Böses Blut zwischen Jägern und Förstern:Wald oder Wild?

Böses Blut zwischen Jägern und Förstern: Förster Hans-Helmut Holzner (rechts) und Stefan Warsönke vom Amt für Landwirtschaft und Forsten vermessen ein Waldstück und zählen Kleinpflanzen.

Förster Hans-Helmut Holzner (rechts) und Stefan Warsönke vom Amt für Landwirtschaft und Forsten vermessen ein Waldstück und zählen Kleinpflanzen.

(Foto: Marco Einfeldt)

"Es stimmt nicht, dass wir das Rehwild ausrotten wollen", sagt Gutachter Stefan Warsönke. Wie in ganz Bayern erstellen Förster derzeit auch in den Wäldern des Landkreises Freising Verbissgutachten. Dabei haben sie erbitterte Gegner.

Von Eva Zimmerhof, Freising

Hans-Helmut Holzner zwickt gelbe Wäscheklammern in zarte Pflänzchen. Peinlich genau achtet er darauf, dass er die nächststehenden 15 Miniaturtannen und -fichten rund um den Messpunkt markiert. Dann untersucht er, wie sehr die Rehe an ihnen geknabbert haben. Koordinaten und Verbisszustand tippt der Revierförster in seinen Outdoor-Laptop. "Es soll uns niemand Mauscheleien nachsagen", betont Stefan Warsönke vom Amt für Ernährung, Landwirtschaften und Forsten (AELF).

Die Männer sammeln Daten für das - unter Jägern höchst umstrittene - forstliche Gutachten zur Situation der Waldverjüngung 2015, auch als Verbiss- oder Vegetationsgutachten bekannt. "Eine Einschränkung des mündigen Bürgers", nennt es Walter Bott, Vorsitzender des Jagdschutz- und Jägervereins Freising Stadt und Land. Der Zweite Vorsitzende, Holger von Stetten, nennt es "perfide" und sieht Daten "bewusst verfälscht".

Das Gutachten beeinflusst den Wildabschuss

Vor allem die Jäger bekommen die Auswirkungen des im Drei-Jahres-Rhythmus erstellten und in diesem Jahr wieder fälligen Gutachtens zu spüren, hat es doch Einfluss auf die Abschusszahlen. Letztlich legt die Untere Jagdbehörde fest, wie viel Rehwild in der nächsten Periode, vom 1. April 2016 an, geschossen werden soll, das Verbissgutachten aber bildet die Grundlage.

"Es stimmt nicht, dass wir das Rehwild ausrotten wollen, wie die Jäger sagen", sagt Gutachter Warsönke. "Wald und Wild sollen im Einklang stehen, und dafür ist noch viel zu viel Wild da."

Der Jagdverein hingegen fürchtet, die Wildbestände könnten "auf ein wildbiologisch nicht mehr vertretbares Minimum" schrumpfen, und zerlegt das Gutachten auf seiner Webseite in dessen Einzelteile. Insbesondere, dass der Verbiss in Prozentwerten ohne Bezug zur gesamten Vegetationsdichte dargestellt werden habe "einen Aussagewert, der gegen Null tendiert", erklärt von Stetten. "Natürlich möchten die Jäger den Wildbestand halten", sagt Warsönke. "Bei geringeren Beständen sehen sie das Wild viel seltener und die Jagd wird aufwendiger." Auch Waldbesitzer seien unter den Kritikern. Lohnt sich die Jagd nicht mehr, bringt die Verpachtung der Reviere ebenfalls weniger ein.

"Unlautere" Methode mit "festgelegtem Ergebnis"

Seit Mitte Februar dokumentieren die Förster im Landkreis, ob und wie stark die jungen Bäume verbissen sind. So schreibt es das Bayerische Staatsministerium seit 1986 vor. Es ist ein Stichprobenverfahren, mit dem das Ministerium Schäden in den Verjüngungsflächen objektiv zu erfassen versucht. Über dem Land liegt dazu ein digitales Gitternetzraster, etwa 150 Hektar groß sind die Quadranten. Die Förster untersuchen je die zum Mittelpunkt nächstgelegene Fläche und dokumentieren dort den Pflanzenzustand je an fünf Messpunkten auf einer Geraden. Es ist eine Untersuchung nach einem eingeschränkten Zufallsprinzip: Ein feineres Raster und die Auswahl der Untersuchungsflächen durch einen Zufallsgenerator ergäbe eine genauere Messung.

Eine "unlautere" Methode sieht von Stetten darin, dass die Gutachter von den Prozentangaben des Verbisses auf den Wildbestand schließen. "Ein Gutachten muss außerdem so erstellt werden, dass das Ergebnis offen ist. Wenn aber schon in der Arbeitsanleitung steht, dass der Grundsatz Wald vor Wild zu gelten hat, ist das Ergebnis festgelegt", so der Jäger. Seine Mängelliste ist lang: Als Staatsbeamter sei der Gutachter nicht unabhängig, der Entstehungszeitpunkt des Verbisses werde nicht berücksichtigt und der Seitentriebverbiss zu hoch gewertet.

Eine Verschwendung von Steuergeldern?

"Die Jäger werfen uns auch gerne vor, wir würden Steuergelder verschwenden", sagt Warsönke. Dennoch gibt ihnen in einem Punkt Recht: "Das Wachstum der Pflanze wird durch den Verbiss des Leittriebs gestört, der Seitentriebverbiss ist nicht so schlimm. Wenn die Seiten aber massiv weggeknabbert sind, geht es doch zu Lasten der Vitalität. Letztlich liegt die Schadensbewertung beim Gutachter."

Bald gehen die Daten an die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft; dessen Auswertung bekommt das AELF im August. Kritische Stellen untersuchen die Förster dann erneut. Erst danach erstellt das AELF die Gutachten für die acht Hegegemeinschaften im Landkreis. "Unsere Abschussempfehlungen schicken wir der Unteren Jagdschutzbehörde und auch die Jäger und Waldbesitzer machen Vorschläge.", erläutert Warsönke. "Das letzte Wort hat aber die Behörde." Die Streckenlisten der Jäger, in denen diese ihre Abschusszahlen notieren, kontrollieren sie "allerdings nur vom Schreibtisch aus". "Und das ist schwierig", ergänzt Holzner.

Mischwald hält den Klimaveränderungen besser stand

"Das waldbauliche Ziel des Waldbesitzers kann doch nicht durch eine Behörde definiert werden. Wenn der den Fichtenwald haben will, kommt es ihm recht, wenn die Rehe alle Eichen verbeißen", sagt Bott. Aber genau darum geht es den Förstern. "Mischwald ist weniger anfällig für die immer stärker werdenden Klimaveränderungen und für die Waldbesitzer damit eine Risikovorsorge", so Warsönke. "Im Landkreis steht es sehr schlecht um die Tanne, ohne Schutz hat sie keine Überlebenschance." Den Rehen schmeckt sie einfach besser als Fichte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: