FC Bayern in Leverkusen:Meister im Davids-Gewand

Vor der Reise nach Barcelona verliert der FC Bayern mit Reservisten und Neulingen. "Bundesliga ist vorbei", sagt Pep Guardiola - in der Champions League will Lewandowski mit Maske auflaufen.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Von David und Goliath hat am Samstagabend niemand gesprochen, keiner hat den Vergleich angestellt zum Kampf des schwerbewaffneten Riesen gegen den Jüngling mit der Schleuder und den fünf Kieselsteinen. Aber die alte Sagengeschichte aus dem DFB-Pokal (die später auch in der Bibel aufgegriffen wurde) bildete den Hintergrund des Treffens zwischen Bayer Leverkusen und Bayern München - diesmal jedoch mit vertauschten Rollen. Aus aktuellem Anlass war das Programm geändert worden und sah nun vor, dass die großmächtigen Bayern im Gewand des David kamen, während die Leverkusener den Goliath geben sollten. "Es war nicht einfach, das an sich abperlen zu lassen", gestand Bayer-Trainer Roger Schmidt nach dem 2:0-Sieg seiner Mannschaft.

Sowas hat es ja seit Jahrzehnten nicht gegeben. Die Bayern reisten als allseits anerkannter Außenseiter an, und Bayer spürte schon Tage zuvor die Last des Favoriten, wie Rudi Völler berichtete: "Es war schwierig, uns darauf einzustellen, dass wir dieses Spiel gegen Bayern gewinnen müssen." Demzufolge muss es ein Schock für die Bayer-Profis gewesen sein, als sie die Aufstellung des Gegners zu Gesicht bekamen. Pep Guardiola hatte eine Elf gebildet, in der Claudio Pizarro, auf der Bayern-Bank längst in den Vorruhestand eingetreten, und Javier Martinez, seit August verletzungshalber ohne Einsatz, das Angriffs- und das Abwehrzentrum bildeten.

Bayer Leverkusen's Calhanoglu scores a goal on freekick against Bayern Munich during their German first division Bundesliga soccer match in Leverkusen

Nun also auch Manuel Neuer: Der Torwart des FC Bayern (im Hintergrund) wird vom Kunstschützen Hakan Calhanoglu überwunden.

(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Das Münchner Mittelfeld besetzte neben den jungen Leichtgewichten Gianluca Gaudino und Mitchell Weiser ein 22-jähriger namens Rico Strieder, der bisher ein unbescholtenes Leben als Kapitän des Regionalligateams geführt hat. Wegen einer Hüftverletzung kam er in der laufenden Saison aber lediglich auf fünf Einsätze.

Guardiola hatte nicht verschwiegen, dass er den Zwischenhalt im Rheinland auf dem Weg zum Champions-League-Spiel in Barcelona als Belästigung betrachtete. "Bundesliga ist vorbei", hatte er apodiktisch ausgerufen, und so war diese Partie nicht das im TV-Heft annoncierte Top-Spiel, sondern ein Freiluftexperiment, das keinen Schaden am Münchner Ansehen hinterlassen durfte, vor allem aber dazu diente, den dauerbeanspruchten Bayern-Stars eine Pause zu geben.

Dass sich die Leverkusener nach dem Pflichtsieg bei ihrem Torhüter bedankten, dürfen Strieder und seine Mitstreiter als Kompliment ansehen. "Obwohl Hakan und ich die Tore geschossen haben - der wahre Held war Bernd. Was der gehalten hat, das war Wahnsinn", würdigte Julian Brandt die Leistung von Torhüter Bernd Leno. "Es war kein Sieg gegen eine schwache Mannschaft", betonte Roger Schmidt.

Insofern hatte Matthias Sammer keine Not, als er in Leverkusen eine Volksrede hielt, um den nicht unumstrittenen Münchner Standpunkt zu vertreten: "Wenn wir mit dieser Mannschaft gegen Bayer Leverkusen dreimal allein vor dem Torwart stehen, dann ist das für mich eine überragende Leistung", schwärmte er und hatte in der Sache nicht mal übertrieben. Weshalb es auch niemand wagte, ihn mit dem hässlichen Begriff der Wettbewerbsverzerrung zu konfrontieren, obwohl es zumindest einen potentiellen Geschädigten gab: Die drei, nicht zwingend planmäßigen Punkte für Bayer 04 setzen Borussia Mönchengladbach im Duell um den dritten Champions-League-Platz unter Druck.

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Debüt in Leverkusen: Rico Strieder, Kapitän des Regionalligateams des FC Bayern.

(Foto: imago/Revierfoto)

"Man kann über alles reden, aber nicht zu diesem Zeitpunkt", beschied Sammer, "irgendwelche Kritik" erklärte er für deplatziert. Wenn auch dieses nothalber aus Ersatzteilen gebastelte FC-Bayern-Team nicht viel gemein hatte mit den Bayern-Teams, die für den vorzeitigen Gewinn des 25. Meistertitels gesorgt hatten, so hat es sich doch wenigstens anständig gewehrt. Erst Hakan Calhanoglu bereitete mit einem wieder höchst verwegenen Freistoß den Weg zum Sieg (55. Minute), der eingewechselte Brandt beseitigte mit dem 2:0 (81.) die letzten Zweifel.

Erkenntnisse für Barcelona haben sich für Guardiola nicht ergeben, abgesehen vom Ernstfalltest, den Martinez trotz der unvermeidlichen Defizite einigermaßen solide bestanden hat. Der Spanier bietet sich zumindest wieder als stille Reserve an, sein unruhiger Nebenmann in Leverkusen, Dante, rutscht einen Platz nach hinten. Die Stammkräfte Schweinsteiger, Lahm, Thiago und Rafinha machten pflichtgemäß, aber unauffällig ihre Arbeit, ihr größtes Verdienst bestand darin, dass sie sich nicht wehtaten. Die Stammkraft Götze hingegen führt weiterhin ein angestrengtes, suchendes Dasein, nicht nur bei seinen vergebenen Großchancen ließ er die Brillanz und Leichtigkeit vermissen, die ihm der liebe Gott geschenkt hat.

FC Bayern in Leverkusen: Ordentliches erstes Auflaufen: Lukas Görtler, bislang in der zweiten Mannschaft des FC Bayern aktiv.

Ordentliches erstes Auflaufen: Lukas Görtler, bislang in der zweiten Mannschaft des FC Bayern aktiv.

(Foto: Frank Augstein/AP)

In Barcelona wird Götze dennoch dringend gebraucht, falls sich nicht doch Tor- jäger Robert Lewandowski zum Dienst melden sollte. Es klang recht geheimnisvoll, was Sammer zum möglichen Einsatz des eigentlich ausreichend versehrten Mittelstürmers (Gehirnerschütterung, Kieferbruch) mitzuteilen hatte: "Das entscheidet der Arzt, dann der Spieler, dann die Maske - genau in dieser Reihenfolge", sagte der Münchner Sportchef - und verkündete feierlich, dass "kein Fußballspiel der Welt so wichtig sein" könne, die Gesundheit eines Fußballers zu riskieren.

Am Sonntag schickte Lewandowski ein Foto herum, das ihn ohne Arzt, aber mit dem angepassten Gesichtsschutz zeigt: "Bereit für die nächste Herausforderung", textete er dazu. In Barcelona will Bayern nicht mehr Außenseiter sein: "Wir haben gesunden Respekt", sagte Sammer, "aber auch wir haben eine Supertruppe."

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