Kommentar:Chance verspielt

Bei der Regulierung des Glücksspiels versagt die Politik. Mehr als 20 Milliarden Euro werden inzwischen in einem Markt umgesetzt, den es laut Gesetz überhaupt nicht in dieser Form geben dürfte. Es wird Zeit, etwas zu ändern.

Von Jan Willmroth

Im politischen Geschäft gibt es Bereiche, die lassen sich gut ausnutzen, um sich und seine Partei zu profilieren. Die Familienpolitik ist ein schönes Beispiel in diesen Tagen, auch die Erfolgsmeldungen der Bundesarbeitsministerin zum Mindestlohn oder all die Maßnahmen der Länderfinanzminister gegen Steuerbetrug. Die Regulierung des Glücksspiels, niedergeschrieben im mittlerweile dritten Glücksspielstaatsvertrag innerhalb von nur zehn Jahren, gehört nicht dazu. Leider.

Denn es ist offensichtlich, wie die Bundesländer an ihrem Anspruch zu scheitern drohen, staatliche und private Glücksspielangebote sinnvoll zu regulieren. Eine Kostprobe aus dem Gesetz, Paragraf eins, Absatz zwei: Ziel des Staatsvertrags sei es unter anderem, "durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken." Ziel sei es auch, "der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken."

Die Online-Kasinos wachsen, aber die Politik hat keine Antwort auf das illegale Geschäft

Ein Blick auf Marktdaten, ein Besuch im Café, ein wenig Internet-Recherche reichen aus, um zu erkennen: Dieses Ziel ist nach beinahe drei Jahren, in denen der Staatsvertrag nun gilt, so meilenweit verfehlt worden, dass man nur noch einen kompletten Neuanfang fordern kann.

Die "geordneten und überwachten Bahnen" sehen heute erschreckend aus. Innerhalb eines Jahres setzen Spieler in Deutschland an die 70 Milliarden Euro ein, woran mit etwa 30 Milliarden Euro die blinkenden Spielautomaten in Kneipen und Spielhallen noch immer den größten Anteil haben. Mehr als 20 Milliarden Euro aber werden inzwischen in einem Markt umgesetzt, den es laut Gesetz überhaupt nicht geben dürfte. Indem Online-Anbieter an den Pokertisch laden, Kasinospiele wie Roulette anbieten oder Wetten auf jede erdenkliche Sportart und Liga dieser Welt. Und die zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder? Schreiben in einem Zwischenbericht zur Evaluierung des Staatsvertrags, wegen der erheblich steigenden Umsätze müsse dem Segment der Online-Kasinos künftig "besonderes Augenmerk gelten". Mehr nicht. Aus dem Plan, den meist im europäischen Ausland lizenzierten Anbietern mit Verboten beizukommen oder Zahlungen an sie zu blockieren, wird so schnell nichts werden. Und so wird weiterhin jeder, der eine Suchmaschine bedienen kann, jederzeit die illegalen Angebote im Netz finden.

Man muss sich nun nicht gleich durch lauter Milliardenbeträge arbeiten, um zu sehen, welch skurrile Blüten die Regulierung bisweilen treibt. Ein Spaziergang in Berlin-Neukölln genügt. Seit an Seit reihen sich dort Wettbüros, die zwar nicht erlaubt, aber geduldet sind, Café-Kasinos, in denen es mehr ums Spielen als um Kaffee und Tee geht, und Spielhallen, die zwar wie welche aussehen, aber offiziell keine sind. Es ist schwer nachzuvollziehen, was solche Orte mit dem Spielerschutz zu tun haben.

Das andere Extrem gibt es auch, wie der jahrelange Rechtsstreit der Aktion Mensch zeigt. Sie verkauft verschiedene Lose, schüttet nur 38 Prozent ihres Umsatzes wieder aus und investiert einen großen Teil des übrigen Geldes in soziale Projekte. Und sie musste mehr als zwei Jahre lang vor Gericht mit der zuständigen Behörde darüber streiten, Gutscheine für ihre Lose auch in Supermärkten anbieten zu dürfen. Ein solches Vorgehen lässt tief blicken in die Gepflogenheiten des Glücksspielkollegiums, das eine Soziallotterie behandelt wie eine Zockerbude.

Ein weiteres Beispiel: die Sportwettenanbieter. 20 von ihnen sollten längst eine Konzession erhalten haben, mit der ihr Angebot in Deutschland legal wäre. Wegen laufender Gerichtsverfahren verschiebt sich diese Erlaubnis immer weiter - und wird für die Länder immer peinlicher. Zuletzt ging das so weit, dass der Sportbeirat, der das Glücksspielkollegium in Sachen Sportwetten beraten sollte, geschlossen zurücktrat, während die Deutsche Telekom jetzt auch in diesem grauen Markt mitmischt und die staatlichen Anbieter nur noch einen Marktanteil von etwa drei Prozent haben.

Die Liste der Baustellen ist damit noch längst nicht vollständig. Es dürfte kaum ein Politikfeld geben, auf dem sich der Staat so sehr verrannt hat. Ein Neuanfang würde aber bedeuten, dass sich die Länder bei der Glücksspielregulierung neuen Ideen öffnen, das völlig intransparente Glücksspielkollegium neu geordnet oder aufgelöst wird, das Verbot von Online-Glücksspiel infrage gestellt und die Regulierung wieder allein vom Verbraucherschutz her gedacht wird. Dazu braucht es aber Menschen, die sich damit profilieren wollen. Und die sind schwierig zu finden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: