Nepal:Neue Lawine verschüttet vermutlich Hunderte Menschen

Nepal: Diese Aufnahme wurde von einem Helikopter aus fotografiert. Sie zeigt ein völlig zerstörtes Bergdorf im Distrikt Gorkha.

Diese Aufnahme wurde von einem Helikopter aus fotografiert. Sie zeigt ein völlig zerstörtes Bergdorf im Distrikt Gorkha.

(Foto: AFP)
  • Nach dem Erdbeben in Nepal bemüht sich das Auswärtige Amt um Informationen über das Schicksal von mehr als 100 vermissten Deutschen.
  • Bei einem erneuten Lawinenabgang sollen Hunderte Menschen verschüttet worden sein.
  • Die Zahl der Toten stieg auf 4485 - unter den Opfern ist auch ein Wissenschaftler aus Göttingen.
  • Die UN schätzen, dass insgesamt acht Millionen Menschen von dem Erdbeben im Himalaya betroffen sind. Viele von ihnen bräuchten Essen und Trinken.
  • Nach den Erdbeben-Lawinen am Mount Everest sind fast alle Bergsteiger ins Tal geflogen worden.

Etwa 500 Deutsche sollen sich zum Zeitpunkt des Erdbebens in Nepal aufgehalten haben. Nach Medienberichten sind davon 150 vermisst, auch das Auswärtige Amt spricht inzwischen von einer "niedrigen dreistelligen Zahl" von Deutschen, deren Verbleib nicht geklärt ist. Der Krisenstab bemühe sich um Informationen über das Schicksal von mehr als 100 vermissten Deutschen.

"Nach derzeitigem Stand haben wir die traurige Gewissheit, dass ein deutscher Staatsangehöriger unter den Todesopfern des Erdbebens in Nepal ist. Wir können zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen, dass sich weitere Deutsche unter den Opfern befinden", erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Dienstag zudem. Angaben zur Zahl der Verletzten machte er nicht.

Einige Deutsche und ihre Angehörige konnten das Land inzwischen mit Unterstützung der deutschen Botschaft in Kathmandu verlassen. Diplomaten haben einen Betreuungsstand am Flughafen der nepalesischen Hauptstadt eingerichtet. Einige deutsche Staatsbürger halten sich noch auf dem Botschaftsgelände auf.

Bei dem Toten handelt es sich um einen Geografie-Professor der Universität Göttingen, wie die Hochschule am Dienstag mitteilte. Er befand sich mit 15 Studenten und einem weiteren Wissenschaftler auf einer Exkursion, als die Gruppe vom Erdbeben überrascht wurde.

Bis zu 250 Vermisste nach neuer Lawine in Nepal

Nach dem Abgang einer neuen Lawine im nepalesischen Erdbebengebiet werden bis zu 250 Menschen vermisst. Möglicherweise seien darunter ausländische Touristen, sagte Gouverneur des Bezirks Rasuwa, Uddhav Bhattarai, am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Die Lawine habe zur Mittagszeit das Dorf Ghodatabela getroffen, das in einem Naturpark liege. Die Region nördlich der Hauptstadt Kathmandu ist bei Wanderern beliebt. "Wir versuchen sie zu retten, aber schlechtes Wetter und Regen behindern die Arbeit", sagte Bhattarai weiter.

Ministerpräsident befürchtet 10 000 Tote

Die Zahl der Toten nach dem gewaltigen Erdbeben in der Himalaya-Region steigt immer weiter. Allein in Nepal starben nach Angaben des Innenministeriums vom Dienstag 4485 Menschen. Zudem gebe es mehr als 8000 Verletzte.

Nepals Regierung hat drei Tage Staatstrauer angeordnet und räumte am Dienstag erstmals öffentlich ein, trotz zahlreicher Warnungen vor einem bevorstehenden großen Beben nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein. "Wir haben nicht genügend Mittel, und wir brauchen mehr Zeit, um alle zu erreichen", erklärte Innenminister Bam Dev Gautam im staatlichen Fernsehen. Die Behörden hätten Schwierigkeiten, die Krise zu meistern. "Wir waren auf ein Desaster dieses Ausmaßes nicht vorbereitet", sagte er.

Nach Angaben von Ministerpräsident Sushil Koirala könnten insgesamt 10 000 Menschen ums Leben gekommen sein. Die Regierung habe angeordnet, dass die Rettungsarbeiten intensiviert würden, sagte der Regierungschef am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Sein Land benötige jetzt Hilfe von außen - vor allem Zelte und Medikamente.

UN: Acht Millionen Menschen betroffen

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind insgesamt etwa acht Millionen Menschen von dem schweren Erdbeben betroffen. Mehr als 1,4 Millionen davon bräuchten Nahrungsmittel, berichtete das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) in New York. Wasser und Unterkünfte würden benötigt.

Für die Gesundheitsversorgung müssten medizinische Zelte, Medikamente und chirurgische Geräte ins Land gebracht werden. Auch Leichensäcke würden gebraucht. Die UN-Organisation erklärte weiter, sie habe die Zahl ohne Vor-Ort-Begehung ermittelt. Sie sei errechnet anhand von Zensusdaten und der Annahme, dass 50 Prozent der Bevölkerung in den Distrikten betroffen sind. Dazu gehörten vor allem diejenigen Menschen, die in schlechten Häusern mit schwachen Mauern leben.

Kein Strom und kaum Trinkwasser in Kathmandu

Auf der Suche nach Wasser und Nahrung haben inzwischen Zehntausende Menschen das von einem Erdbeben schwer getroffene Kathmandu-Tal in Nepal verlassen. Die nepalesische Zeitung Himalayan Times gab ihre Zahl am Dienstag mit mehr als 72 000 an.

In der Hauptstadt gebe es derzeit keinen Strom und kaum Trinkwasser, sagte Philips Ewert, Einsatzleiter der Hilfsorganisation World Vision vor Ort. Alle großen Geschäfte und Banken seien geschlossen. "Außerdem wollen viele Menschen in ihre Heimatdörfer fahren und schauen, wie es ihren Familien geht", sagte Ewert. Auf Fotos waren völlig überladene Lastwagen und Busse zu sehen, die Kathmandu verließen.

Fast alle Bergsteiger vom Mount Everest gerettet

Derweil sind am Mount Everest fast alle Abenteurer ins Tal geflogen worden. Bergsteiger Daniel Mazur schrieb aus Camp 1 oberhalb des Basislagers: "Wir sind die letzten neun Sherpas und acht Kletterer am Everest." Die Helikopter-Landestelle liege auf 6100 Metern Höhe. "Sonnig und wolkenlos, aber das Warten ist schwer", teilte er via Twitter mit.

Mehr als 100 Bergsteiger saßen am Berg fest, weil die Aufstiegsroute - dazu gehören Leitern und Seile durch einen Gletscher - durch Lawinen zerstört worden war. Zum Zeitpunkt des Unglücks hielten sich zudem etwa 1000 Menschen im Basislager auf, die zum Teil gerettet werden mussten. Der bekannte US-Bergsteiger Alan Arnette schrieb aus dem Basislager, fast alle Teams um ihn herum hätten das Camp verlassen oder bereiteten sich darauf vor. Sie würden in dieser Saison den Everest nicht mehr von der Südseite aus besteigen. "Einige kleine Teams werden in ein paar Tagen entscheiden", schreibt er in seinem Blog.

Bislang wurden insgesamt 205 Bergsteiger am höchsten Berg der Welt gerettet, sagte ein örtlicher Polizeisprecher am Dienstag. Die Polizei sprach von 17 Menschen, die durch eine Lawine im Everest-Basislager ums Leben gekommen seien. Ein Sprecher der Tourismusbehörde gab die Zahl mit mindestens 20 an. Das indische Militär, das bei der Rettungsaktion mithalf, sprach von 22 Toten.

52 Experten treffen in Nepal ein

Unterdessen trafen weitere Bergungsspezialisten und medizinisches Personal aus Deutschland in Nepal ein. Ein Team aus 52 Experten sei am Dienstagmorgen in Kathmandu eingetroffen, teilte die auf die Bergung von Erdbebenopfern spezialisierte Hilfsorganisation I.S.A.R. Germany mit. Sie würden mit Rettungshunden und Spezialtechnik nach Verschütteten suchen.

Die Organisation werde in der Erdbebenregion zudem ein Feldlazarett aufbauen, um Verletzte medizinisch versorgen zu können. Teamleiter Thomas Laackmann sagte, es gebe auch Pläne, in einem Ort etwa 60 Kilometer von Kathmandu entfernt aktiv zu werden.

Das Erdbeben der Stärke 7,8 hatte am Samstag große Teile Nepals sowie die angrenzenden Länder Indien und China erschüttert. Im Bebengebiet leben nach UN-Angaben etwa 6,6 Millionen Menschen. Wie viele davon stark betroffen sind, ist laut Ewert noch nicht abzusehen. Seine Organisation höre immer wieder, dass im Epizentrum die meisten Häuser zerstört seien. "Aber die Region ist noch völlig unzugänglich."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: