Konzertsaal-Debatte in München:Pakt mit dem Park

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Eine vernünftige Initiative: der Standort vis-à-vis der BMW-Welt am Mittleren Ring

(Foto: imago/imagebroker)
  • Attraktive Städte bestehen nicht nur aus dem existenziell Gebotenen sowie aus Arbeitsplätzen, sondern auch aus kulturellem Ehrgeiz.
  • In München ist nun die Idee im Gespräch, den neuen Konzertsaal im Olympiapark nördlich der Innenstadt zu bauen.
  • Schon oft wurden Stadtrandlagen durch besondere Architektur und Kulturstätten aufgewertet.

Von Gerhard Matzig

Die peinigende Diskussion um einen neuen Münchner Konzertsaal erinnerte zuletzt an ritualisierte Katastrophenschutzübungen. Im Rathaus oder in der Staatskanzlei zündet man Bombenideen - und der Rest der Welt bringt sich in Deckung, weil die Ideen eher die Wirkung von Mörsergranaten als von Lösungsvorschlägen hätten.

Umso verblüffender ist nun die neueste Volte im Streit um einen Konzertsaal, der vielleicht weniger dringend gebraucht wird als bezahlbarer Wohnraum oder Flüchtlingsunterkünfte, der aber dennoch von vielen Menschen ersehnt wird. Zu Recht. Vitale, also attraktive, im Wortsinn anziehende Städte bestehen nicht nur aus dem existenziell Gebotenen sowie aus Arbeitsplätzen, sondern auch aus kultureller Ambition. Aus einer in die Zukunft zielenden Selbstvergewisserung. Ohne diesen Ehrgeiz wäre München niemals München geworden. Die Geschichte der Stadt ist die Geschichte großer, bisweilen (und vermeintlich) abenteuerlicher Projekte.

Über die wahre Notwendigkeit eines weiteren Konzertsaales von Rang besteht aber in der weltweit anerkannten, vielfach beneideten Musikmetropole München große Einigkeit. Allein der passende Standort fehlt. Fehlte. Denn nun bietet er sich an. Die Idee, den Konzertsaal im Olympiapark zu bauen (SZ vom 27. April), könnte sogar das sein, womit man kaum mehr rechnen durfte: ein Befreiungsschlag.

Horst Seehofer wird es am Ende ja von Anfang an gewusst haben

Wäre dem so, und vieles spricht dafür, so wird Horst Seehofer der Erste sein, der die Idee dann schon lange vorher gehabt haben wird. Wobei sogar fraglich ist, ob sich aktuell Münchens Zweiter Bürgermeister Josef Schmid und Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (beide CSU) damit brüsten können. Zwar gilt der Standort im Olympiapark am nördlichen Rand der Innenstadt (nicht zu verwechseln mit der Altstadt) als ihr gemeinsamer Vorschlag aus der zweiten Reihe, nachdem sich die erstrangigen Gasteig-Ausbaupläne von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und Ministerpräsident Horst Seehofer nun auch per Gutachten als Unsinn erster Klasse erweisen; tatsächlich aber ist die Idee älter.

Vom Juli letzten Jahres ist beispielsweise ein offener Brief von Andreas Keck, Vorsitzender der FDP München, bekannt. Er richtet sich an Spaenle. Darin heißt es: "Ich möchte hiermit anregen, dass Sie den Olympiapark mit in die Standortüberlegungen einbeziehen (. . .)" Und auch der zuständige Bezirksausschuss hat das Areal am Fuße des Fernsehturms schon ins Gespräch gebracht. Dass die Idee somit keinen genialischen Handstreich von oben, sondern letztlich eine vernünftige Initiative aus der Mitte des Bürgertums heraus darstellt, ist ein weiterer Grund, der für den Standort vis-à-vis der BMW-Welt am Mittleren Ring spricht. Ohne gesellschaftliche Akzeptanz sollte das Projekt nicht verwirklicht werden.

Genau die ist aber nun in Sichtweite. Obwohl natürlich bereits Stimmen zu vernehmen sind, die eine erstklassige Kulturinstitution nicht in einer als zweitklassig angesehenen Lage verorten wollen. Ist ja wahr: Wenn man vor dem möglichen Baugrundstück im unansehnlichen Zwickel zwischen Georg-Brauchle-Ring und der in die Innenstadt führenden Lerchenauer Straße steht, dann tut man sich erst mal schwer, sich hier den Glamour einer umfeierten Weltpremiere vorzustellen. All die Roben, Schleppen, Schärpen und dazu vielleicht jener Satz über die "Sternstunde, dankbar und glücklich müssen wir sein . . .", der einen Monacofranze, den man sich gut auch als nahen Hasenbergler vorstellen kann, in den Wahnsinn treiben würde: Passt das hierher? Hierher, direkt zum Schild, das nach Feldmoching weist? Aber ganz genau. Die Alte Pinakothek, 1836 eröffnet und im Herzen der Stadt befindlich, wurde einst als "bei Dachau" gelegen verspottet. Zu weit draußen. Die Lehre: Städte wachsen. München sogar besonders dynamisch.

Orte der Kultur können den Stadtrand aufwerten

Ein Konzertsaal von Weltrang und in Form herausragender Architektur, gemeinsam mit BMW-Welt und Fernsehturm ein ensemblehaftes Stadttor bildend, würde sich an diesem Standort als Herzschrittmacher erweisen. Hier könnte München, der Entwicklung mal wieder ein paar Jahrzehnte hinterherhinkend, von Städten wie Bochum oder Dortmund lernen. Abgesehen von Paris und London. Wie man weiß, werden Kulturträger gerade deshalb in der Nähe von Gewerbegebieten, Straßenschneisen oder sogar in Rotlichtnähe verankert, um den dort wirksamen stadträumlichen Fliehkräften, die immer auch Ausdruck gesellschaftlicher Erosion sind, Einhalt zu gebieten. Auch die Allianz-Arena befindet sich dort, wo sie ist, an der Peripherie, zu Recht. Längst schon überstrahlt ihre suggestiv illuminierte Gestalt die gesamte, vormals elende, jetzt aufgewertete Nachbarschaft.

Übrigens wurde auch das Gasteig-Kulturzentrum einst bewusst dorthin gesetzt, wo Nachholbedarf bestand: in den Münchner Osten. Mittlerweile aber befinden sich im Norden, das ist immer noch die unbeliebteste Himmelsrichtung in München, die wichtigsten Entwicklungsachsen der Stadt. Einschließlich der bald schon zum Wohnen genutzten Konversionsflächen, die hier die weitere Umgebung ebenfalls nachhaltig verändern werden. Der Weg nach Feldmoching ist in Wahrheit der Weg in die Zukunft Münchens.

Der Park hilft dem Konzertsaal - aber zugleich profitiert er auch von ihm

Dabei ist der fragliche Standort schon jetzt keine Verlegenheitslösung. Schon der Bau der beim Publikum extrem beliebten BMW-Welt nach einem Entwurf von Coop-Himmelb(l)au, vollendet im Sommer 2007, hat der Stadt gutgetan. Genau südlich davon, getrennt durch die Stadtautobahn, wo sich jetzt noch das Eissportzentrum mit Bauten von Kurt Ackermann befindet, würde ein Konzertsaal den Auftakt zu einer der schönsten Parkanlagen der Welt, zum Olympiapark, markieren.

Dabei würde der Konzertsaal von der weich modulierten Parklandschaft im Rücken, Landschaftsarchitektur von Weltruf, und auch von der Nähe der Ausnahmearchitektur der Olympiabauten profitieren. Das gilt aber auch andersherum. Ein Konzertsaal würde auch den Park heilen.

Ein geschickt gesetzter Bau, dessen wichtige Aufgabe es wäre, den Park weiterhin sichtbar zu machen, während er ihm gleichzeitig an einem bislang ungeliebten Eck Halt gibt, würde sich - zumal mit kultureller Nutzung - auch der weiteren Verkirmesierung und Eventisierung des Parks machtvoll entgegenstemmen.

Das ist dringend geboten. Die postolympische Nutzung des Parks - Sealife, Waterball, Socc-Arena, "Night of the jump", Wakeboarden: Es ist ein einziges Gezocke im und Gezerre am Park. Er wurde banalisiert. Kulturelle Nutzung statt der Verdammung jedes einzelnen Grashalmes dazu, zur Park-Ökonomisierung beitragen zu müssen: Das wäre eine ideale Lösung. Im Gespräch mit der SZ kann sich sogar Fritz Auer vom Büro Auer Weber - er ist einer der Urheber der Park-Architektur und mittlerweile so etwas wie der Gralshüter des grandiosen olympischen Erbes in München - mit der Idee vom Konzertsaal anfreunden: "Das kann ich mir vorstellen. Eine kulturelle Nutzung wäre sinnvoll. Etwas, was nicht vorrangig der wirtschaftlichen Ausbeutung des Parks dient."

Problematisch erscheint noch das von Kurt Ackermann filigran und konstruktiv elegant entworfene Eislaufzelt, das - wie auch die von ihm entworfenen Festbauten - wohl einem Konzertsaal weichen müsste. Es könnte aber, ohnehin einst als temporärer Bau gedacht, transloziert werden. Ein weiteres Problem ist der Anschluss zum öffentlichen Nahverkehr: Hier wäre zu überlegen, ob der relativ nah gelegene U-Bahnhof "Petuelring" in Richtung Konzertsaal erweitert oder die Wege zu ihm abschnittsweise verbessert werden könnten. Für Autofahrer dürfte dagegen der Konzertsaal am Mittleren Ring ideal gelegen sein: sozusagen mit Autobahnanschluss. Weshalb es auf dem möglichen Konzertsaal-Grundstück auch schon viele Parkplätze und Parkhäuser gibt.

Die Futuristen forderten einst - ein Akt des so präpotenten wie prämodernen Bildersturms - dazu auf, aus den Museen Parkhäuser zu machen; in München könnte man es am Olympiapark genau andersherum sehen: Den Parkplätzen könnte ein Konzertsaal entwachsen, der den Park wieder zum Park-Platz macht. Nicht für Autos, sondern für Mensch und Kultur.

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