BND-Affäre:Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen

Bundesnachrichtendienst

Spionagethriller-Atmosphäre vor dem BND-Komplex in Berlin

(Foto: Paul Zinken/dpa)
  • In der NSA-Affäre gerät die Regierung zunehmend unter Druck. Heute muss sich der Innenminister und frühere Kanzleramtschef Thomas de Maizière vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium äußern. Auch in der Aktuellen Stunde im Bundestag ist die Affäre Thema. Morgen tagt der NSA-Untersuchungsausschuss.
  • Die Affäre belastet inzwischen auch das Klima in der großen Koalition. Einen Kommentar dazu finden sie hier.
  • Die Vorgeschichte der Affäre reicht zurück bis ins Jahr 2002.

Von Markus C. Schulte von Drach

In den kommenden Tagen könnte neue Bewegung in den NSA- und BND-Skandal kommen: Am Mittwoch will Innenminister Thomas de Maizière (CDU) im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages Rede und Antwort stehen. Erwartet wird vor dem Gremium, das die Arbeit der Geheimdienste überwachen soll, auch BND-Präsident Gerhard Schindler. Und auch Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) könnte dort erscheinen.

Ebenfalls am Mittwoch beschäftigt sich der Rechtsausschuss des Bundestages mit der Frage, welche Rolle der BND bei der Überwachung europäischer Behörden, Politiker und Unternehmen durch den US-Geheimdienst NSA gespielt hat. Generalbundesanwalt Harald Range soll die Abgeordneten über den Prüfvorgang informieren, den die Bundesanwaltschaft wegen der Vorwürfe gegen den BND eingeleitet hat.

Am Donnerstag tagt dann der NSA-Untersuchungsausschuss. Bei der Sitzung sollen mehrere BND-Mitarbeiter - möglicherweise auch BND-Präsident Schindler - zu der Affäre befragt werden. Obleute des Gremiums verlangen darüber hinaus Einsicht in eine Liste der Suchwörter, mit denen der BND für die NSA spionieren sollte.

In der kommenden Woche, so berichtet die Saarbrücker Zeitung, will Kanzleramtsminister Altmaier offenbar auch den Bundestag über die Angelegenheit informieren.

Allein die Zahl der Politiker und Behörden, die in dieser Affäre eine Rolle gespielt haben und immer noch spielen, zeigt, wie verworren die Lage ist. Eine Übersicht.

2002 - Beginn einer heiklen Zusammenarbeit

Ihren Ausgangspunkt hat die BND-Affäre bereits 2002. Im Jahr nach den Anschlägen vom 11. September vereinbaren der deutsche Bundesnachrichtendienst BND und der US-Geheimdienst NSA in einem "Memorandum of Understanding" eine engere Zusammenarbeit.

Die deutsche Behörde, für deren Kontrolle damals das Bundeskanzleramt unter dem heutigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verantwortlich ist, übernimmt in den folgenden Jahren die Abhöranlagen der NSA in Bad Aibling. Dafür sollen die Deutschen die Amerikaner bei der Überwachung der Kommunikation unterstützen: Die NSA liefert dem BND Suchbegriffe - sogenannte Selektoren -, nach denen die Datenströme durchforstet werden.

Ziel der Behörden ist es, mit Hilfe dieser Telefonnummern, E-Mail- oder IP-Adressen Daten aufzuspüren, die bei der Terrorismusbekämpfung helfen können. Deutsche Bürgerinnen und Bürger sollen nicht überwacht werden. Was offenbar nicht geklärt wird: wie sich ein Ausspionieren europäischer Freunde durch die Amerikaner verhindern ließe.

2005 - Eine unerfreuliche Entdeckung, ohne Konsequenzen

Beim BND kommt es zu einer unerfreulichen Entdeckung: Die NSA liefert auch Suchbegriffe, mittels derer die Amerikaner die deutsch-europäischen Unternehmen EADS (heute Airbus) und Eurocopter sowie französische Behörden überwachen wollen. Es kommt danach offenbar zu keiner systematischen Überprüfung der Suchbegriffe beim BND, wie es eine interne Anweisung eigentlich fordert. Das Kanzleramt wird darüber offenbar nicht in Kenntnis gesetzt.

2008 - Das Kanzleramt wird informiert: Die NSA spielt falsch

Erst im Februar 2008 schickt der BND einen vertraulichen Bericht über diese Erkenntnisse an das Kanzleramt. Kanzleramtsminister Thomas de Maizière erfährt offenbar keine Einzelheiten. Aber vermutlich auch wegen der Hinweise des BND auf Regelbrüche der NSA lehnt es de Maizière ab, dass der deutsche Geheimdienst mit den Amerikanern zusammenarbeitet, um ein europäisches Glasfaserkabel anzuzapfen. Schießlich könnte die NSA versuchen, auch europäische Verbündete abzuhören.

2010 - Das Kanzleramt wird erneut informiert

Erneut informiert der BND das Kanzleramt darüber, dass die USA versucht haben, den Rüstungskonzern EADS (heute Airbus), Eurocopter und französische Behörden auszuspähen. Eine Reaktion des Kanzleramtes, das inzwischen von Ronald Pofalla (CDU) geleitet wird, ist nicht bekannt.

2013 - Ein Skandal, von dem niemand hört

Im Juli 2013 geht Whistleblower Edward Snowden an die Öffentlichkeit. Die Welt erfährt von der umfangreichen Überwachung der Datenströme insbesondere durch die amerikanischen und britischen Geheimdienste. Kanzlerantsminister Ronald Pofalla versucht, die Affäre herunterzuspielen. Allerdings wurde sogar das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel von der NSA abgehört. Pofalla hätte außerdem spätestens 2010 wissen müssen, dass die NSA - mit Hilfe des BND - versucht hat, Informationen über deutsch-europäische Wirtschaftsunternehmen und französische Behörden zu sammeln.

Am 14. August 2013 stellt ein BND-Mitarbeiter erneut fest, dass die NSA der Behörde Selektoren schickt, die der Überwachung europäischer Institutionen dienen. Es stellt sich heraus, dass etwa 12 000 nicht erlaubte Suchbegriffe im Einsatz sind. Sie betreffen etwa 2000 Personen und Institutionen wie die EU-Kommission, das französische Außenministerium und den Regierungspalast in Paris. Der Geheimdienst beginnt, genauer zu überprüfen, was die NSA überwachen will. E-Mails mit der Endung .eu etwa werden nun aussortiert. Die Liste der vom BND abgelehnten Selektoren ist inzwischen auf mehr als 40 000 Einträge gewachsen - insgesamt übersandte die NSA mehrere Millionen Suchbegriffe.

Weder BND-Präsident Gerhard Schindler noch die Verantwortlichen im Kanzleramt werden unterrichtet. Oder, so fragen Kritiker inzwischen, wollten sie nichts davon wissen? Auch der NSA-Untersuchungsausschuss wird nicht informiert. 2014 fragen Mitglieder des Ausschusses gezielt nach den Selektoren - und werden von BND-Mitarbeitern darüber informiert, dass diese angeblich sorgfältig geprüft würden.

2015 - Zur NSA-Affäre gesellt sich die BND-Affäre

Im Februar fasst der NSA-Untersuchungsausschuss zwei Beweisbeschlüsse zu der Frage, ob die NSA gemeinsam mit dem BND deutsche Ziele ausspioniert hat. Es kommt heraus, dass BND-Chef Schindler angeblich erst am 12. März 2015 vom ganzen Ausmaß der Spionage der Amerikaner erfahren hat - etwa zwei Jahre nachdem es in seiner Behörde bekannt war. Er leitet die Informationen an das Kanzleramt unter Peter Altmaier weiter.

Am 14. April 2015 erklärt das Innenministerium auf eine Anfrage der Fraktion der Linken, es lägen keine Erkenntnisse zu angeblicher Wirtschaftsspionage durch die NSA oder andere US-Dienste von deutschem Boden aus vor. Das Innenministerium ist für den BND allerdings nicht zuständig, sondern das Kanzleramt, das an der Antwort vermutlich beteiligt ist. Während aber Innenminister Thomas de Maizière möglicherweise tatsächlich nicht Bescheid weiß, ist das bei Kanzleramtsminister Peter Altmaier anders. Schließlich ist sein Haus seit dem 12. März darüber informiert, was bei NSA und BND gelaufen ist.

Die BND-Affäre setzt nun auch die Koalitionspartner in Berlin immer stärker unter Druck. Das ist nicht nur im NSA-Untersuchungsausschuss zu spüren, dessen Vorsitzender Patrick Sensburg (CDU) SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi kritisiert hat. Fahimi hat jüngst laut über die Notwendigkeit personeller Konsequenzen im Kanzleramt nachgedacht.

SPD-Chef, Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel hat das Augenmerk nun auf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gerichtet. Sie habe ihm gegenüber zweimal die Frage verneint, ob der BND an Wirtschaftsspionage gegen deutsche und europäische Firmen beteiligt gewesen sei. Merkel hat inzwischen signalisiert, dass sie selbst "gerne" vor dem NSA-Untersuchungsausschuss aussagen würde, sollte sie eingeladen werden.

Die Spionageaffäre des Bundesnachrichtendienstes (BND)
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