Freihandelsabkommen mit den USA:Warum ein TTIP-Gerichtshof vernünftig ist

TTIP

TTIP-Protest an einer Kölner Mauer: Das Wandbild des Künstlers A.Signl setzt sich kritisch mit dem Freihandelsabkommen auseinander.

(Foto: Marius Becker/dpa)

Böse Konzerne gegen guten Staat: Auf diesem Niveau wird die Frage um Schiedsgerichte im Rahmen eines Freihandelsabkommens oft geführt. Doch dabei wird nur die halbe Wahrheit berücksichtigt.

Kommentar von Claus Hulverscheidt

Wenn man es nicht besser wüsste, dann könnte man das Gezerre um das europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP für den Versuch eines übereifrigen Politik-Studenten halten, den ultimativen Problemfall zu konstruieren. Einen Fall, der offenbart, wie Politiker durch Ignoranz und Geheimniskrämerei ein eigentlich gutes Projekt diskreditieren können - der aber auch zeigt, wie eine kleine Schar von Aktivisten durch viel Getöse und einen flexiblen Umgang mit der Wahrheit gutgläubige Bürger dazu bringen kann, gegen ihre eigenen Interessen zu demonstrieren.

Dass der Wohlstand eines Volkes steigt, wenn es mit anderen Völkern Handel treibt, ist in der Ökonomie weitgehend unumstritten. Für ein Land wie die Bundesrepublik, das erheblich mehr produziert, als die eigenen Bürger kaufen wollen, gilt das umso mehr. Ein Abkommen wie TTIP, das Unternehmen über die Angleichung technischer Standards und den Abbau bürokratischer Hürden den Export weiter erleichtert, müsste also für deutsche Arbeitnehmer nicht Fluch, sondern Segen sein.

TTIP hat sich zur Projektionsfläche für alles vermeintlich Böse entwickelt

In der aktuellen Debatte jedoch ist kein Raum für grundsätzliche Erwägungen. Stattdessen hat sich TTIP zur Projektionsfläche für alles vermeintlich Böse auf der Welt entwickelt: böse Konzerne, welche die Demokratie aushebeln und auf Arbeitnehmer- wie Verbraucherschutz pfeifen, und böse Regierungen, die mit skrupellosen Managern gemeinsame Sache machen und das Volk für dumm verkaufen.

Hinter dieser düsteren Sichtweise verbirgt sich ein Mix aus Kapitalismuskritik, Globalisierungsangst und Antiamerikanismus. Dabei reicht ein Blick in eine US-Zeitung, um festzustellen, dass sich die Amerikaner mindestens so sehr vor europäischem Rohmilchkäse fürchten wie die Europäer vor dem amerikanischen Chlorhühnchen. Es geht in diesem Punkt also weniger um das rechte Maß an Verbraucherschutz als darum, inwieweit die Bürger hüben wie drüben bereit sind, kulturelle Eigenheiten des anderen zu ertragen.

Schiedsverfahren wurden einst zum Schutz deutscher Firmen eingeführt

Noch mehr ideologisch überfrachtet ist die Frage, ob für Konflikte zwischen Staaten und Firmen weiter Schiedsstellen zuständig sein sollen. Hinter der Frage steht das Bild vom bösen Konzern, der den guten Staat verklagt. So simpel ist es aber meist nicht, denn ein Parlament hat zwar selbstverständlich das Recht, wirtschaftliche Rahmenbedingungen nach Belieben zu verändern. Wenn ein Land aber etwa binnen weniger Jahre zuerst aus der Atomkraft aus-, dann wieder ein- und schließlich erneut aussteigt, kann man schon die Frage stellen, ob einem Unternehmen, das im guten Glauben investiert hat, nicht ein Schaden entstanden ist.

Es war übrigens die Bundesregierung, die 1959 zum Schutz "ihrer" Firmen als erste Regierung überhaupt die Möglichkeit eines Schiedsverfahrens in einem Handelsvertrag vereinbarte. Mit welchem Recht aber will man einem US-Unternehmen in Griechenland den gleichen Schutz verwehren, der einer deutschen Firma in Pakistan selbstverständlich zusteht?

Worauf es ankommt, ist, dass Streitfälle nicht im Verborgenen, sondern öffentlich verhandelt werden, dass staatlich bestellte Richter damit befasst sind, dass eine Berufung möglich ist und dass offensichtlich unbegründete, allein auf Erpressung zielende Klagen gar nicht erst zugelassen werden. Die jüngste Idee von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, einen ständigen europäisch-amerikanischen Handelsgerichtshof einzurichten, erfüllt alle diese Anforderungen. Die TTIP-Gegner haben jetzt die Chance zu zeigen, um was es ihnen wirklich geht: um Fortschritte in der Sache oder ums Rechthaben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: