Der Kampf um die Kartendienste:Der Coup der Erzrivalen

A nighttime view of Europe using the Visible Infrared Imaging Radiometer Suite in seen in a NASA handout

Europa bei Nacht: Die deutschen Autobauer brauchen einen verlässlichen Kartendienst - auch tagsüber.

(Foto: Reuters)
  • Die Erzrivalen Audi, BMW und Daimler wollen gemeinsam Nokias Kartendienstleister Here kaufen.
  • Hauptziel ist es, nicht von einem US-Konzern abhängig zu werden.

Von Thomas Fromm, Max Hägler und Helmut Martin-Jung

Es ist im Grunde ein historisches Experiment: Audi, BMW und Daimler sind Erzrivalen, attackieren sich auf dem globalen Markt für hochklassige Autos und kämpfen in ihren Ausstellungsräumen um jeden Kunden. Ausgerechnet diese drei wollen nun zum ersten Mal gemeinsam einen Milliardenkauf stemmen und Nokias Kartendienstleister Here kaufen.

Der Hintergrund ist klar: Die Hersteller möchten bei dieser wichtigen Dienstleistung nicht von einem US-Konzern abhängig werden - als mögliche Käufer für Here werden unter anderem Facebook, der Fahrdienstleistungsvermittler Uber oder auch der Elektronikkonzern Apple genannt. Nach SZ-Informationen haben die deutschen Autohersteller bereits ihre Buchprüfung bei Here gemacht; das Angebot der drei steht kurz bevor. "Es ist eine Frage von Tagen oder Wochen", sagen mit den Verhandlungen vertraute Kreise.

Preis ist noch unklar

Einziger Knackpunkt: Die Preisvorstellungen seien noch sehr unterschiedlich. "Es gibt aufseiten der deutschen Industrie eine sehr klare Vorstellung davon, was es kosten darf", heißt es. Der Kaufpreis, der derzeit im Raum steht, liege bei etwa zwei Milliarden Euro. Am Ende entscheide der Preis - strategisch sei die Sache längst durchdacht.

Der Verhandlungspoker ist dementsprechend hart: Die deutschen Hersteller gehören zu den wichtigsten Kunden des Nokia-Dienstes, immerhin sollen die deutschen Premiumhersteller für fast ein Drittel des Geschäfts von Here stehen. Sollte sich Nokia für einen anderen Käufer - zum Beispiel Facebook oder Uber - entscheiden, wäre das Geschäft mit den Autobauern gefährdet. Die Warnung aus Deutschland dürfte daher bei den Finnen nicht unerhört bleiben. Es gebe "genügend Alternativen" zum Nokia-Kartendienst, heißt es auf deutscher Seite.

Und: Die Konzerne haben das nötige Geld. Nicht nur für den Kauf, sondern auch für spätere Investitionen, die erforderlich seien. Aber auch Nokia hat in den Verhandlungen einigen Spielraum: Die Premium-Autobauer arbeiten auf Hochtouren an der Vernetzung ihrer Fahrzeuge, wollen sich nicht von IT-Konzernen wie Google das Geschäft wegschnappen lassen. Dafür brauchen sie Komponenten wie die Nokia-Karten für ihre Infotainment-Systeme. Auf einen neuen Anbieter umzustellen, wäre teuer. Außer Nokia gibt es aber nur noch zwei Anbieter, die Kartendaten in ähnlicher Güte erfassen: Google und den niederländischen Konzern Tomtom. Die deutschen Anbieter würden es daher gerne verhindern, dass andere Rivalen den Zuschlag bekommen, beispielsweise IT-Konzerne aus den USA. Gemeinsam in IT-Infrastruktur investieren, gemeinsam die Kosten senken, gemeinsam unabhängiger von den Anbietern im Silicon Valley werden - darum geht es den Autokonzernen vor allem.

Und wenn es den Autoherstellern gelingen sollte, den Zuschlag zu bekommen? In diesem Fall soll Here als selbständiges Unternehmen weitergeführt werden, heißt es aus Industriekreisen. Bei Audi, BMW und Daimler wollte man sich zu dem Thema nicht äußern. Man kommentiere keine "Marktgerüchte", hieß es dort.

Auch bei Nokia ist man sich darüber im Klaren, dass Geschäfte mit vielen unterschiedlichen Kunden wohl nur dann weiter abgeschlossen werden können, wenn Here ein neutraler Kartenanbieter bliebe. Mit dieser Strategie ist man bisher gut gefahren, doch ob sie beibehalten wird, hängt davon ab, wie die Verkaufsverhandlungen ausgehen, sagt ein Nokia-Sprecher. Deren Ergebnis könne auch sein, dass Nokia den Kartendienst als zweites Standbein behält.

Das Geschäft mit digitalen Karten-Informationen wird in Zeiten der zunehmenden Vernetzung immer wichtiger - ohne genaue digitale Karten sind zum Beispiel autonome Fahrzeuge gar nicht denkbar. Dieses Kartenmaterial bereitzustellen und ständig auf dem neuesten Stand zu halten, erfordert einen gewaltigen Aufwand, den die Autoindustrie kaum leisten kann.

6000 Menschen erfassen Daten und aktualisieren

Als sich im Sommer 2013 ein Forschungsfahrzeug von Mercedes auf den Weg von Mannheim nach Pforzheim machte, ganz allein, auch im Stadtverkehr und bei Zebrastreifen, ohne jeglichen Eingriff eines Fahrers, trugen dazu Kameras, Sensoren und Computer bei - aber auch Nokias genaue Karten, die alle Besonderheiten der Strecke enthielten. Bei Nokia arbeiten etwa 6000 Menschen weltweit daran, die Daten zu erfassen und zu aktualisieren, etwa 1000 davon in Berlin. Außer Nokia bieten nur noch der amerikanische Internetkonzern Google und die niederländische Firma Tomtom digitale Kartendaten in ähnlicher Qualität an - wenn man einmal absieht vom Projekt Open Street Map, bei dem Daten von Freiwilligen stammen.

Die Daten der drei Großen stecken hinter vielen Dienstleistungen, die zum Beispiel auf Webseiten die geografische Lage eines Ladengeschäftes anzeigen. Vernetzung spielt dabei auch für die Karten-Firmen selbst eine immer wichtigere Rolle. So kann man sich etwa die aktuelle Verkehrslage in der Karte anzeigen und die eigene Route daran anpassen lassen. Die Navigationseinrichtungen der Autos sind dazu mit dem Internet verbunden und liefern ständig Informationen über ihren Ort und die gefahrene Geschwindigkeit. Die Kunst der Anbieter liegt darin, aus der Masse an Daten mit Algorithmen zu errechnen, wo der Verkehr fließt und wo es sich staut. Neben der Erfassung neuer Straßen müssen die Daten der bestehenden aktuell gehalten werden, etwa um neue Einbahnstraßen in den Datenbestand einzupflegen. Manches davon lässt sich automatisieren, das meiste muss aber von Hand korrigiert werden.

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