Volleyball-Erstligist Herrsching:Kleiner Teich

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Herrschings Volleyballer bemühen sich nach der Verpflichtung von Zuspieler Patrick Steuerwald auch um Nationalspieler Ferdinand Tille. Der Libero kehrt nach Deutschland zurück - und pokert noch ein wenig.

Von Sebastian Winter, Herrsching

Ferdinand Tille saß am Montagnachmittag auf dem Balkon seiner Wohnung, die Sonne schien ihm bei 22 Grad auf den Kopf. Er ließ den Blick schweifen über jene Stadt, die seit dem vergangenen Herbst sein Zuhause ist. Das klingt erst einmal schön. Aber Tille, 26-jähriger Libero der deutschen Volleyball-Nationalmannschaft und langjähriger Abwehrchef des früheren Erstligisten Generali Haching, ist nie richtig warm geworden mit Belchatow. Diesem 60 000-Einwohner-Städtchen im Zentrum Polens, dessen "Wahrzeichen" die monströsen Schornsteine des größten europäischen Braunkohlekraftwerks sind.

Sportlich ist es ordentlich gelaufen für Tilles Klub Skra Belchatow, der allerdings höhere Ansprüche hat: Dritter im nationalen Pokalwettbewerb, Vierter in der Champions League, in der Meisterschaft spielt Belchatow zurzeit noch um Platz drei. Für Tille lief es nicht so gut. Er spielt wegen der Ausländerbegrenzung nicht so oft, und außer Volleyball hat Belchatow nicht wirklich viel zu bieten - anders als der charmante französische Küstenort Sète, wo Tille zwischen 2011 und 2013 spielte. Für den Mühldorfer steht fest: Er kehrt zurück nach Deutschland, sobald die Saison in Polen beendet ist. Die Frage ist nur: Wohin?

Die Antwort steht noch aus, zurzeit gibt es aber nur zwei Alternativen: Erstliga-Aufsteiger Rüsselsheim. Oder Herrsching. Der Klub vom Ammersee hat vergangene Woche Nationalmannschaftszuspieler Patrick Steuerwald verpflichtet (SZ vom 24. April) und damit schon mal ein Ausrufezeichen in Richtung Rüsselsheim gesetzt. Die beiden Vereine fischen im selben Teich, sie wollen einen mit jungen, vornehmlich deutschen Spielern gespickten Kader aufbauen, den zwei, drei erfahrene Haudegen anführen sollen. Steuerwald gehört zur Kategorie Haudegen. "Es ist spitze, einen solchen Mann in seinen Reihen zu wissen. Patrick wird uns mit Sicherheit deutlich verstärken und auch ein Argument für andere Spieler sein, einen Wechsel nach Herrsching in Erwägung zu ziehen", sagte TSV-Trainer Max Hauser. Steuerwald selbst findet: "Meine Verpflichtung ist ein Anfang, aber hoffentlich noch nicht das Ende."

Mit Tille sind die Verantwortlichen im Gespräch, seine Freundin wohnt in München, er könnte sein Studium forcieren. Vom Ausland hat er jedenfalls erst einmal genug. Tille findet auch das Rüsselsheimer Konzept spannend, "sie wollen eine Art B-Nationalmannschaft aufbauen mit jungen und ein, zwei älteren Spielern", sagt der Libero. Volleyball-Vereine prügeln sich nicht gerade um die Abwehrspieler, Angebote sind rar. Tille hat schon einmal keinen Klub gefunden vor ein paar Jahren, weil er etwas zu lange auf das passende Angebot gewartet hat. Nun hat er zumindest zwei, und steht auch vor der Frage, welcher Verein ihm die Chance auf seinen Traum am ehesten erhalten kann: "Ich habe noch das große Ziel Olympia", sagt Tille, "das Training muss also gut sein, das Team auch." Die Chemie muss passen. Und natürlich das Angebot. Wohnung, Auto, all diese weichen Faktoren sind Standard bei einem 143-fachen Nationalspieler wie Tille, der vergangenen Herbst überraschend WM-Bronze mit Deutschland gewann. In jenem Land übrigens, in dem er mittlerweile nicht mehr ganz so glücklich ist. Bei Herrsching und auch Rüsselsheim muss er im Vergleich zu Belchatow wohl deutliche finanzielle Abstriche machen, aber das ist ihm die Rückkehr wert. Bis Ende dieser Woche dürfte Tille eine Entscheidung getroffen haben, wie auch Mittelblocker Lukas Bauer, an dem Herrsching ebenfalls sehr interessiert ist. Möglicherweise wird bald auch die Verpflichtung eines neuen Annahme-Außenspielers verkündet.

Es tut sich also einiges in Herrsching. Der Klub, der ansonsten nicht gerade leise Töne spuckt, muss sich neuerdings im Fach "Verhandlungsdiplomatie bei Großtransfers" versuchen. Die Telefondrähte glühen, Manager Fritz Frömming hat sich den Montag deshalb frei genommen in seiner Firma. Ferdinand Tille saß währenddessen auf seinem Balkon und freute sich schon ein wenig auf die Rückkehr nach Deutschland. Sollte Belchatow am Mittwoch gewinnen, ist die Saison vorbei. Ein Galadinner noch mit den Sponsoren, und Tille ist frei. Am 3. Mai will er von Lodz zurückreisen. Zielflughafen: München.

© SZ vom 28.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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