Kapitän Schaumschläger:Seemannsgarn

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Foto: Spohler/Laif, Illustration: Özer/SZ (Foto: N/A)

Jahrelang erzählte Andreas Holst Geschichten, die ihn wichtig wirken ließen. Seine Abnehmer waren Presse, Rundfunk - und Geheimdienst. Inzwischen interessiert sich die Justiz für den Hochstapler.

Von Hans Leyendecker und Sabine Puls

In RTL, Bild, BR, WDR, ZDF, Süddeutsche TV und noch vielen anderen Medien - Andreas Holst hat in den vergangenen Jahrzehnten eine breite Spur angeblicher Enthüllungen hinterlassen. Schon bei der vor zwanzig Jahren eingestellten Illustrierten Tango war er mittenmang.

Die Lüge, dass in Angola angeblich Giftwaffen sowjetischer Bauart gegen prowestliche Unita-Rebellen eingesetzt wurden, hat er befördert und den rätselhaften Schattenmann Robert Roloff, den Uwe Barschel vor seinem Tod ins Spiel brachte, will er getroffen haben. Holst versteht es, große Schwindeleien mit ein bisschen Wahrheit anzureichern und er dient sich manchmal auch Geheimdiensten an. Der Bundesnachrichtendienst (BND) leitete Informationen von Holst an das Kanzleramt weiter.

Der heute 53-Jährige war bei der Verhaftung von Erich Honecker ganz nah dran, bei einer TV-Dokumentation über Giftgas in der Ostsee mischte er mit, er versuchte sich häufiger in schillernden Geschäften, die meist schiefgingen und hinterließ in aller Regel Fassungslosigkeit.

Gemeinsam mit dem renommierten Journalisten Ludwig Greven von der Zeit wollte er 2014 angeblich was ganz Großes über die vergessenen Geiseln in Somalia machen und die Opfer der Piraterie mit viel Geld rausholen. Aus dem gemeinsamen Projekt wurde nichts, weil Holst wieder einmal geflunkert hatte.

Er tritt nicht nur als Journalist auf, sondern nennt sich auch Kapitän und trägt Uniform

"Ich habe das noch nie erlebt, dass mich ein Mensch wirklich in dieser Weise geprellt hat und sich dann als Hochstapler rausgestellt hat", sagt Greven. Seine Möglichkeiten, so der Journalist, seien "in diesem Fall begrenzt gewesen. Ich habe versucht, was ich konnte. Aber dass er mit einem solch ausgefeilten Lügengebäude mich wie auch andere an der Nase herumgeführt hat, das habe ich einfach nicht glauben wollen und glauben können."

Holst ist ein Gaukler, ein Artist der Desinformation. Der NDR und die SZ haben sich mit den Gaunereien und Tricks dieses Journalisten-Darstellers beschäftigt und festgestellt, dass hochseriöse Leute auf diese Mischung aus Größenwahn und Dreistigkeit hereingefallen sind.

Holst kennt eine andere Wirklichkeit als andere. Er ist einer jener Typen, die um Litfaßsäulen herumtasten und behaupten, sie seien eingemauert. Auf ausführliche Anfragen des Senders und der Zeitung hat er nicht geantwortet. Auch interessieren sich für ihn staatliche Verfolger. Er wird wegen Betrügereien per Haftbefehl gesucht. Holst scheint untergetaucht zu sein. Mancher vermutet ihn in Irland.

Die Kieler Staatsanwaltschaft hat ihn vor Jahren wegen Verdachts des Betrugs und der Urkundenfälschung angeklagt. Es geht um ein paar Hunderttausend Euro. Einer Hauptverhandlung hat er sich entzogen. Im vorigen Jahr leiteten die Strafverfolger unter dem Aktenzeichen 597 Js 15778/14 gegen ihn ein neues Verfahren wegen "Verdacht des Betruges u. a." ein. Hochstapelei gibt es in vielen Berufen. Im Journalismus kommt auch noch die Wichtigtuerei dazu, die blind machen kann. Und gar nicht so selten lässt die Aussicht auf die exklusive Nachricht, den großen Scoop, ernste Bedenken schwinden.

Nicht zufälligerweise gehört der "Reiseschriftsteller" Karl May, der mal als "Augenarzt Dr. Heilig" oder als angeblicher Sohn des Plantagenbesitzers Albin Wadenbach aus Martinique auftrat, zu den bedeutendsten Hochstaplern der deutschen Literaturgeschichte. Erst im Alter hat May die Schauplätze seiner Bücher besucht.

Der Lebenslauf von Leuten, die andere Leute hereinlegen, lässt sich oft nicht ganz einfach darstellen. Der Journalist Holst, das immerhin steht einigermaßen sicher fest, wurde 1961 in Kiel geboren. Er hat nach Angaben seiner Mutter einen Hauptschulabschluss. Sie sagt, er sei "als Kind sehr artig gewesen". Andere Verwandte von Holst ermuntern, "feste auf ihn draufzuhauen", wenn man über ihn berichte.

Er tritt nicht nur als Journalist auf, sondern nennt sich auch Kapitän, doch die Angaben zu dem maritimen Werdegang verlaufen ebenso wie seine journalistische Laufbahn im Irgendwo. Er läuft in Kapitänsuniform (natürlich mit Kapitänsmütze) herum, was echte Kapitäne eigentlich nicht machen. Seine Mutter meint, er habe "zwei abgebrochene Ausbildungen - zum Modelltischler und zum Seemann".

Vor knapp drei Jahrzehnten, genau im Jahr 1987, tauchte er erstmals im weiten Reich der Medien auf. Interessanterweise wird es aber plötzlich unheimlich schwierig, wenn man heute versucht, sein Wirken dort zu rekonstruieren. In Personalabteilungen von Sendern, für die er gearbeitet hat, finden sich angeblich seine Papiere nicht mehr, frühere Redaktionsleiter erinnern sich nicht mehr an den einstigen Mitarbeiter oder es werden Filme nicht herausgegeben, an denen Holst mit Sicherheit Anteil hatte.

Im Fall Uwe Barschel schaffte er es mit seiner Erzählung sogar in den Untersuchungsausschuss

Es ist manchen Beteiligten offenbar unangenehm, an ihn - und damit ein bisschen auch an die eigenen Fehler - erinnert zu werden. Schlagzeilen hat er gemacht.

Beispiel Barschel: Der frühere Kieler Ministerpräsident hatte in der Affäre, die mit seinem Namen verbunden ist, angeblich von einem Mann namens Robert Roloff Entlastungsmaterial angeboten bekommen. Die Hinweise auf Roloffs Existenz beruhten ausschließlich auf Erzählungen Barschels, der 1987 in Genf starb. Vermutlich war Roloff eine Erfindung Barschels.

Aber Holst behauptete, diesen Roloff getroffen zu haben. RTL erzählte er das exklusiv, er lieferte die Vorlage für ein Phantombild von Roloff, das in einer Boulevardzeitung veröffentlicht wurde und er kam so auch mit dem BND in Kontakt. Der Auslandsnachrichtendienst bat in den Neunzigerjahren die Lübecker Staatsanwaltschaft, den Umstand "als besonders vertraulich zu behandeln", dass dieser Holst Informationen zum Fall Barschel dem BND mitgeteilt habe. Holst war zuvor vor dem zweiten Barschel-Untersuchungsausschuss als Zeuge erschienen. Als Beruf gab er "Journalist" an.

Frage an den BND: Wie war das damals mit Holst, was war er für eine Quelle, war er häufiger Informant?

"Der BND gibt zu Fragestellungen, die sich auf etwaige Informantentätigkeiten beziehen, grundsätzlich keine Stellungnahmen ab", erklärt der Dienst auf Anfrage. Damit sei "keine Aussage verbunden, ob Herr Holst für den BND tätig war oder nicht".

Journalisten tun sich manchmal mit dem Hinweis auf irgendwelche Geheimdienst-Quellen wichtig. Und die Dienste versuchen, alles dem Blick und dem Zugriff der Öffentlichkeit mit Verweis aufs Geheimnis zu entziehen. Das gefällt jemandem wie Holst.

Beispiel Somalia: 2013 sammelte Holst in Kapitänsuniform Geld, um angeblich elf Seeleute freizukaufen, die seit mehr als drei Jahren von Piraten in Somalia festgehalten wurden. Ein Vertrag wurde geschlossen, um die Geiseln gegen Zahlung von 900 000 Dollar freizubekommen.

Holst hat auch Journalisten für sein Projekt gewonnen. Der Vertreter einer deutschen Stiftung erzählt, Holst sei im November 2014 mit einem Journalisten eines "seriösen Blattes" bei ihm erschienen und habe Geld sammeln wollen. Es sei schon "vertrauensbildend", wenn ein solcher Journalist dabei sei. Aus der Sache aber wurde nichts.

Der Vertrag platzte. Die Piraten tobten vor Wut und sie folterten die Geiseln. "Jeden Tag haben sie einen von uns verschleppt und gefesselt", sagt eine ehemalige Geisel, die Monate später - wie die anderen zehn- von einer ordentlichen Organisation befreit wurde. Die Geisel verflucht Holst. "Wir wurden kopfüber an Bäume gehängt und bekamen nichts zu essen." - "Damals habe ich gedacht. Wenn ich ihn auf der Straße treffen würde, hätte ich das Gleiche auch mit ihm gemacht."

Der Hochstapler , Panorama Die Reporter. NDR, 21.15 Uhr.

© SZ vom 05.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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