Siemens:Willkommen in der Realität

Das Unternehmen kommt nicht zur Ruhe: Konzernchef Joe Kaeser streicht erneut Tausende Stellen, auch in Deutschland. Doch ist Sparen der Weg zu mehr Gewinn und Wachstum?

Von Caspar Busse

Als Joe Kaeser, 57, im August 2013 die Führung des Siemens-Konzerns übernahm, waren die Erwartungen groß. Nach der tiefen Führungskrise und den von vielen als lähmend empfundenen Jahren unter Kaesers Vorgänger Peter Löscher sollte es nun endlich wieder aufwärts gehen mit dem Traditionsunternehmen. Kaeser ist seit Jahrzehnten im Unternehmen, ein Siemensianer durch und durch, und war jahrelang für die Finanzen zuständig. Er sollte, so die Hoffnung nicht nur vieler Mitarbeiter, Siemens zu altem Glanz zurückführen. Doch der Aufbruch gestaltet sich weitaus schwieriger als gedacht. An diesem Donnerstag musste Kaeser zum wiederholten Mal den Abbau Tausender Jobs bekannt geben. Willkommen in der Realität.

In London präsentierte der Vorstandschef am Donnerstag die Sparpläne und die Zahlen für das abgelaufene Quartal. Kaeser betonte: "Mit der Initiierung dieser Maßnahmen ist der strukturelle Umbau des Unternehmens in der Hauptsache abgeschlossen." Eine interessante Aussage, ist doch Siemens seit Jahrzehnten in einem ständigen Umbau begriffen. "Wir werden uns nun auf die vollständige Umsetzung konzentrieren", sagte Kaeser nun. Das dürfte nicht leicht werden. Siemens muss die Gewinne steigern, und an die Ertragskraft von Konkurrenten wie den amerikanischen Konzern General Electric anknüpfen. Außerdem soll der Konzern nach langer Stagnation auch wieder wachsen.

Die Frage lautet: Ist Sparen dafür der richtige Weg? Der nun verkündete Stellenabbau trifft 4500 Stellen, diesmal vor allem in der Energietechnik und dort in der Produktion. Rund 2200 davon sollen allein in Deutschland wegfallen, nach Angaben der IG Metall ist besonders Berlin betroffen. In Deutschland werden derzeit keine Gasturbinen mehr verkauft, auch wegen der Energiewende, sagte Kaeser und fügte an: "Dem müssen wir einfach Rechnung tragen." Deshalb würden gerade im Turbinengeschäft auch Jobs ins Ausland verlagert. Werksschließungen seien aber nicht geplant. Der Geschäftsbereich Energie, lange der Umsatz- und Gewinnlieferant, hat Probleme, der Gewinn ging um ein Drittel zurück. Der Preisdruck ist hoch.

Siemens: So fing alles an: Die Firmengründer Werner von Siemens (oben links) und Johann Georg Halske, mit einem Zeigertelegraf von 1847.

So fing alles an: Die Firmengründer Werner von Siemens (oben links) und Johann Georg Halske, mit einem Zeigertelegraf von 1847.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Insgesamt werden nun 13 100 Arbeitsplätze abgebaut, davon 5100 in Deutschland

Ende März hatte Siemens weltweit 342 000 Beschäftigte, davon 114 000 in Deutschland. Vor einem Jahr hatte Kaeser die gesamte Organisation schlanker gemacht und zwei Ebenen ganz gestrichen. So sollen bis 2016 Kosten in Höhe von einer Milliarde Euro gespart werden. Zusammen mit diesem bereits laufenden Streichprogramm werden nun 13 100 Arbeitsplätze abgebaut, davon 5100 in Deutschland. Kaeser betonte aber auch, dass Siemens gleichzeitig neue Leute in anderen Bereichen einstellt. Von Oktober 2014 bis März 2015 seien alleine 16 000 Mitarbeiter neu eingestellt worden. Im vergangenen Geschäftsjahr seien es 33 500 gewesen.

Schon lange ist Siemens vor allem mit sich selbst beschäftigt - mit Umbau, Sanierung von Geschäftsbereichen, Entlassungen. Das gilt besonders für die Sparte Energie, das wichtigste Geschäftsfeld des Konzerns. Kaeser hatte vor einem Jahr den Spartenchef Michael Süß durch die Amerikanerin Lisa Davis ersetzt, sie sitzt nun in den USA und soll das Geschäft mit der Öl- und Gasindustrie vorantreiben. Allerdings kam Siemens in die Quere, dass der Ölpreis stark gesunken ist. Deshalb investiert die Ölindustrie kaum noch. Kaeser machte klar, dass er vorerst mit einem weiter niedrigen Ölpreis rechnet. Zuletzt wurde in den USA zudem der Turbinenhersteller Dresser-Rand gekauft - zu einem hohen Preis. Die Übernahme soll bis zum Sommer abgeschlossen sein. Auch andere Anbieter von Energietechnik haben zu kämpfen. Der angeschlagene französische Atomkonzern Areva gab am Donnerstag den Abbau von bis zu 6000 Stellen bekannt, davon 4000 in Frankreich. Alstom, gerade von GE übernommen, hat ebenfalls Probleme und muss sparen.

Für den Zeitraum Januar bis März weist Siemens unter dem Strich einen Gewinn von 3,9 Milliarden Euro aus, dreimal so viel wie im Vorjahreszeitraum. Dies ist aber vor allem auf Sondereffekte zurückzuführen: 3,2 Milliarden Euro davon stammen aus dem Verkauf der Hörgerätesparte und des Anteils an der Hausgerätetochter BSH an den Partner Bosch. Im abgelaufenen Quartal lag die operative Marge im industriellen Geschäft bei lediglich neun bei Prozent. Kaeser bekräftige die Prognose für 2015, auch wenn das wirtschaftliche Umfeld schwieriger werde. Danach soll die Marge zwischen zehn und elf Prozent bis zum Herbst liegen. Finanzvorstand Ralf Thomas sagte dazu, dass auch der schwache Euro positive Effekte haben werde. Kaeser betonte außerdem, dass die übrigen ertragsschwachen Bereiche nun aus eigener Kraft saniert werden sollen. In der Vergangenheit wurden solche oft am Tiefpunkt der Entwicklung abgestoßen.

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"Wir stellen die Zeiger Richtung Wachstum", verspricht nun Joe Kaeser

Kaeser warb um Geduld beim Umbau: "Es mag dem einen oder anderen langsam vorkommen, aber ich kenne kein anderes Unternehmen, das so eine Transformation in so einer kurzen Zeit bewältigt hat." Spätestens 2017 werde es wieder aufwärts gehen. Wachstum soll dann vor allem aus den Bereichen Energie, Medizintechnik und aus den Projekten zur Digitalisierung der Fertigung kommen. Kaeser: "Wir stellen die Zeiger Richtung Wachstum." Die IG Metall reagierte bereits mit Kritik. "Das Management dreht bei akuten oder strukturellen Problemen reflexartig an der Schraube der Personalkosten", teilte die Gewerkschaft mit und kündigte Widerstand an. Die Siemens-Aktie gab ab.

Kaeser wird weiter kämpfen. Schnell wird es nicht gehen - wenn überhaupt.

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