Songwriterin:Aus dem Hut gezaubert

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Musik machen ist ihre natürliche Reaktion darauf, am Leben zu sein, sagt Sophie Hunger. (Foto: Marikel Lahana)

Die Schweizer Musikerin Sophie Hunger startet ihre Europa-Tournee in der ausverkauften Freiheizhalle - ein Gespräch über Entscheidungsfindung, Sprache und den Abschied von der Heimat

Interview von Martin Pfnür

Dafür dass Sophie Hunger zu Beginn ihrer Karriere einmal meinte, dass sie das mit den Interviews "nicht so mag", versprüht sie großartige Laune am Telefon, reißt Witze, ist höflich, offen, charmant. Sie hat ja auch allen Grund, gut gelaunt zu sein, ihre Tour ist vielerorts bereits ausverkauft, und mit "Supermoon" ist der 32-jährigen abermals ein Album gelungen, das stilistisch, sprachlich und atmosphärisch durch seine Vielschichtigkeit überzeugt. Denn ob nun im Pop oder Rock, im Blues, Jazz, Folk oder Chanson, im Englischen, Deutschen, Französischen oder Schwyzerdütsch: Die kosmopolitische Diplomatentochter aus der Schweiz ist irgendwie überall zu Hause.

SZ: Sophie Hunger, man hört, Sie hätten sich eine längere Auszeit in Kalifornien gegönnt. Waren Sie "überspielt"?

Sophie Hunger: Schon, ich habe ja sechs Jahre lang fast die ganze Zeit gespielt, und am Ende wurde es mir wirklich etwas fad. Ich hatte mir fest vorgenommen, mindestens ein Jahr auf keine Bühne mehr zu steigen.

Stücke haben Sie in Kalifornien aber schon wieder geschrieben.

Ja, ich konnte das einfach für mich machen, ganz alleine, ohne jede Konsequenz. Ich habe dort sehr schnell festgestellt, dass Musik machen einfach meine natürliche Reaktion darauf ist, am Leben zu sein; etwas, das ich gar nicht wirklich von vornherein ausschließen kann. Nach einer Woche in San Francisco habe ich mir eine Gitarre gekauft und wieder gearbeitet, ohne es richtig zu merken.

Wo entstanden die Stücke denn?

Ich habe das ganze Jahr über in verschiedenen Airbnb-Wohnungen von Musikern gewohnt, in denen Instrumente standen. Mal eine Gretsch, mal eine Akustische, mal ein Flügel. Die Stücke sind also alle weit mehr von der jeweiligen Wohnung beeinflusst, in der sie entstanden, als von der jeweiligen Stadt. (lacht)

Interessantes Prinzip .

Nicht wahr? Ein Glück, dass nirgendwo ein Hackbrett herumstand!

Andere Entscheidungen fällen Sie per iPod-Zufallsgenerator. Hat der Sie auch nach Kalifornien geschickt?

Teilweise. Es gab schon Stücke, die mir die Entscheidung erleichtert haben - "California" von Kashmir etwa. Letztlich wollte ich aber an einen Ort gehen, an dem die Kultur noch sehr jung ist, wo die Natur dominiert und man das Gefühl hat, ein großer Wind könnte das bisschen Zivilisation locker wegblasen. Bei der Entscheidungsfindung habe ich übrigens eine andere Lieblingsmethode . . .

Aha?

Man schreibt verschiedene Optionen auf kleine Zettel und steckt sie in einen Hut, den man gut durchschüttelt, bevor man das Los zieht. So bin ich etwa in Berlin gelandet.

Wie finden Sie es denn dort?

Sehr schön. Für Musiker ist Berlin vor allem deshalb toll, weil es für alles Leute gibt. Wenn ich jemanden suche, der Free Jazz mit dem Kontrabass im Kopfstand spielt, dann finde ich den.

Haben Sie den Ex-Fußballer Eric Cantona als Duett-Partner für den "Chanson d'Hélène" auch aus dem Hut gezogen?

Nein, das nicht. Eric hat zuletzt zwei meiner Lieder für seinen Film über französische Nationalspieler mit Migrationshintergrund verwendet - wir kannten uns. Ich brauchte für das Stück einen Mann, der stark und zärtlich, aber nicht machomäßig klingt, wenn er diese Sätze sagt. Schwierige Kombination. Aber Eric war genau der Richtige.

Da Sie in vier verschiedenen Sprachen singen: Gibt es denn Ihrer Meinung nach Gefühle, die sich in bestimmten Sprachen besser ausdrücken lassen?

Bei mir passiert das alles sehr intuitiv. Plötzlich ist da ein Satz in einer bestimmten Sprache, und dann baue ich den Text um diesen Satz herum. So was funktioniert bei mir alles weit weniger durchdacht, als man meinen könnte.

Denken Sie auch in verschiedenen Sprachen?

Meiner Theorie nach denkt man nicht in Sprachen. Wenn man einen Satz im Geiste konkret in Sprache formuliert, ist das schon nicht mehr Denken, eher schon Sprechen oder ein Resultat des Denkens.

Aber rein syntaktisch bieten sich manche Sätze in bestimmten Sprachen wohl mehr an als in anderen?

Klar, ein Satz wie "I chume hei cho stärbe" fließt natürlich viel schöner und wirkt in seiner Simplizität auch deutlich besser als auf Hochdeutsch. Da wäre er viel zu umständlich.

Der Satz entstammt dem Song "Heicho", in dem das lyrische Ich seiner Mutter mitteilt, erst zum Sterben wieder nach Hause zu kommen. Wie kamen Sie auf diesen Gedanken?

Das Stück habe ich einen Tag nachdem mir meine langjährige Wohnung inklusive Studio in Zürich gekündigt wurde, geschrieben. Ich wusste, ich muss jetzt auch raus aus der Schweiz und werde erst hierher zurückziehen, wenn ich sterbe. Wenn man so will, ist es ein Lied für mein Land.

Es ist Ihnen also ernst mit diesem Vorhaben?

Ja, das meine ich ganz im Ernst. Ich habe das in dem Lied gesagt und kann es nicht mehr ändern. Das ist jetzt besiegelte Sache.

Sophie Hunger (ausverkauft), Mittwoch, 6. Mai, 20 Uhr, Freiheizhalle, Rainer-Werner-Fassbinder-Platz 1

© SZ vom 06.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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