FC Bayern in Barcelona:Psycho-Duell im Camp Nou

Spielt Robert Lewandowski? Und was plant Pep Guardiola, um Lionel Messi zu stoppen? Viele Fragen bestimmen die Stunden vor dem großen Halbfinal-Hinspiel in der Champions League. Die Devise lautet: Verwirrung stiften.

Von Klaus Hoeltzenbein, Barcelona

Der Schweiger spricht. Dieses Wiedererlangen der Worte ist ein solches Ereignis in der Stadt, dass alle gezählt haben: 657 Tage hatte er geschwiegen. 657 Tage hatte Lionel Messi keine offizielle Pressekonferenz mehr gegeben, jedenfalls nicht im Dienste des FC Barcelona. Er hatte bei der WM 2014 ein paar Worte als Kapitän Argentiniens gesagt, hatte pflichtgemäß den Ausgang diverser Weltfußballer-Wahlen kommentiert, doch Fragen zum Verein, auf einem Podium, vor den Augen der Welt, hatte er sich seit dem 17. Juni 2013 nicht mehr stellen lassen.

Trotzdem drehen sich die meisten Fragen jetzt, im Trainingszentrum des Klubs, nicht nur um ihn, den Mann im gelben Hemd, sondern auch um den, mit dem er groß wurde: Um Pep Guardiola, mit dem Messi 2011 letztmals die Champions League gewann, und der an diesem Mittwoch mit dem FC Bayern erstmals ins Camp Nou zurückkehrt. Der dann auf der anderen Seite steht. Messi sagt: "Er kennt uns. Wir kennen ihn ganz gut. Es hält sich die Waage."

Wer Konkreteres erwartet, ist hier am falschen Ort. Es geht auch weniger um die Macht der Worte in dieser Inszenierung.

Gut, der Schweiger spricht wieder, und als er das letztmals in einem solchen Rahmen tat, vor zwei Jahren, ging es um unangenehme Themen. Um fiskalische Schwierigkeiten. Und um Barças Trainerprobleme in der Nachfolge von Guardiola. Im Vorjahr, als es Messi schlecht ging, als er Magenprobleme hatte, die auf dem Platz zu Brechreiz führten, versagte er sich die öffentliche Diagnose. Jetzt aber, da er einen Ernährungsberater hat, da Magen und Restkörper wieder in Form sind, ist diese Pressekonferenz auch eine Art Vorspiel im großen Duell mit Guardiola. Es geht um die Macht der Bilder. Es geht darum, wem am Mittwoch, dem Spieltag, die Titelseiten, die Schlagzeilen der Zeitungen gehören. Hätte Messi nicht gesprochen, wäre die Sache klar gewesen, so aber signalisiert er: Hey Pep, das ist meine Stadt! Mein Stadion! Mein Spiel!

Schließlich ist es Messis hundertste Partie in einem europäischen Wettbewerb. 96 Champions-League-Spiele hat Messi bestritten, drei Mal stand er im Supercup- Finale. Spiel 100 wird in Barcelona im Vorhinein analysiert wie ein gigantisches Schachspiel auf dem grünen Rasen. Neben dem Psycho-Duell mit Messi und Guardiola gibt es noch ein zweites Duell, das der Freunde. Der direkte Vergleich von Guardiola und Luis Enrique: zwei Strategen, die einst lange in der selben Mannschaft spielten, die im selben Lehrgang den Trainerschein absolvierten. Im Kern präferieren Guardiola und Luis Enrique ähnliche offensive, optimistische Systeme. Das würde auf ein Patt hinauslaufen.

Doch natürlich sind die Zeitungen, sind El Mundo Deportivo, El País, Sport, voll mit Berichten davon, dass die Bayern waidwund nach Katalonien reisen, dass eine rätselhafte Epidemie aus Brüchen, Rissen, Zerrungen und sonstigen Verletzungen die Klubzentrale an der Säbener Straße in Unruhe versetzte. Es ist zwar noch nicht das letzte Aufgebot, das im Camp Nou vorstellig wird, wer hat schon sechs aktuelle Weltmeister im Tross (Neuer, Boateng, Schweinsteiger, Lahm, Müller, Götze), und doch haben die Analytiker des Duells im Pep-System drei Schwachstellen ausgemacht. Weshalb sie meinen, dass der verlorene Sohn dieser Stadt bis zum Anpfiff schweren Grübeleien nachhängen wird.

Im Kern, so meinen die Katalanen, müsse Pep jetzt drei Fragen beantworten: Wer stoppt Messi? Wer ist nach dem muskulären Knockout von Arjen Robben in der Lage, der Bayern-Defensive durch Eins-zu-Eins-Situationen Entlastung zu verschaffen? Thomas Müller, der Unberechenbare? Robert Lewandowski, dessen Einsatz trotz Kieferbruchs mit Schutzmaske ins Kalkül gezogen wird? Und, Taktik-Frage drei, wie groß kann der Einfluss des zweiten verlorenen Sohns dieser Stadt, von Thiago Alcántara, auf die Dramaturgie sein?

Es spukt noch in katalanischen Köpfen

Denn klar ist: Barça würde die Geschichte am liebsten schon im Hinspiel klarstellen, in München am Dienstag drauf kann es ungemütlich werden. Zuletzt gab es dort im Achtelfinale ein 7:0 gegen Schachtjor Donezk, es folgte im Viertelfinale ein 6:1 gegen den FC Porto. Und dieses 0:7 (in München 0:4, in Barcelona 0:3) im Halbfinale 2013, dem Münchens Champions-League-Triumph folgte, ist unvergessen. Es spukt noch in katalanischen Köpfen.

Was also plant Guardiola? Zunächst einmal weicht er aus, als er am Dienstagabend, wenige Stunden nach der Messi-PK, vor die Mikrofone tritt. Überfüllt ist der stickige Saal im Bauch des Estadio Nou Camp, ständige Barça-Beobachter meinen, nie zuvor sei dieser Ort derart überfüllt gewesen. "Ich weiß nicht, was meine Reaktion sein wird", reagiert Guardiola auf die Frage, wie er sich verhalten werde, falls seiner neuen Elf ein wichtiges Auswärtstor gegen das alte Team gelingt: "Mein Respekt hängt doch nicht davon ab, ob ich juble oder nicht." Und dann fährt er fort: "Barca war alles für mich. Aber ich will hier gewinnen." Und damit ist er mittendrin im einem Labyrinth der scheinbaren Widersprüche.

Denn wie will man gewinnen, wenn man schon im nächsten Satz feststellt, dass das eigentlich unmöglich ist? Jedenfalls lässt die Guardiola-Hymne auf seinen Ex-Eleven zunächst keinen Ausweg erkennen, so absolut klingt sie: "Das Talent Messis ist so immens, das ist nicht zu kontrollieren. Wenn er so spielt, wie er es kann, ist er nicht zu stoppen." Natürlich war Guardiola, der jetzt Bayern-Rot und Bayern-Emblem trägt, in diesem Moment in seiner alten Heimat mit dem verbalen Nebelwerfer unterwegs. Natürlich hat er für Messi eine Idee: "Man kann nur versuchen, ihn nicht an den Ball kommen zu lassen."

Klingt banal, dies zu realisieren wird jedoch kompliziert und komplex. Die Hobby-Taktiker in den Bars von Barcelona rechnen damit, dass Messi von einem Dreizack gestört wird, sobald er von rechtsaußen nach innen zieht, erst sticht Bernat, dann Lahm, am Ende vermutlich Boateng. Alleine ist Messi nicht aufzuhalten, aber eine Gruppen-Lösung gegen den Solisten hat ja auch schon im WM-Finale der Deutschen gegen die Argentinier in Rio gegriffen. Nur sagt Messi heute: "Ich genieße hier alle Freiheiten." Er tut es in jenem furchterregenden Torjäger-Trio, das Messi mit dem Uruguayer Suárez und dem Brasilianer Neymar bildet. Dort dürfe "eigentlich jeder spielen, wo er will", sagt Messi: "Es muss nur jede Position besetzt sein."

Verwirrung stiften, lautet die Devise, in einer Welt, in der jeder vom anderen fast alles zu wissen glaubt. Auf dem Platz, nicht nebendran. Verabredet hätten sie sich nie, seit sich Guardiola 2012 in ein Sabbatical verabschiedet hatte, erzählt Messi. Allenfalls zufällig seien die Begegnungen gewesen, "bei der Fifa-Wahl, sonst irgendwo. Und dann sagt man sich mal Hallo!"

Ob es ihn stören würde, wenn sein Lehrmeister vom Publikum vor Anpfiff mit Applaus empfangen werde, wurde Messi noch gefragt. Wenn es eine Hommage an Guardiola geben würde. "Er gehört hierher", sagte Messi, "nach allem, was er für den Klub bedeutet, wegen seiner Titel." Für seine Verhältnisse redete der 27-Jährige wie ein Wasserfall. Der Schweiger von einst, der als schüchterner Knabe aus Argentinien nach Barcelona kam, um dort zu wachsen, sprach fast wie ein Volkstribun. Mit jener Botschaft, die nach dem Austausch aller Komplimente stets vor den großen Herausforderungen folgt. Wenn eine Plattitüde wieder alles auf den Kern des Abends reduziert. Messi sagte: "Wenn angepfiffen wird, spielt das alles keine Rolle mehr."

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