Eishockey-WM:Langsame Hände, langsame Gedanken

Nach dem 2:1-Auftakterfolg über Frankreich wird die deutsche Eishockey-Auswahl von Kanada vorgeführt. Nach dem 0:10 müssen sich die Akteure von Bundestrainer Cortina mental wieder aufrichten.

Von Johannes Schnitzler, Prag

Die Reporterplätze in der Prager Arena liegen so hoch, dass es unmöglich zu erkennen war, ob Dennis Endras, der Torwart der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft, beim Aufwärmen mal hinübergeblinzelt und "Grüß Gott" gesagt hat zu Sidney Crosby, so, wie er es angekündigt hatte. Lange warten musste Endras allerdings nicht. Dann hatte sich der allseits bestaunte Superstürmer von den Pittsburgh Penguins bei ihm vorgestellt. Mit dem 1:0 für Kanada.

"Früher", sagte der Kanadier Matt Duchene (Colorado Avalanche), "früher gab es Spiele, da konntest du sehen, wie Kanada Mannschaften förmlich aus dem Turnier geblasen hat." Solche einfachen Spiele gebe es heute nicht mehr. Auch die Deutschen, am Sonntag zweiter WM-Gegner für Team Canada nach dessen 6:1 gegen Lettland, seien ein harter Gegner, sagte Duchene: "Wir schauen einfach, dass wir ein Tor mehr schießen als der Gegner." Sie schossen dann sogar ein paar Tore mehr als der Gegner, allein im ersten Drittel vier. Am Ende waren es zehn.

Sidney Crosby CAN left and goalkeeper Dennis Endras GER in action during the Ice hockey Eishoc

Gestatten, Sid Crosby: Kanadas prominentester Stürmer (rechts) stellt sich beim deutschen Torwart Dennis Endras gleich mit einem Treffer vor.

(Foto: CTK Photo/Imago)

Nur 24 Stunden nach dem 2:1-Auftaktsieg gegen Frankreich verlor das Team von Bundestrainer Pat Cortina gegen den 24-maligen Weltmeister und haushohen Favoriten Kanada 0:10 (0:4, 0:5, 0:1), es war die höchste deutsche WM-Niederlage gegen Kanada seit 48 Jahren. Acht Minuten musste die ausschließlich mit NHL-Profis besetzte Mannschaft um den zweimaligen Olympiasieger Crosby tatsächlich arbeiten, dann brachte der Kapitän die Ahornblätter in Führung (9.). 23 Sekunden später erhöhte Taylor Hall auf 2:0. "Danach war unser Selbstvertrauen weg", sagte Cortina. Cody Eakin steuerte noch vor der ersten Pause zwei weitere Treffer bei. Die Kanadier hatten die schnelleren Beine, sie hatten die schnelleren Hände, sie hatten die schnelleren Gedanken. 2:10 Minuten nach Wiederbeginn erhöhten sie auf 5:0. Endras blieb vorerst auf dem Eis. Dass er nach seiner grandiosen Leistung gegen Frankreich mit 24 gehaltenen Schüssen (von 25) und einer Quote von 96,0 Prozent abermals im deutschen Tor stand, hatte viele Experten überrascht, die mit Timo Pielmeier gerechnet hatten. Pielmeier hat fünf Jahre in nordamerikanischen Ligen gespielt. Gegenfrage Cortina: "Was wäre das für ein Zeichen, wenn ich Dennis nach dem Frankreich-Spiel herausnehmen würde?"

Die Szene erinnerte nun stark an eine andere WM. Vor drei Jahren bei der WM in Stockholm erlebten die Deutschen gegen Norwegen ein Debakel, 4:12. Irgendwann hatte Endras genug. Er fuhr zur Bank, zerschmetterte seinen Schläger, und machte Schluss für diesen Arbeitstag: "Ich war sauer, enttäuscht und traurig", sagte er damals, der Bundestrainer hieß noch Jakob Kölliker. Vor drei Wochen erst, im DEL-Finale zwischen Mannheim und Ingolstadt, hatte Endras seinen Frust über eine Mannheimer 1:6-Niederlage mit einem Tritt gegen die Bande abreagiert.

France v Germany - 2015 IIHF Ice Hockey World Championship

24 von 25 Schüssen gehalten: Der deutsche Torwart Dennis Endras (Nr. 44) ließ sich beim WM-Auftakt von den Franzosen nur einmal überwinden.

(Foto: Getty Images)

"Wenn ich gut drauf bin, habe ich noch nie etwas kaputt gemacht", hatte Endras später über diese Momente gescherzt, als Mannheim schließlich doch noch das Finale gewonnen hatte. Aber am Sonntag war Endras ganz und gar nicht gut drauf. Er war, das war auch von der Medientribüne aus zu erkennen, sauer, enttäuscht und traurig. Man musste sich Sorgen um das Mobiliar in der Prager Arena machen.

Dann schoss Aaron Ekblad das 6:0 (25.) - und Endras ging. Cortina hatte schließlich doch Mitleid mit seinem Tor- hüter, ein Zeichen konnte und wollte er zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr setzen. Es kam: Danny aus den Birken. Pielmeier stand abermals nicht im Kader. Drei Minuten später stand es 7:0, bis zum Ende des zweiten Drittels schraubten die Kanadier das Resultat auf 9:0. Taylor Hall hatte mittlerweile einen Hattrick erzielt.

Die Spaßvögel aus der Stadionregie blendeten nun eines ihrer "Wussten-Sie- schon?"-Inserts auf dem Video-Würfel ein: Beim letzten Duell zwischen Deutschland und Kanada bei einer Weltmeisterschaft, 2008 war das, lautete das Ergebnis 10:1. Für Kanada, überflüssig zu erwähnen. Der Bundestrainer damals war Uwe Krupp, dessen Name in diesen Tagen von Prag nun bereits wieder allgegenwärtig ist. Er gilt als Nachfolger von Pat Cortina, dessen Vertrag ausläuft und wohl nicht verlängert wird. Cortina stand zwar aufrecht auf seiner Bank, innerlich dürfte er sich aber in Schmerzen gewunden haben. Spätestens als Matt Duchene mit einem Penalty das 10:0 erzielte (43.). Den Endstand.

Torwart Dennis Endras Nr 44 Adler Mannheim ERC Ingolstadt Adler Mannheim Eishockey DEL Deuts

Zwischen Lob und Frust: Torwart Dennis Endras bescherte dem Team des Deutschen Eishockey-Bundes einen gelungenen WM-Start, war dann aber machtlos gegen Kanada.

(Foto: Eibner/imago)

Die deutschen Fans applaudierten trotzdem. Auch sie hatten Mitleid.

Die Kanadier haben die Deutschen zwar nicht aus dem Turnier geblasen, "wir können ja jetzt nicht einfach nach Hause fahren", sagte Kapitän Michael Wolf. Noch hat das DEB-Team fünf Partien zu absolvieren. Aber die Kanadier haben sie vorgeführt, vor 15 046 Zuschauern in der Halle und den Augen der in Prag versammelten Eishockeywelt. Am Montag hat das deutsche Team erst einmal spielfrei. Zeit, sich körperlich und moralisch wieder aufzurichten. "Es ist okay, ein Spiel zu verlieren, aber nicht seine Identität", sagte Cortina. Nächster Gegner ist am Dienstag (16.15 Uhr) die Schweiz. Auch kein einfaches Spiel. Auch kein einfacher Gegner.

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