Tennis:Alles für die Lederhose

Volles Pensum statt nur Abkassieren: Der entspannt auftretende Wimbledon-Sieger Andy Murray erweist sich als Bereicherung für das Münchner Tennisturnier, das vom Regen stark gebeutelt wird.

Von Gerald Kleffmann

Diese Nachricht, die in den Weiten des Internets aufgetaucht war, passte vorzüglich zu dieser Woche, in der sich so vieles um einen speziellen Spieler bei dieser speziellen Turnierausgabe gedreht hatte. "Andy Murray und Brooklyn Decker erwarten erstes Kind", wurde auf einer Gesellschaftsplattform verkündet, natürlich fehlten die Ausrufezeichen nicht. Nachdem Herzogin Kate gerade ein Mädchen gebar, darf sich Großbritannien über neuen Nachwuchs freuen, wobei sich bislang die Hysterie aus verständlichen Gründen in Grenzen hielt. Das Problem ist ja: Murray ist nicht mit Frau Decker verheiratet, Vater wird er auch nicht, dafür ein früherer Profi, an dessen Stelle Murrays Name rutschte. "Bin mir nicht sicher, ob das meiner Frau und Andy Roddick gefällt, wenn sie das erfahren", kommentierte Murray ironisch-vergnügt am Samstagabend. Seine echte Frau Kim, die er am 11. April geehelicht hat und die auf die Reise nach München verzichtete, ließ noch keine Reaktion übermitteln, sorgen muss sich die Künstlerin, spezialisiert auf Tierporträts, nicht. Ihr Mann macht gerade definitiv nichts anderes, als sich um sein Sandplatztennis zu kümmern. Von morgens bis abends. Dafür gab es 36 000 Zeugen.

Aktuelles Lexikon: Monster

Ein Ungeheuer definiert der Duden lakonisch als das Monster, ein Ungetüm, regional auch: ein Trumm. Am Anfang der Begriffsgeschichte standen Angst und Schrecken, ein heilsamer Schrecken - im Begriff Monster stecken die lateinischen Wörter monere (mahnen) und monstrare (zeigen). Das Monster als Mahnzeichen, es wird als so ungewöhnlich und unnatürlich, so abnormal und wider alle Erwartungen empfunden, dass man davon abgeschreckt werden, sich auf die eigene Normalität besinnen soll. In Märchen und Mythen wurde der Mahnwert dann heruntergedimmt, der Schauwert am Monströsen hochgefahren: die Lust am Schrecken, in Jahrmarkts- und Zirkusshows, im Kuriositätenkabinett, in den Freak-Shows. Anfang des 19. Jahrhunderts erfand die Literatur dann Frankensteins Monster, im Roman von Mary Shelley, und Anfang des 20. Jahrhunderts stürzte das Kino sich auf dieses Monstrum und machte es zu einem der großen Mythen der Moderne. Die Monster sind nun selbstgemacht, mechanisch und genetisch. Nun sind die Monster überall, Monsteralligator, Monstersturm, Monsterstreik. Er hat monster-aggressiv angefangen, sagte am Samstag der deutsche Tennisspieler Philipp Kohlschreiber beim Münchner Sandplatz-Turnier vom Österreicher Gerald Melzer - was den schwachen ersten Satz erklären sollte. Das Monster, das alte Mahnzeichen, ist nützlich als Ausrede. Fritz Göttler

So viele Besucher zählten die Veranstalter der BMW Open in München, die offiziell als die "Internationalen Meisterschaften von Bayern" zum 100. Mal ausgetragen wurden, diesmal aber inoffiziell als die "Bayerischen Meisterschaften für Wasserspiele" firmierten, wie Manfred Dirrheimer, Chef eines Finanzdienstleisters und wichtiger Sponsor, entspannt diagnostizierte. Die Rechnung mit Murray ging ja auf. Der 27-jährige Schotte hatte nach drei Siegen im Einzel das Endspiel erreicht, drei Doppel-Einsätze schenkte er zusätzlich dem Publikum, dazu hat er zigmal volksnah trainiert und sich so unaufgeregt auf der Anlage des MTTC Iphitos bewegt, dass man ihn für ein normales Mitglied dieses traditionsreichen Klubs halten konnte.

ATP-Turnier in München

Im Dauereinsatz: Der Weltranglisten-Dritte Andy Murray gönnt sich mal eine kleine Pause während seiner Schicht in München.

(Foto: Philippe Ruiz/dpa)

Am Samstag, als die wegen Dauerregens am Freitag ausgefallenen Viertelfinals nachgeholt wurden und Murray zwei Matches zu absolvieren hatte, packte er gar ein drittes Mal den Schläger aus und bestritt das Doppel-Halbfinale mit Jean-Julien Rojer (Niederlande), das sie gegen Alexander Peya (Österreich)/Bruno Soares (Brasilien) verloren. Und noch ist er mit seiner Münchner Schicht nicht am Ende. Eigentlich wollte Murray sich nach elf Monaten, in denen er nicht auf Sand gespielt hatte, für Madrid, Rom und Paris einspielen. Im Finale gegen den Augsburger Philipp Kohlschreiber hat er nun die Chance, mehr mitzunehmen als gute Form und Prämien - Murray hat noch nie ein Turnier auf Sand gewonnen. Ob ihm dies gelingt, entscheidet sich jedoch erst am Montag. Ab 11 Uhr (live im BR) wird das Endspiel beim Stand von 3:2 für den Deutschen fortgesetzt; die ersten 500 Zuschauer auf der Anlage erhalten Freikarten. Am Sonntag schafften es Murray und Kohlschreiber nur am späten Nachmittag kurz auf den Center Court, fünf Spiele, dann regnete es weiter. Murrays Verpflichtung war in jedem Fall ein Experiment. München hat erlebt, was passiert, wenn mal ein Branchenriese nicht nur zum Abkassieren vorbeischaut, sondern das Optimale aus seinem Travel&Work-Programm generieren will. Michael Mronz, der im zweiten Jahr dieses ATP-Event der 250er Kategorie verantwortet, betont, dass Spieler wie Murray "ein einmaliger Schuss" seien und das Konzept der jungen Wilden, die man präsentieren wolle, unangetastet bleibe. "Für so ein Momentum wie mit Murray muss man aber vorbereitet sein", sagt Mronz und schwärmt: "In der Art, wie er aufgetreten ist, passt er perfekt zu unserer Philosophie. Dieses Fighten, diese ehrliche Einstellung war für uns wichtig."

Federer und Haas

Die Sieger der BMW Open seit 2003

2003: Federer - Nieminen 6:1, 6:4

2004: Dawidenko - Verkerk 6:4, 7:5

2005: Nalbandian - Pavel 6:4, 6:1

2006: O. Rochus - Vliegen 6:4, 6:2

2007: Kohlschreiber - Juschni 2:6, 6:3, 6:4

2008: Gonzalez - Bolleli 7:6, 6:7, 6:3

2009: Berdych - Juschni 6:4, 4:6, 7:6

2010: Juschni - Cilic 6:3, 4:6, 6:4

2011: Dawidenko - Mayer 6:3, 3:6, 6:1

2012: Kohlschreiber - Cilic 7:6, 6:3

2013. Haas - Kohlschreiber 6:3, 7:6

2014. Klizan - Fognini 2:6, 6:1, 6:2

Auch Mronz weiß, dass es andere Beispiele gab in München. 1989 rauschte Jimmy Connors nach nur einer verlorenen Runde ab, immerhin um 100 000 Dollar reicher. John McEnroe kassierte 1991 noch mehr, für ein schlechtes Match reichte bei ihm die Motivation. Aber auch in der Neuzeit zeigen sich die Topspieler nicht immer von ihrer besten Seite, Jo-Wilfried Tsonga wirkte vor drei Jahren lustlos gegen Tommy Haas, und in dieser Woche enttäuschte Fabio Fognini mit einer krachenden Pleite gegen den jungen Wilden Dominic Thiem (3:6, 0:6). Den Italiener hat es offenbar nicht mal gestört, dass er als Botschafter von Dirrheimers Konzern einige Euro mehr kassiert als andere im Feld. Dieses Unikat bleibt eben wohl ein Unzähmbarer.

Für Mronz ist die Weiterentwicklung seines Turniers eine Selbstverständlichkeit. Zupass kommt ihm, dass Iphitos eine neue Halle baut, die Gedanken, wie vielleicht eines Tages ein Frauen- und Männerturnier aufs Gelände passen könnte, reichen schon weit. Ein zweiter temporärer Center Court wäre dann nötig. Das Turnier durch eine höhere Kategorie aufzuwerten, ergibt dagegen für Mronz "keinen Sinn". Aufwand und Ertrag bei einem 500er rechnen sich nicht mit den aktuellen Münchner Dimensionen. Der Turniersieger wird von diesem Jahr an eine Lederhose erhalten, dieses Präsent soll wie das grüne Sakko beim Masters im Golf Tradition werden. Michael Mronz hat einige Größen für Andy Murray parat, schöne Stücke eines Münchner Traditionshauses - es geht ja darum, vorbereitet zu sein fürs Momentum.

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