allerdings mit bedrückter Miene. So niedergeschlagen sah ein Sieger selten aus.

"Es hat gereicht - aber nicht für einen beeindruckenden Sieg", gibt Klitschko zerknirscht zu. Er weiß: "Es hätten mehr spannende Momente sein können." Das Spektakel, das sich gerade die Amis wünschen, hat er nicht geliefert. Wann er wiederkommen wird, ob sie ihn wiedersehen wollen? "Ich kämpfe sehr gerne hier", sagt Klitschko, "und ich freue mich, hier gewesen zu sein." Komplizierte Zeiten.

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