Fußball:Extreme Gesichter

03.05.2015,  Fussball 2.Liga:  1860 - Berlin

"Auch wenn es im ersten Moment verwunderlich ist, wollen wir diese Mannschaft nicht über den Haufen werfen." Gerhard Poschner setzt auf Kontinuität.

(Foto: M.i.S/imago)

Vor den drei letzten Spielen der Zweitliga-Saison versucht der TSV 1860, im Abstiegskampf Besessenheit zu wecken. Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner plant unterdessen schon die nächste Saison.

Von Markus Schäflein

Die eigens zu einer Presserunde geladenen Journalisten blickten überrascht, als Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner mit inbrünstiger Überzeugung sprach: "Die Trainergeschichte ist absoluter Humbug." Torsten Fröhling bleibe der Übungsleiter des Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München. Und es sei ebenso absoluter Humbug, fuhr Poschner entschlossen fort, dass er selbst mit sofortiger Wirkung zurücktrete. Das Erstaunen war enorm, allerdings nicht aufgrund der scharfen Dementis. Sondern weil die Gerüchte, mit denen er aufräumen wollte, sich gar nicht verbreitet hatten. Mit Fröhlings Demission hatte kaum jemand, mit Poschners freiwilligem Rückzug überhaupt keiner gerechnet.

Und sonst so? Nachdem Sechzig durch das 0:3 gegen Union Berlin auf einen direkten Abstiegsplatz gerutscht war, sah sich Poschner mal wieder veranlasst, einen Appell an seine Mannschaft zu senden. "Wir intern müssen überzeugt sein, dass wir dieses Ding (Klassenverbleib, d. Red.) unter allen Umständen reißen wollen", sagte er, "da muss es eine gewisse Besessenheit geben." Überzeugt sein zu wollen? Offenbar ist es wirklich nötig bei dieser merkwürdigen Mannschaft, eine Banaltugend einzufordern, die in Aue oder Aalen eine Selbstverständlichkeit ist. "Wir werden die Spieler jetzt nicht 24 Stunden zum Aggressionstraining einsperren", erklärte der Sport-Geschäftsführer zwar, "aber wir müssen durch viele kleine Sachen unterstützend wirken. Wir müssen der Mannschaft trotz der allgemeinen Stimmung klarmachen, dass wir noch nicht abgestiegen sind. Die Realität ist: Es gibt noch drei Spiele."

Um dies festzustellen, muss man sich nur für wenige Sekunden einsperren und die Tabelle lesen. Nur einen Zähler Rückstand haben die Löwen, neun Punkte sind noch zu vergeben. Das Problem ist weniger das Klassement, sondern die unerklärliche Vorstellung der Mannschaft gegen Berlin; dabei war man nach der zweiten Hälfte gegen Bochum (2:1) und beiden Hälften in Düsseldorf (1:1) davon ausgegangen, dass die Saison jetzt im endlich entdeckten Abstiegskampf-Modus zu Ende beackert werden würde. Doch gegen Berlin war plötzlich wieder "eine weitestgehend kollektiv schlechte Leistung" zu sehen, wie Poschner feststellte: "Es ist schwer zu erklären, warum es diese extremen zwei Gesichter gibt. Dass diese Spielweise nicht ausreichen wird, ist der Mannschaft bewusst."

Da trifft es sich schlecht, dass am Freitag (18.30 Uhr) im Auswärtsspiel beim FSV Frankfurt in Sechser Dominik Stahl ein Typ fürs Kratzen und Beißen wegen einer Verletzung am Außenband fehlen wird; und ebenso schlecht ist es, dass die Frankfurter bei derzeit 36 Punkten selbst noch einen Erfolg brauchen, um auch rechnerisch gesichert zu sein. Daher fahren sie eigens in ein Kurz-Trainingslager, obwohl Trainer Benno Möhlmann zugab: "Mir wäre auch lieber, wir müssten gar nicht mehr trainieren."

Wie es im Falle des Abstiegs bei Sechzig weitergeht, ist völlig offen; ob Poschners Vertrag ligaunabhängig geschlossen wurde und ob er überhaupt Lust hätte, seine Arbeit fortzuführen, wollte er nicht kommentieren. "Das steht aktuell für mich nicht zur Debatte", sagte er, er wolle sich "nicht auf persönliche Angelegenheiten stürzen". Es gehe jetzt um "volle Konzentration" auf die drei letzten Saisonspiele: "Was danach passiert, wird hinten angestellt."

Derzeit allerdings ist Poschner Sport-Geschäftsführer, was bedeutet, dass er allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz die kommende Saison plant. "Es ist klar, dass du in der aktuellen Situation sehr schwer irgendwelche Personalentscheidungen treffen kannst, aber du kannst dich vortasten", sagte er. Für den Falle des Klassenverbleibs plane er, auf den großen und bislang durchschlagend erfolglosen Umbruch des vergangenen Sommers keinen zweiten folgen zu lassen: "Wir sind der Meinung, auch wenn es vielleicht im ersten Moment verwunderlich ist, dass wir diese Mannschaft nicht über den Haufen werfen wollen." Dass zahlreichen Spielern längst Angebote von anderen Klubs unterbreitet werden, ist angesichts der Lage hingegen nicht verwunderlich. "Das ist nun mal so in diesem Business", sagte Poschner, "was aber doch nicht heißt, dass die Spieler sich nicht fokussieren können. Das ist in den anderen Vereinen doch auch nicht anders." Den Fokus mittels einer Nichtabstiegsprämie zu schärfen, wie das manchmal so ist in diesem Business, hält der Sport-Geschäftsführer für eine unangebrachte Idee: "Wenn diese Motivation nicht von innen heraus kommt, kann man sie auch nicht mit Euros herbeiführen."

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