Weltreisen:Ich reise, also schreib' ich

Vespa-Buch 2, Delius-Klasing

Drei Jungs, unterwegs mit der Harley des kleinen Mannes, um den amerikanischen Freiheits-Mythos neu zu befeuern.

(Foto: Daniel Phakos, Dani Heyne)

Aus jeder Weltreise wird ein Buch und jedes will das Originellste sein, was oft schiefgeht. Will man wissen, wie die Klos dieser Welt aussehen und wie eine Autorin in 80 Orgasmen um die Erde reist?

Von Stefan Fischer

Der großartigste aller Kabarettisten, Josef Hader, unternimmt in seinem legendären Programm "Privat" einen Ausflug in die Hölle. Dort trifft er Reinhold Messner - der einzige, der dort einen Anorak trägt. "Ich wollte eine Erstbesteigung machen von der Höll'", lamentiert Messner, jetzt lasse ihn der Teufel nicht mehr hinaus. Die beiden entkommen schließlich doch, ein Fahrstuhl katapultiert sie von dort in die australische Einöde. "Am Horizont ist eine Autobahn", freut Hader sich über diese Rückkehrmöglichkeit in die Zivilisation. "Verflucht", zetert hingegen Messner, "da ist schon wer g'wesen." Messner macht dann einen Kopfstand und singt "La Paloma". Damit ist er wenigstens der erste Mensch in der australischen Wüste, der einen Kopfstand macht und "La Paloma" singt.

Die Szene steht exemplarisch für das im 20. Jahrhundert aufgekommene Problem, mit dem Abenteurer und Weltreisende seither konfrontiert sind: Überall war schon jemand. Von überall hat schon jemand den Daheimgebliebenen berichtet. Haders Spott einmal beiseitegelassen: Selbst Reinhold Messer, der nicht nur in den Augen eines Fachpublikums Beachtliches geleistet hat, musste sich Ziele konstruieren, um als Pionier zu gelten: Der erste Mensch, der alle 14 Achttausender bestiegen hat, der erste Mensch, der den Gipfel des Mount Everest ohne Flaschensauerstoff erreicht hat, der erste Mensch, der einen Achttausender im Alleingang geschafft hat . . .

Die Exotik der Ziele allein reicht längst nicht mehr aus, um ein Publikum zu finden, das sich gerne berichten lässt von den Abenteuern eines Expeditionsteilnehmers, eines Fern- oder Weltreisenden. Zumal wenn diese Abenteuer, was beileibe keine Schande ist, drei Nummern kleiner ausfallen als bei Messner. Zweierlei ist nämlich durchaus gleich geblieben: der Mitteilungsdrang derjenigen, die unterwegs sind - auch, weil die Buch-Veröffentlichung eines Reiseberichts bis heute ein probates Mittel ist, sich seine Abenteuerlust zu finanzieren. Und die Neugier der Daheimgebliebenen auf diese Geschichten. Wenn sie denn originell sind.

Die Notwendigkeit, etwas auf solche Art noch nie Erlebtes zu schildern, führt in der Realität nicht selten sehr nah heran an "La Paloma" im Kopfstand inmitten der australischen Wüste. Unter den aktuellen Neuveröffentlichungen ist Henriette Hells "Achtung, ich komme!" ein besonders kalkuliertes Beispiel: Die Autorin schreibt, von den deutschen Männern sexuell frustriert zu sein. Sie bricht auf unbestimmte Zeit zu einer Reise um die Welt auf mit dem Ziel, in jedem Land, das sie besucht, mit einem Einheimischen Sex zu haben. "In 80 Orgasmen um die Welt", lautet der Untertitel des Buchs - das sich damit einreiht in die weitaus mehr als 80 Titel, die sich einen Jules-Verne-Kalauer nicht verkneifen mögen. Das Kalkül hinter dem Buch ist offenbar, dass es Leser unter der Haben-auch-"Fifty Shades of Grey"- und-"Feuchtgebiete"-gekauft-Kundschaft findet. Und, dass es im Reisesegment als Pendant zu Thilo Mischkes "In 80 Frauen um die Welt" wahrgenommen wird. Was Hells Buch gemein hat mit etlichen historischen Reiseberichten: Man erfährt mehr über die Autorin als über fremde Länder und Menschen.

Der körperlichen Seite des Reisens hat sich auch Nina Sedano angenommen, die im vergangenen Jahr mit "Die Ländersammlerin" einen Bestseller hatte. Schon dessen Lektüre legte nahe, dass es Sedano tatsächlich mehr darum geht, eine Sammlung zu komplettieren als tatsächlich etwas zu erleben. Jedenfalls erstaunt, wie wenig jemand zu erzählen haben kann, der so viel unterwegs ist. "Happy End" nun ist gewissermaßen die Fußnote zum ersten Buch, eine Sammlung der "stillen Örtchen dieser Welt". Wer beim Ländersammeln mal muss, erfährt, wo ihm wie geholfen wird. Wer Schlimmstes ahnt, liegt richtig: Die Autorin bezeichnet sich natürlich und folgerichtig als Klobetrotterin.

Um vieles lässiger ist die Geschichte von Benjamin Schaschek und Hannes Koch, die um die Welt segeln und wann immer es geht mit Einheimischen Musik aufnehmen. Ihr Problem jedoch ist, dass sie keine guten Autoren sind und bei ihnen alles gleich wichtig ist. Das Attraktivste an "Sailing Conductors" ist die beiliegende CD mit sechs Tracks. An Bord ist auch Nils Straatmann gegangen, er ist vier Monate als Matrose durch die Karibik geschippert. "Wo die Kartoffeln auf Bäumen wachsen" ist im Stil eines Tagebuchs verfasst - und das thematisch am wenigsten originellste dieser Reisebücher. Das Beruhigende in diesem zum Teil arg überdrehten Segment des Buchmarkts: Es behaupten sich nicht nur schrille Titel, sondern auch solche mit Substanz und einer gewissen Relevanz.

Bei "Auf der Vespa durch die USA" kommt alles zusammen: eine verrückte Idee, spannend erzählt - und cool inszeniert! Danie Heyne und Daniel Phakos präsentieren den Trip in bester Harley-Macker-Manier. Dahinter steckt eine feine Selbstironie, die sie nicht verwechseln mit einem nervigen Sich-zum-Volltrottel-Stilisieren. Gerade indem sie diesen amerikanischen Freiheits-Mythos unterlaufen, beleben sie ihn - und sind selbst die wildesten Hunde.

Henriette Hell: Achtung, ich komme! In 80 Orgasmen um die Welt. Blanvalet Verlag, München 2015. 256 Seiten, 12,99 Euro. Danie Heyne, Daniel Phakos: Auf der Vespa durch die USA. Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2015. 272 Seiten, 19,90 Euro. Benjamin Schaschek, Hannes Koch: Sailing Conductors. Zwei Leichtmatrosen auf der weltweiten Suche nach Musik. Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2015. 350 Seiten, 22,90 Euro. Nina Sedano: Happy End. Die stillen Örtchen der Welt. Neues von der Ländersammlerin. Eden Books, Hamburg 2015. 368 Seiten, 14,95 Euro. Nils Straatmann: Wo die Kartoffeln auf Bäumen wachsen. 113 Tage als Matrose in der Karibik. Malik Verlag, München 2015. 282 Seiten, 14,99 Euro.

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